Vor einem Jahr haben mehrere Freiwillige von InformNapalm (wobei die Meinung im Team geteilt war) zusammen mit anderen Aktivisten und Bloggern Sanktionen gegen „VKontakte“, „Odnoklassniki“ und „Yandex“ gefordert – russische Internetdienste, die eine Gefahr für die Informationssicherheit der Ukraine unter Bedingungen des Krieges gegen Russland darstellen. Dieser Kampf war erfolgreich: Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine und der ukrainische Präsident haben mit der Einführung von Sanktionen reagiert. Sobald diese in Kraft traten, begann eine neue Spirale der russischen Informationsoperationen gegen die Ukraine. Folgende Thesen benutzten die Gegner der Einführung von Sanktionen dabei am häufigsten:
- Verbote im Internet sind amoralisch, das Verbot von russischen sozialen Netzwerken und „Yandex“ ist unbegründet.
- Die Sanktionen bleiben wirkungslos, es wird sich nichts ändern.
- Die Sanktionen bedeuten große Verluste für die ukrainische Wirtschaft.
- Es wird keinen Ersatz für sanktionierte Software-Produkte geben, sie werden weiterhin benutzt.
Lesen Sie zum Thema: „Meinungsfreiheit vs. Informationskrieg: Zu ukrainischen Sanktionen gegen russische Internetdienste“
Jetzt, nachdem ein Jahr vergangen ist, kann man einiges zusammenfassen: Die Zeit lieferte Antworten auf alle vier Fragen.
1. Die Sanktionen wurden rechtzeitig eingeführt
- Diese These wird von uns separat behandelt, denn die Amoralität der Sanktionen während eines Krieges mit einem Staat, der Softwarehersteller dazu zwingt, die gesamten ihnen zur Verfügung gestellten Informationen an den Staat weiterzuleiten, wird nicht diskutiert. Man kann lediglich die Dringlichkeit der Einführung von Sanktionen besprechen. Die Ereignisse, die im Laufe des letzten Jahres stattgefunden haben, sind sehr aufschlussreich. Die Software M.E.Doc wurde dazu missbraucht, den Virus NotPetya in der Ukraine zu verbreiten. Opfer dieses Angriffs wurden u.a. Regierungswebseiten, Energieunternehmen, Banken, Flughäfen und sogar das Atomkraftwerk Tschornobyl. Laut Cyperpolizei war das Ziel dieses Hackerangriffs nicht Gelderpressung sondern die Erfassung von Informationen. Darüberhinaus war es ein Versuch, die Abwehr von ukrainischen Systemen, die strategische Unternehmen verwalten, zu testen. Der Angriff erfolgte fast gleichzeitig mit dem Mord an Maxym Schapowal, einem Oberst der Nachrichtendienstverwaltung des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Die USA und Großbritannien haben Russland öffentlich beschuldigt, diesen Cyberangriff organisiert zu haben. Das Weiße Haus ist der Meinung, der Virus NotPetya habe Schäden in Milliardenhöhe sowohl in Europa und Asien als auch in Nord- und Südamerika verursacht und es habe sich somit um den größten Hackerangriff in der Geschichte gehandelt.
- Die USA warfen Russland Einmischung in Wahlen mit Hilfe von Bot-Farmen, Hacker-Tools und sozialen Netzwerken vor. Im Ergebnis wurden Sanktionen gegen den russischen FSB, GRU, neunzehn Personen und mehrere Organisationen in Russland eingeführt.
- In einem Sonderbericht beschuldigte das FBI und das Ministerium für innere Sicherheit der USA Russland, Hackerangriffe auf amerikanische und europäische Atomkraftwerke, Wasserversorgungssysteme und Energiesysteme durchgeführt zu haben.
- Die USA und Großbritannien warfen russischen Hackern einen Angriff auf Millionen Router weltweit vor. Deutschlands Geheimdienste halten diese Vorwürfe für gerechtfertigt.
Zweifelt noch jemand daran, dass die russischen sozialen Netzwerke, Dienste, Trollfabriken und Hacker bei den bevorstehenden Wahlen in der Ukraine und im Falle der russischen Invasion aktiv benutzt werden?
2. Die Sanktionen haben funktioniert, wenn auch nicht ausreichend
Laut den Ergebnissen einer Studie von Factum Group Ukraine befand sich „VKontakte“ im Dezember 2016 auf dem 2. Platz in der Liste der meist besuchten Webseiten in der Ukraine, mit einem monatlichen Umfang von 66% des Publikums. Eine Studie von Kantar TNS Ukraine zeigte im März 2018 auf, dass das soziale Netzwerk „VKontakte“ die TOP-10 der ukrainischen Webseiten verlassen hat und weiter abfällt – nun erreichte sie einen Umfang von 30,91 %. Ähnliche Katastrophe gab es auch bei „Odnoklassniki“ und „Yandex“. Der Umfang von „Yandex“ beträgt nun 24,74 % (verglichen zum monatlichen Umfang von 63% im Dezember 2016 und dem 4. Platz in den TOP-10 der ukrainischen Webseiten).
Einen dermaßen starken Absturz des Publikumsumfangs von „VKontakte“, „Odnoklassniki“ und „Yandex“ kann man qualitativ als sehr gut bezeichnen. Deshalb wurde auch die gesamte Kraft der russischen Propaganda darauf ausgerichtet, einem Teil der ukrainischen Gesellschaft den Zugang zu den russischen Diensten zu vereinfachen. In Russland wurde dies als eine Staatsaufgabe betrachtet: Berichte des russischen Außenministeriums und seiner Beamten wechselten sich mit Einführungen von Diensten ab, die ein „Umgehen von Sanktionen“ ermöglichten. Die Effektivität der Sanktionen gewährleistete die schnelle Reaktion von Providern, die trotz Behauptungen, dass die Sperre der russischen Webdiensten unmöglich sei, ihre Aufgabe im Großen und Ganzen sehr gut gemacht haben. Als ein Anzeichen für ihre erfolgreiche Arbeit diente die Tatsache, dass die Russen gezwungen wurden, eilig zu manövrieren, die VPN an ihre Software anzubinden und sich andere Umwege einfallen zu lassen. Zum Beispiel wurde so ein „Technikwunder“ wie das „Russofon“ entwickelt (der Name ist ein Vorschlag des Autors dieses Artikels): ein umprogrammiertes Smartphone für Android, das es erlaubt, ausschließlich „VKontakte“, „Odnoklassniki“ und manche Produkte von „Yandex“ zu benutzen. Die Mehrheit von ukrainischen Providern blockieren russische Internetdienste weiterhin erfolgreich. Zu einem angenehmen Bonus wurde dabei die Tatsache, dass russische Webseiten bei vielen ukrainischen Nutzern nicht mehr hochgeladen werden, da auf diesen Markierungen installiert sind. Somit wurde der Druck der russischen Propaganda auf ukrainische User noch mehr geschwächt.
Nichtsdestotrotz hat die Zeit bewiesen: Ein Schlupfloch für sanktionierte Internetdienste ist noch immer da, weil die Abdrängung nicht systemumfassend sondern eher eine einmalige Aktion war. Mit der Zeit sind einige Produkte – unter anderem die interessantesten hinsichtlich der Informationserfassung, wie z.B. „Yandex.Maps“ und „Yandex.Navigator“ – für ukrainische User wieder zugänglich geworden.
3. Verluste der Wirtschaft „außerhalb der Radars“
Bislang wurde keine Analyse der Verluste der ukrainischen Wirtschaft durch die gegen „VKontakte“, „Odnoklassniki“ und „Yandex“ eingeführten Sanktionen gemacht. Für ein indirektes Indiz der Verluste kann man die Angaben zum Wachstum/Fall des BIP halten. Die russische Propaganda hat das Ausmaß der eventuellen Verluste stark übertrieben. Wenn ihre Prognosen gerechtfertigt wären, so hätte das BIP der Ukraine 2017 nicht anwachsen dürfen. In Wahrheit hat sich herausgestellt, dass das BIP sogar stärker als geplant gestiegen ist. Im April 2017 prognostizierte die Weltbank einen jährlichen Zuwachs von 2%. Tatsächlich gab es einen BIP-Zuwachs von 2,1% in der Ukraine, dabei findet die Ukrainische Nationalbank, dass die Einstellung des Handels mit den durch Russen besetzten Teilen der ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk bewirkte, dass das BIP 0,9% verloren hat. Durch Probleme in der Agrarindustrie wurde der BIP-Zuwachs zusätzlich verlangsamt. Daher gab es durch die Sanktionen gegen russische Onlindienste keinen wesentlichen Einfluss auf die ukrainische Wirtschaft. Logisch wäre es anzunehmen, dass eine für ukrainische Firmen günstige Marktumverteilung (u.a. in der Werbebranche) auf den Zustand der ukrainischen Wirtschaft nur positiven Einfluss haben konnte.
4. Ersatz für russische Software gibt es überall
Wie die meisten Experten schon früher sagten, wurde für die russischen Software-Programme leicht Ersatz gefunden. Dieser entstand aus zwei Hauptquellen: Es fand ein Umstieg auf vergleichbare amerikanische und europäische Produkte sowie Entwicklungen eigener Software statt. Mit dem Umstieg auf vergleichbare Produkte ist alles klar: Nach der Sperrung von VKontakte und Odnoklassniki vergrößerte sich der Umfang von Facebook von 42% (Dezember 2016, vor Sanktionen) auf 67,98%. Für die Fans von Fotos und Bildern wurde VKontakte durch Instagram ersetzt, wodurch sein Publikum um 23,87% angewachsen ist, was um ein Viertel mehr ist, als in der Zeit vor den Sanktionen. Einige Produkte von Yandex werden zwar noch benutzt, doch seine Navigations- und Karten-Dienste werden langsam von Google-Produkten verdrängt. Die Zusatzdienste wie Yandex.Taxi verloren ihre Positionen an Uber und Uklon.
Die Sanktionen gegen die Buchhaltungssoftware „1C“ haben bis jetzt zu keinen stabilen Ergebnissen geführt, aber nur deshalb, weil die Ukraine auf einen Massenübergang auf ein neues Software-Produkt mit einem richtigen Preis-Leistungsverhältnis nicht vorbereitet war. Die Sanktionen wurden jedoch zum Auslöser für die Herstellung eines solchen Software-Produkts. Soweit wir wissen, sind die Produkte von SAP AG, Microsoft, „IT-Enterprise“, „Akzent“ und „A2“ (offline), sowie „MasterBuch“, „Dilowod“, „Oblik SaaS“, „Kasnatschej“ und andere (online) nun erfolgreiche Konkurrenten von „1C“-Software. Zugleich arbeiten mehrere Teams (BookKeeper SaaS und andere) an der Entwicklung einer vergleichbaren neuen ukrainischen Software. Im Ergebnis werden hoffentlich nicht nur weitere System-Schwachstellen in der ukrainischen Cybersicherheit beseitigt, sondern auch die archaische Kultur der Entwicklung von kyrillischem Programmcode bei der 1C-Software zerstört, die einen Teil der ukrainischen Entwickler in der Infrastruktur der russischen Wirtschaft festhält.
Schlussfolgerungen
- Die Sanktionen gegen die russischen sozialen Netzwerke und „Yandex“ haben sich als erfolgreich erwiesen: Sie haben etwa ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung aus der Infrastruktur der Erfassung und Verarbeitung von Informationen „befreit“. Russland hat eine derartige Menge an Big Data verloren, dass dies sich zweifellos auch auf die Qualität der Information auswirkt. Die Widerstandsfähigkeit der Ukraine gegenüber der russischen Bedrohung ist wesentlich stärker geworden.
- Die ukrainische Wirtschaft hat keine bedeutende Verluste getragen – im Gegenteil, die Sanktionen stimulierten die Entwicklung von eigenen ukrainischen Software-Produkten.
- Die Sanktionen gegen russische soziale Netzwerke und „Yandex“ bleiben reversibel und funktionieren nicht vollständig.
Dieses Material wurde von Michailo Makaruk exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Zoya Schoriwna/ Irina Schlegel; korrigiert von Klaus H. Walter. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
(Creative Commons — Attribution 4.0 International — CC BY 4.0 )
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