Am 6. Juni 2016 veröffentlichte eine Quelle aus „ORDILO“ (besetzte Territorien im Luhansker und Donezker Gebiet) das E-Mail-Archiv von Jelena Nikitina – der sog. „Informationsministerin“ der terroristischen Organisation „DVR“. Die Größe des Archivs beträgt ca. 11 Gb und enthält fast 10 000 Briefe, die aus dem Zeitraum zwischen Februar 2015 und April 2016 stammen. Einen bedeutenden Platz nimmt dort die Korrespondenz zwischen Nikitina und einem gewissen Alexander ein, der die E-Mail-Adresse kashalot74@mail.ru besitzt. Diese Korrespondenz beinhaltet ca. 400 Briefe, d.h. es handelt sich um faktisch einen Brief täglich. Der Charakter dieser Korrespondenz zwischen Nikitina und Alexander-kashalot74 läßt keine Zweifel übrig: die Beziehung zwischen ihnen ist die eines Kurators und der ihm untergeordneten Person. Wir führen ein paar Zitaten an, die sehr charakteristisch für diese Korrespondenz sind:
- Nikitina an Kashalot: „Ich warte auf ein Signal zum Absenden nach Msk“ (Moskau) (Brief vom 28.02.2016, Absender: editor11). Der Brief hat einen Anhang – einen Antrag auf die Ausrüstung für die „DVR“.
- Kashalot an Nikitina: „Das Video ist gut. Aber Gubarev ist bis zum 15. streng verboten“ (Der Brief ist vom 08.02.2016, Absender: Alexander). Das ist die Antwort des Kurators auf die Anfrage über die Möglichkeit irgendein Video zu zeigen, in dem Gubarev figurieren soll.
- Im Brief vom 09.02.2016 schreibt der Absender Alexander an Nikitina: „Andrej bittet um die Erlabnis eine Besprechung mit den Chefredakteuren der DVR-Medien, unter Teilnahme von Vertretern des Verteidigungsministeriums, Staatssicherheitsministeriums und politischen Beratern (also ich mit Andrej) organisieren zu dürfen. Thema: Organisation von Zusammenarbeit, mediale Planung, Realisierung von speziellen Projekten“. Nach einer kurzen Debatte wurde die Besprechung auf Freitag, den 12.02, festgelegt, und gleich am Montag, den 15.02, verschickt das „Informationsministerium“ an alle andere „Ministerien“ der sog. „DVR“ folgende Mitteilung (16.02.2016, Absender Alexander) „Sehr geehrte Kollegen! In Bezug auf die Ergebnisse der Besprechung vom 12.02.2016 übersenden wir Ihnen einen Brief mit der Bitte uns die medialen Entwürfe für Veranstaltungen der Ministerien und Ämter zukommen zu lassen. Senden Sie bitte die Pläne an die folgende E-Mail-Adresse: kashalot74@mail.ru und die Kopien an info_dvpdnr@mail.ru. Die Entwürfe von Ministerien und Ämtern der sozial-wirtschaftlichen Richtung und dem erziehungs-patriotischen Block sind besonders wichtig!“
Einen Brief aus dieser Korrespondenz kann man auch im E-Mail-Archiv des sog. „DVR-Transportministeruims“ finden, das bereits früher von Jewgenij Dokukin veröffentlicht wurde. Wer ist denn dieser Betreuer kashalot74 beziehungsweise Alexander? Lasst uns mit der Suche beginnen. In dem bereits bekannten Archiv von Nikitina gibt es einen Brief vom 19.02.2016, Absender ist Perschina, Empfänger – derselbe kashalot74. Der Brief beginnt mit „Guten Tag, sehr geehrter Alexander Pawlowitsch!“ – aha, merken wir uns den Namen des Vaters.
Dann finden wir im sozialen Netzwerk „Moj Mir“, das bekanntlich zum Service mail.ru gehört, das Profil des E-Mail-Besitzers.
Das Profil ist leer, aber wir merken uns das Geburtsdatum: 7. Mai 1974. Als Nächstes öffnen wir den Internet-Funktool „Zello“. Für die Suche nach dem Benutzer nehmen wir seine E-Mail-Adresse und stellen fest, dass die E-Mail kashalot74@mail.ru zum Benutzer mit demselben Namen kashalot74 gehört. Hier ist sein Profil:
Merken wir uns die Stadt: Murmansk. Und gehen zur nächsten Informationsquelle über – zu YouTube. Der Benutzer Wladimir Auto besitzt eine große Sammlung von Aufnahmen der Zello-Gespräche. Wir interessieren uns für eine davon: Nachrichten 3.07.2014 von Kashalot74 (Alexander) (Das Video wurde vorsichtshalber mit Untertitel ausgestattet). Die Aufnahme stellt die Erzählung eines Zello-Benutzers namens Alexander mit dem uns bereits bekannten Pseudonym kashalot74 dar. Kashalot erzählt Einzelheiten aus seiner Reise nach Kramatorsk Anfang Juli 2014 – über die Lieferung von „humanitärer Hilfe“ aus Murmansk. Dazu kommen wir später, jetzt aber schauen wir auf die obere rechte Ecke des Bildes – das Gespräch findet auf dem Zello-Kanal namens „Kashalot Nachrichten“ statt. Aus dem Gespräch geht hervor, dass der Hauptorganisator und Moderator auf diesem Kanal kashalot74 ist. Bei Minute 1:02 der Videoaufnahme sagt Kashalot folgendes: „Es wird eine neue Bankkarte angegeben, die zusammen mit meiner Karte in der Gruppe veröffentlicht werden soll. Das bezieht sich auf Spendensammlung für humanitäre Hilfe“. Na, wir sind sehr nah am Ziel. Im sozialen Netzwerk „VK“ lässt sich leicht die Gruppe „Kashalot Nowosti“ (Kashalot Nachrichten) finden. In den Gruppendiskussionen finden wir das Thema „Spenden für Noworossija“, in der wir auch die Nummer der Karte finden:
Als Empfänger wird Paschin Alexander Pawlowitsch angegeben. Jetzt bleibt uns nur, ihn näher kennenzulernen. Alexander Paschin aus Murmansk besitzt einen Account im sozialen Netzwerk „Vkontakte“ und einen im „Odnoklassniki“.
Wichtiger Hinweis: ein virtuelles Geburtstagsgeschenk von „Odnoklassniki“ kam am 7. Mai an, und in seinem Profil bei „VK“ ist das vollständige Geburtsdatum angegeben: 07. Mai 1974. Interessante Übereinstimmung mit mail.ru. Beim Durchsuchen der Bilder von Alexander Paschin finden wir wieder mal seinen Vatersnamen: Pawlowitsch.
Und die Medaillen, die er von den terroristischen Organisationen erhalten hatte, haben ihm seinen verdienten Platz in der Datenbank von „Myrotworez“ gesichert.
Die Information über die Reise von Paschin nach Kramatorsk Anfang 2014 ist sehr gut auf verschiedenen Seiten dokumentiert worden. Ihre Einzelheiten stimmen mit der Erzählung von Kashalot auf Zello absolut überein, was ein weiteres Mal bestätigt, dass wir uns nicht geirrt haben. Der TV-Sender „TW21“ aus Murmansk hat über diese Reise eine dreiteilige Dokumentation gedreht: Teil 1, Teil 2, Teil 3. Am Ende vom ersten Teil sprechen die Journalisten mit Paschin selbst und seine Stimme unterscheidet sich nicht von Kaschalots Stimme auf Zello. In derselben Gruppe „Kashalot Novosti“ bei „VK“ gibt es einen Fotobericht von Kashalot, ebenfalls über diese Reise. Das Ganze wird durch Fotos auf der Seite von Paschin ergänzt, z.B. dieses hier (Im Hintergrund ist die durch Terroristen beschossene Schule Nr. 24 zu sehen).
Und schließlich wurde ein großer Bericht bei Livejournal veröffentlicht. Wenn man sich ein wenig Mühe gibt und die Seite komplett durchscrollt, sieht man folgenden Kommentar:
Der Autor dieses Kommentars ist der Besitzer der Adresse kashalot74@mail.ru, und die Antwort selbst lässt keine Zweifel übrig, dass es ein unmittelbar Beteiligter und kein zufälliger Leser schreibt.
Über den genauen Inhalt von „humanitärer Hilfe“, die Paschin nach Kramatorsk brachte (Nachtvisiergerät PN-23 und Befestigungswinkel AL6 ), erfahren wir durch das Foto aus der Gruppe „Kashalot Nowosti“:
Und hier finden Sie eine Auflistung der Inhalte von den Minivans, über die man offen schreiben durfte. Was dabei Paschin verschwiegen hat, kann man nur ahnen. Z.B. bemerkte der User blogger51, dass russische Munition, die ukrainische Streitkräfte nach der Befreiung von Slowjansk gefunden haben, aus dem Murmansker Gebiet Russlands stammte. Eine weitere interessante Übereinstimmung…
Und hier noch ein paar Einzelheiten aus der Biographie von Paschin, die man im Internet finden kann. Seine Dienstlaufbahn begann er als Journalist, war aber wohl kein einfacher Journalist. Hier ist ein Foto aus seiner wilden Jugend (Dagestan, 2000)
In 2002 veröffentlicht der Journalist Alexander Paschin einen Bericht über die Bergung des untergegangen U-Boots „Kursk“. Etwa zur selben Zeit – es war das dritte Jahr des Zweiten Tschetschenischen Krieges – macht er einen Bericht über die Arbeit von Spezialeinheiten des FSB in Tschetschenien. Paschin selbst taucht in diesem Bericht bei der Minute 0:30 und 3:50 auf, bei 6:47 hört man: „Alexander Paschin. Ergebnisse. Tschetschenien“. Anfang 2000 wurde Paschin möglicherweise der FSB-Speznaseinheit „Kasatka“ zugewiesen, die im Murmansker Gebiet stationiert war. Unter Paschins Videoaufnahmen bei „Vkontakte“ gibt es einige Clips, die alle mit demselben Logo anfangen. Eins von diesen Videos wurde auf der Seite von Speznas veröffentlicht:
Unten lesen wir: Autor des Clips – Alexander Paschin, 2005. Damals war er noch ein Krokodil, kein Kaschalot (zu dt. „Pottwal“). Ein anderer Clip mit derselben Intro heißt „10 Jahre ROSN UFSB Russlands im Murmansker Gebiet „Kasatka“. Weil die „Kasatka“-Einheit 1994 gegründet wurde, muss das Video von 2004 sein. 2009 war der Zweite Tschetschenische Krieg zu Ende und die wertvollen FSB-Mitarbeiter wurden immer dringender für administrative Tätigkeiten gebraucht. Im Sommer 2009 arbeitet Paschin bereits in der Verwaltung der Stadt Murmansk. Im August 2009 wird er auf den Posten des Leiters der Abteilung für Zusammenarbeit mit den Medien der Stadt Murmansk befördert. 2010 wird er in derselben Position erwähnt. Und noch im März 2009 hinterlässt der Autor des Accounts kashalot74@mail.ru folgenden Kommentar (ganz am Ende der Seite), der seinen guten Wissenstand über das politische Leben von Murmansk demonstriert.
Einige Zeit arbeitete Paschin in der Organisations- und Personalarbeit-Abteilung in der Verwaltung der Stadt Murmansk (das Datum konnte nicht ermittelt werden). Die Rolle von Kaschalot in der Koordination von Medien der Donbass-Terroristen wurde bereits April 2014 erwähnt.
Leider hatte man damals diesem Menschen keine Aufmerksamkeit geschenkt. Die Korrespondenz zwischen Nikitina und Kassalot gibt uns zu verstehen, dass er per April 2016 in Donezk lebt und dass sie sich regelmäßig treffen. Dort war er auch Anfang Mai 2016: er fotografierte die Parade am 9. Mai und machte einen Selfie mit einem von seinen Schutzbefohlenen.
Ein Foto von der Parade, das Paschin gemacht hat, wurde in der Zeitung „SewerPost“ veröffentlicht, wobei Paschin als eigener Korrespondent bezeichnet wird. Offensichtlich ist diese Dienststellung seine heutige Deckung.
Sieht ganz danach aus, dass Paschin sich sehr gekonnt für einen Journalisten ausgibt, in Wirklichkeit aber ein Kurator des unteren Ranges ist, ein Art Kanal der unmittelbaren Übergabe von Dienstanweisungen aus Moskau an die Vollzieher in den okkupierten Territorien.
Dieses Material wurde auf der Basis eigener OSINT-Untersuchung von Maria Golubewa exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Zoya Schoriwna/Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
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