
Nach dem Abschuss des russischen Su-24 Bombers, der in den türkischen Luftraum eingedrungen war und dem aktuellen Vorschlag an das orthodoxe Montenegro, Mitglied des Nordatlantischen Bündnisses zu werden, verschärft sich die Konfrontation zwischen der NATO und Moskau. Russische Politiker lassen Drohungen verlautbaren, man werde der NATO symmetrisch auf die Erweiterung des Machtbereichs und die Aufnahme neuer Mitglieder antworten. Das Außenministerium spricht von einem „offensichtlich konfrontativen Schachzug, der eine entsprechende Reaktion erzwingt“. In diesem Zusammenhang bekommt die Problematik der Einrichtung einer Luftwaffenbasis für russische Kampfflugzeuge in Belarus neue Aktualität. Man muss diese Fragestellung allerdings im Rahmen der Möglichkeit einer hypothetischen großangelegten russischen Aggression gegen die Ukraine sehen.
Zunächst beschäftigen wir uns mit der Chronologie einiger Ereignisse, um die Ernsthaftigkeit Russlands zu verstehen, weißrussisches Gebiet für eigene militärische Ziele nutzen zu wollen.
• Am 23. April 2013 verkündet der russische Verteidigungsminister S. Schojgu zum ersten Mal Absichten, in Belarus ein Geschwader Luftüberlegenheitsjäger stationieren zu wollen.
• Am 26 Juni 2013 erklärt der Oberbefehlshaber der russischen Luftstreitkräfte Viktor Bondarew, wo russische Flugzeuge stationiert werden sollen: Su-27SM3 Kampfflugzeuge werden auf die 116. Garde-Luftwaffenbasis in der Stadt Lida verlegt.
• Am 8. Dezember 2013 wird auf Grund der Eskalation der politischen Ereignisse in der Ukraine auf die 61. Luftwaffenbasis in Baranowitschi von der russischen Basis Besowez ein Schwarm (vier Maschinen, Anm. d. Übers.) von Kampfflugzeugen einschließlich üblicher Bewaffnung sowie Instandhaltungspersonal verlegt (1,2) (2. Fliegende Gruppe der 7000. Luftbrigade, Einheit Nr. 23326-2 in Besowez/ Petrosawodsk – ehemaliges 159. Jagdfliegergeschwader ):
– Su-27, Bordnummer 15 „rot“, Registrierungsnummer RF-95518
– Su-27P, 19 „rot“, RF-95517
– Su-27P, 36 „rot“, unbekannt
– Su-27P, 37 „rot“, RF-90746
• Am 13. März werden im Zusammenhang mit dem Beginn der Aggression gegen die Ukraine unter dem Vorwand eines Tests der Kampffähigkeit des gemeinsamen regionalen Flugabwehrsystems von Belarus und Russland drei militärische Transportflugzeuge mit Unterstützungspersonal des Militärbezirks West und sechs Kampfflugzeuge von Besowez nach Bobrujsk verlegt:
– Su-27P, Bordnummer 10 „rot“, Registrierungsnummer RF-90740
– Su-27, 15 „rot“, RF-95518, vorher auf der 61. Luftwaffenbasis in Baranowitschi
– Su-27P, 19 „rot“, RF-95517, vorher auf der 61. Luftwaffenbasis in Baranowitschi
– Su-27, 20 „rot“, RF-95516
– Su-27, 50 „rot“, RF-90737
– Su-27, 65 „rot“, RF-90715
- Ab dem 14. März 2014 befinden sich auf dem militärischen Flughafen Luninez, nur 50 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, MiG-29 Kampfflugzeuge. Vermutlich gehören sie der 61. Jagdfliegerbrigade an.
- Am 15. März 2014 wird auf der Luftwaffenbasis in Baranowitschi ein Frühwarn-Flugzeug (AWACS) vom Typ A-50, Bordnummer 42 „rot“, RF 50610 (archivierte Daten) stationiert. Dessen technische Leistungsdaten erweitern die Möglichkeiten der Radar-Aufklärung, Zieleinweisung für Kampflugzeuge und Koordinieren von Flugabwehrkräften erheblich.
Somit bestand die russische Gruppe auf weißrussischem Gebiet während der aktiven Phase der Kampfhandlungen gegen die Ukraine aus etwa fünf militärischen Transportflugzeugen, einem Frühwarnflugzeug A-50 und fast einer kompletten Staffel (12 Maschinen, Anm. d. Übers.) von Su-27 Kampfflugzeugen verschiedener Modifikationen. Es ist außerdem interessant, dass die in Bobrujsk stationierten Kampfflugzeuge rund um die Uhr im Rahmen der Luftraumüberwachung flogen und erst zwei Tage nach dem Abschluss der Minsker Verträge am 7. September 2014 (Archiv) auf ihre Heimatbasis zurückbeordert wurden.
- Am 15. Oktober 2014 bestätigt der Oberbefehlshaber der russischen Luftstreitkräfte Viktor Bondarew die Absicht Russlands, diesmal im weißrussischen Bobrujsk im Jahr 2016 Su-27 Kampfflugzeuge zu stationieren.
Seit September 2015 forciert Russland das Tempo bzgl. der besagten Situation:
- Am 8. September 2015 erscheint eine Verfügung des Präsidenten W. Putin über den Abschluss einer Übereinkunft zwischen Russland und Belarus bzgl. einer russischen Luftwaffenbasis
- Am 24. November 2015 erklärt der Leiter der operativen Verwaltung der russischen Luftstreitkräfte General-Major Aleksandr Ljapkin, das Kontingent der Luftwaffenbasis und deren Organisationsstruktur seien beschlossen und alle erforderlichen Dokumente und Modalitäten mit der weißrussischen Seite geklärt. Dieser Beschluss ist rechtlich nicht anfechtbar. Seinem Statement zufolge wird in Bobrujsk eine Staffel von Kampfflugzeugen (12 Flugzeuge) und ein Schwarm von Hubschraubern (vier Mi-8 Mehrzweckhubschauber) stationiert.
Offenbar gibt es mehrere Gründe für die russische Entscheidung zugunsten einer Basis in Bobrujsk. Erstens befindet sich diese Basis im Gegensatz zu den Standorten Baranowitschi und Lida außerhalb der Reichweite von AGM-158 JASSM Marschflugkörpern, die Polen bei seinen Luftstreitkräften einführt. Zweitens ist die gute Infrastruktur und große Fläche des Flughafens wichtig, auf dem früher Langstreckenbomber stationiert waren. Drittens und abschließend spielt der Standort strategisch eine Rolle, da von dort aus Operationen gegen die Ukraine möglich sind. Die Luftwaffenbasis in Bobrujsk und bereits vorhandene russische Stützpunkte (einschließlich der Krim, Anm. d. Übers.) werden die Ukraine praktisch umschließen.
Es ist geplant die Luftwaffenbasis in Bobrujsk mit Flugabwehrsystemen großer Reichweite vom Typ S-300W aus dem Bestand der 147. Flugabwehrbrigade der russischen Luftstreitkräfte sowie durch weißrussische Flugabwehrtruppen zu schützen.
Im Fall der Verwirklichung eines gewaltsamen Szenarios und einer möglichen Invasion der Ukraine von weißrussischem Gebiet mittels Bodentruppen wird den Bobrujsk stationierten Kräften eine tragende Rolle beim Schutz und Vorrücken der Bodentruppen zukommen. Eine der Primäraufgaben der Kampfgruppe in Bobrujsk wird die Neutralisierung der ukrainischen Luftabwehr sowie das Sicherstellen von Luftüberlegenheit gegenüber ukrainischen Luftstreitkräften sein. Ein Argument für diese Version sind die taktischen und technischen Leistungsdaten der Su-27SM3 Kampfflugzeuge, die gemäß Plan in Bobrujsk stationiert werden sollen. Diese Angriffsflugzeuge sind mit einem neuen Waffenkontrollsystem ausgestattet, welches nicht nur freifallende und präzisionsgelenkte Bomben einsetzen kann. Dazu kommen Mehrzweck-Luft-Boden-Raketen der Typen Ch-59ME, Ch-59M2E, Ch-59MK2 sowie Anti-Radar-Raketen Ch-58E, Ch-58USchE, Ch-58USchKE und Ch-31PD, welche für die Bekämpfung von Radarsystemen der Flug- und Raketenabwehr konzipiert sind. Eine weitere Aufgabe im Fall eines hypothetischen großen Krieges kann im Bekämpfen polnischer Lufteinheiten und der Neutralisierung europäischer Komponenten der Raketenabwehr bestehen, die in Polen aufgebaut werden. Von allem anderen abgesehen wird die Kampfgruppe in Bobrujsk für das Durchbrechen des europäischen Schutzschirmes zuständig sein, der ein Hindernis für russische strategische Waffensysteme Abschreckung darstellt (und das nukleare Abschreckungspotential Russlands reduzieren kann, Anm. d. Übers.).
In Zukunft können dort auch die Bomber Su-34 auftauchen, die beispielsweise an Paraden in Minsk teilnehmen und auch Abfangjäger des Typs MiG-31. Zu Sowjetzeiten war in Bobrujsk das 200. Bombergeschwader beheimatet und es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass Russland wieder taktische Überschallbomber des Typs Tu-22M3 dorthin verlegt.
Am 15. Juni 2015 hat der Koordinator der Verwaltung der Generalinspekteure des russischen Verteidigungsministeriums General Jurij Jakubow Änderungen bzgl. der in Belarus stationierten russischen Truppen angekündigt. Diese würden in näherer Zeit erfolgen, falls schwere Waffensysteme der USA in östlichen Gebieten der NATO Stellung beziehen. Zur Zeit gibt es die erwähnten Truppen allerdings nicht. Es gibt nur zwei russische Stützpunkte: Das 43. Kommunikationszentrum der russischen Marine „Wilejka“, welches über die Funkanlage „Antej“ Verbindungen zu nuklearen raketenbestückten U-Boot-Kreuzern sicherstellt. Außerdem gibt es die Frühwarn-Radaranlage für Raketenangriffe „Wolga“, welche in das gemeinsame regionale Flugabwehrsystem von Belarus und Russland integriert ist. Von der Basis in Baranowitschi operieren weiterhin vier Su-27 im Rahmen von Patrouillen an der Ost-Grenze des sogenannten verbündeten Staates, wobei Personal und Technik regelmäßigen Rotationen unterliegen.
Bildunterschrift: Frühwarn-Radaranlage „Wolga“ (sieben Kilometer von Ganzewitschi entfernt) (1, 2, 3)
Man kann davon ausgehen, dass russische Militärstrategen an einem Plan für die Stationierung von Bodentruppen in Belarus arbeiten. Dieses Kontingent wird etwa 500 Kilometer westlich der russisch-weißrussischen Grenze stationiert, was strategische Vorteile verschafft, einen Abwehrriegel auf weißrussischem Gebiet bildet und die Möglichkeit einräumt, einen Verbindungskorridor auf dem Landweg nach Kaliningrad zu kontrollieren. Zu diesem Zeitpunkt wird das Szenario „Krim“ in Belarus seine finale Phase erreichen.
- Lesen Sie zum Thema: „Belarus – Protektorat Russlands oder souveränes Staatsgebilde?“
Diese Ereignisse ergeben sich aus der Politik Lukaschenkos der letzen zwei Jahrzehnte: Nämlich, dass Belarus zu einer Geisel der politischen Verbrüderung mit Russland geworden ist. Im Gegenzug für das Erfüllen der Aufgaben eines „Verbündeten“, bestätigt sich Russland als finanzieller Wohltäter, was günstige Energieträger und einen ungehinderten Zugang weißrussischer Produkte zum russischen Absatzmarkt einschließt. Dieses wirtschaftliche Modell hat sich sehr gut bewährt und dabei in letzter Zeit keinerlei strukturelle Anpassungen notwendig gemacht. In diesem Kontext klingen Behauptungen über eine zunehmende West-Orientierung Lukaschenkos absurd, denn dafür wären tiefgreifende Veränderungen des politischen und wirtschaftlichen Modells der Gesellschaft erforderlich. Für die weißrussische Elite käme ein solcher Kurswechsel dem Tode gleich. Besonders wenn man sich bewusst macht, dass ein großer Teil der politisch-militärischen Führung des Landes potentielle Agenten der Einflussnahme im Sinne Russlands sind. Das eben Genannte erlaubt eine Schlussfolgerung: Lukaschenko kann die Einrichtung einer Luftwaffenbasis höchstens verzögern, wodurch er verschiedene wirtschaftliche Boni erhält. Das Spiel mit dem Westen ist nichts weiter als ein Bluff. Gleichzeitig besteht die Gefahr, in militärische Abenteuer des Kremls hineingezogen zu werden, wobei die Perspektive eines Szenarios wie auf der Krim für Belarus bedrohliche Züge annimmt. Daher müssen pro-weißrussisch eingestellte militärische und politische Entscheidungsträger die Prozesse der Stationierung weiterer russischer Truppen sabotieren und den verfassungsmäßigen neutralen Status von Belarus schützen.
Parallel dazu sollte als sehr positiv festgehalten werden, dass in der Ukraine die Verstärkung der Flugabwehr die notwendige Beachtung findet. Der Sekretär des nationalen Sicherheitsrates Aleksandr Turtschinow hat verlauten lassen, dass er die Gefahr des Eingreifens der russischen Luftwaffe im Fall einer Eskalation des Konflikts in der Ost-Ukraine für sehr real hält. Daraus ergibt sich im Jahr 2016 für die ukrainischen Streitkräfte die Priorität, das Potential der Flugabwehr und der Luftstreitkräfte wiederherzustellen. Dabei ist eine erhebliche Verstärkung der Flugabwehr nicht nur an der Front und der ukrainisch-russischen Grenze notwendig, sondern vor allem in Hinblick auf Weißrussland.
Der Artikel wurde von Denis Iwaschin exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Viktor Duke. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
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One Response to “Belarus: Aufmarschgebiet der russischen Luftwaffe für eine Invasion in die Ukraine”
11/09/2017
Wie man „Sapad-2017“ in 13 000 Menschen verpackt: Entlarvung der Thesen russischer Propaganda - InformNapalm (Deutsch)[…] hat Lukaschenko ohne Mühe in seinen hybriden Krieg hineingezogen (was er im Austausch bekommt, ist Thema eines separaten Artikels). Und dies geschah noch im Jahr 2013, als die russische Luftwaffe auf weißrussischen […]