Der plötzliche Akitivitätsausbruch in den russischen Medien zum Thema „Chemische Waffen in Syrien“ hat das Interesse der Freiwilligen von InformNapalm geweckt. In nachfolgender Untersuchung nehmen wir die Fakes der russischen TV-Kanäle auseinander und erforschen Kremls Gründe für den hastigen Einwurf dieser Fakes in den Informationsraum.
Zum Ausgangspunkt für die Untersuchung der russischen Informationsprovokation wurde eine Mitteilung, die auf der offiziellen Webseite des TV-Senders der russischen Streitkräfte „Swesda“ am 11. November 2016 erschien:
„Der offizielle Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums, Generalmajor Igor Konaschenkow erklärte, dass nach Angaben des Wissenschaftszentrums der ABC-Truppen der Streitkräfte Russlands am südwestlichen Rand der Stadt Aleppo im Bezirk „1070“ Spuren der Verwendung von chemischen Waffen seitens der IS-Söldner entdeckt wurden, darunter Munition, die mit Chlor und weissem Phosphor gefüllt war“ (Archiv).
Als provokativ kann man die Behauptung über die „IS-Munition am Rand von Aleppo, die mit Chlor und weissem Phosphor gefüllt war“ bezeichnen. Diese terroristische Organisation hat keine Kontrolle über Aleppo oder seine Vororte und wenn der Sender „Swesda“ vom „südwestlichem Rand“ spricht, so meint er höchstwahrscheinlich die Antiregierungskräfte.
Reale Beweise für diese Aussage hat der russische General dabei nicht bereitgestellt.
Zum Morgen des 14. November 2016 begannen die Russen das Thema der „chemischen Waffen bei den Aufständischen“ über den schiitischen Sender Al Mayadeen TV zu entwickeln. Der Sender wurde vom berüchtigten Ex-Leiter von Al-Jazeera in Beirut, Hassan Ben Dschiddou, gegründet, der schon mehrmals prorussische Aussagen machte. Bei jeder Gelegenheit betont er, dass Russland „dazu berufen sei, das Wertesystem auf der Welt auszubalancieren“. Es gibt Gründe anzunehmen, dass der TV-Sender Al Mayadeen TV die Interessen von Iran und Hisbollah vorantreibt.
In seiner Mitteilung vom 14. November berichtete der Sender mit Verweis auf das Kommando der syrischen Armee über den Einsatz von chemischen Waffen seitens der Aufständischen. Laut dem Artikel, im Raum von al-Nairab. Nach vorläufigen Angaben des TV-Senders, „wurde gasförmiges Chlor eingesetzt, infolge des Angriffs wurden circa 28 Soldaten syrischer Regierungstruppen verwundet“. Jegliche Beweise fehlen auch diesmal.
Am nächsten Morgen hatten die russischen TV-Sender schon das Betriebswerk zur Herstellung von „chemischer Munition“ gefunden und sogar geschafft, Reportagen direkt vor Ort zu drehen. Als Erster hat diese „Eilmeldung“ wieder der russische Verteidigungsministerium-Sender „Swesda“ serviert. Zu Beginn des Arbeitstages schlossen sich ihm auch die zentralen russischen TV-Kanäle an.
Schauen wir doch mal, was da die russischen Propagandisten denn gedreht und gesagt haben.
Zuallerst kommen Zweifel darüber auf, wie die chemische Munition ohne die entsprechende Ausrüstung und in gewöhnlichen Antistaub-Atemgeräten hergestellt werden könnte. Unklar ist auch, wie eine gewöhnliche Sprenggranate ohne die Sprengkomponente den giftigen Stoff ausstoßen kann. Also wandten wir uns an die Chemiker. Alle drei Befragten sind sich einig, dass die von den russischen Medien bereitgestellte Angaben höchstwahrscheinlich ein Fake sind. Gründe für solch‘ eine Einigkeit gibt es mehrere:
- in den Reportagen sieht man keine Spezialausrüstung zur Herstellung von chemischer Munition;
- Senfgas und Phosgen sind unter Heimindustriebedingungen faktisch unmöglich herzustellen;
- chemische Munition unterscheidet sich in ihrer Struktur von der gewöhnlichen Splittermunition, man kann nicht einfach nur Trinitrotoluol ausschmelzen und dann das Gefäß mit dem Giftstoff auffüllen;
- Die Kochtemperatur von Chlor beträgt -34,04°C, darum ist es unter gewöhnlichen Bedingungen ein Gas. Um es in flüssigen Zustand zu verwandeln, braucht man einen Druck von 5-7 Bar. Ausserdem ist Chlor ein äusserst aggressiver Stoff: bei niedriger Feuchtigkeit kann es gut in Metallcontainern aufbewahrt werden, beim Eindringen der Feuchtigkeit wird aber Säure gebildet, die das Metall schnell korrodiert.
Es ist uns auch gelungen, die Säcke zu identifizieren, die in allen Videoreportagen zu sehen waren:
Darauf sehen wir den Namen eines türkischen Korn- und Nudelproduktion-Herstellers. Warum liegen diese Säcke mit den Aufschriften nach oben und warum sind diese Aufschriften in allen Reportagen zu sehen? Denken die TV-Teams nicht an Kleinigkeiten oder beabsichtigen sie, die Türkei der Lieferungen von chemischen Stoffen unter dem Deckmantel von humanitärer Hilfe zu beschuldigen?
Und direkt daneben sehen wir einen Sack mit Viehfutter chinesischer Herstellung (China der „Unterstützung von Terroristen“ zu beschuldigen wird sich Russland aber wohl kaum trauen).
Die Regisseure des russischen Fakes haben für das Video kein mythisches Verlies genommen, sondern ein Lager, das früher zur Aufbewahrung von humanitärer Hilfe benutzt wurde und später, als die Front näherrückte, zum einem Lager für Schabiha (Assads Truppen) wurde. Also könnte das Chlor auch Schabiha gehören. Die Freie Syrische Armee (FSA) und andere aufständische Gruppen in Aleppo besitzen kein Chlor, sowie sie auch keine Luftfahrzeuge besitzen, die „Ballons mit Chlor aus der Luft“ abwerfen könnten (über diese Taktik sinnierten die russischen Experten früher, wobei sie die Idee über den Abwurf der Ballons auf Assads Truppen durch Aufständische aufschwatzten).
Und noch ein anderes interessantes Detail: Die Dreharbeiten fanden im Bezirk „1070“ statt, direkt an der Militärakademie (südwestlicher Rand von Aleppo). Dieser Bezirk liegt längst unmittelbar im Raum der Kampfhandlungen und wird mal von den Aufständischen mal von Regierungstruppen kontrolliert. Einen chemischen Produktionsbetrieb an der vordersten Frontlinie wird ganz bestimmt keiner platzieren.
Im Video der russischen Propagandisten sind auch Militärangehörige zu sehen, die an dieser Inszenierung teilnehmen (Diese werden wir später identifizieren, als eventuelle Zeugen oder auch Ausführer der verbrecherischen Befehle der kremlischen Führung).
Interessanterweise behaupten diese „Experten der russischen ABC-Truppen“, während sie neben einem alten, völlig verrosteten Blindgänger stehen, ohne mit der Wimper zu zucken, dass es ein „chemisches Geschoss, das gerade angeflogen kam“ sein soll (!!!).
Was ist denn der Grund für diesen Rummel und hastiges Fabrizieren von Meldungen? Wofür wirft die russische Seite diese Fakes ein? Die Antwort steckt womöglich in der Mitteilung vom 11. November 2016 mit dem Kommentar des russischen Aussenministeriums zum Beschluss des Exekutivrats der Organisation für das Verbot der chemischen Waffen hinsichtlich Syrien.
Wie kann man sich an der Stelle nicht an die geheime Fracht aus Syrien auf die Krim erinnern, die Ende Oktober im Hafen von Feodossija entladen worden war. Womöglich war die Annahme über die Ausfuhr von Komponenten der Massenvernichtungswaffen aus Syrien auf die Krim richtig. Und Russland verwischt nun hastig seine Spuren und erschafft neue Informationseinwürfe, um die Aufmerksamkeit von den wahren Besitzern der chemischen Waffen abzulenken.
Dieses Material wurde von Kateryna Jaresko und Dmitry K. exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
(Creative Commons — Attribution 4.0 International — CC BY 4.0 )
Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
One Response to “Chemische Bedrohung in Aleppo und russische Inszenierungen zur Aufmerksamkeitsablenkung”
06/04/2017
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