Wegen einer ununterbrochenen Flut an Ermittlungen und allgemeinem Zeitmangel wurde unsere Berichterstattung über eine interessante Veranstaltung, die wir seit längerer Zeit für unsere Freunde und Leser veröffentlichen wollten, verzögert. Doch besser spät als nie. Und damit keine Dinge im dahinscheidenden Jahr unerledigt bleiben, werden wir heute darüber berichten.
Die OSINT-Experten der internationalen Freiwilligengemeinschaft InformNapalm wurden als Lektoren zur baltisch-ukrainischen Konferenz Resilience League 2016 eingeladen, die vom 25. bis zum 29. Oktober 2016 in Estland stattfand und sich mit dem Thema des verstärkten informativen und psychologischen Widerstands gegenüber den modernen hybriden Bedrohungen beschäftigte.
Die Teilnehmer-Auswahl war nicht zufällig: Zurzeit kämpfen die Ukrainer wortwörtlich an allen Fronten gegen die russischen Aggression, und baltische Länder befinden sich permanent im Informationsvisier der russischen Propaganda. Der gemeinsame Feind ist bekannt, doch wie soll man mit ihm umgehen im Zeitalter des hybriden Kriegs?
Die Gäste der Veranstaltung sind Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, politische Experten, Militäranalytiker und Journalisten, die bei sich zuhause und im Ausland bereits ziemlich bekannt sind. Die herbstliche Schulung wurde von Eric Povel eröffnet, einem NATO-Offizier aus der Abteilung für Presse und Information, der für die Entwicklung und Realisierung von Informationsprogrammen im Afghanistan zuständig ist. In seiner Begrüßungsrede erwähnte er die Problematik der strategischen Kommunikation, sowie die Besonderheiten des Vorgehens gegen die informativ und psychologische Tätigkeit der Russischen Föderation.
Einer der ersten Gäste der Schulung war Ewgenij Magda – ein bekannter Politikexperte, Journalist, Historiker, Direktor des Büros für Widerstand gegen den hybriden Krieg. Zu einen richtigen Überraschung wurde die Anwesenheit von Marina Kaljurand – einer Funktionärin von Estland, erfahrener Diplomatin und Leiterin des Außendienstes. Eine ziemlich lebhafte Diskussion mit Tomas Jermalavicius – dem Untersuchungsleiter am Internationalen Zentrum für Verteidigung und Sicherheit (ICDS) und einem der führenden Experten in Themen, die mit Verwaltung im Bereich Verteidigung und Sicherheit zusammen hängen, einen berühmten Analytiker des staatlichen Verteidigungspotentials, wurde zu einem Highlight der Veranstaltung. Ziemlich überzeugend und argumentreich erzählte er den Schulungsteilnehmern über die Militärmacht als einem Kommunikationswerkzeug.
Außerdem durften die Schulungsteilnehmer bei der Audienz mit der Präsidentin von Estland Kersti Kaljulaid mitdabei sein, was den hohen Status der baltisch-ukrainischen Veranstaltung zusätzlich betonte.
Auf dem Foto: Estlands Präsidentin Kersti Kaljulaid hält eine Rede bei der Resilience League 2016, die an dem Tag ihren ersten innenstaatlichen Besuch in Narva abstattete.
Bei den übersichtlichen und praktischen Seminaren hielten folgende Personen Ansprachen: Dr. Kristina Kallas – Direktorin von Narva-College an der Tartu Universität, Alexej Günther – Kommunikationsberater in der Regierung der Republik Estland, Wiatscheslaw Gusarow – ein Experte am Zentrum der militärisch-politischen Forschung, Andis Kudors – der Geschäftsführer am Zentrum für Forschungen der Politik Osteuropas, Oberst Vytautas Reklaitis – Verwaltungsleiter am Zentrum für Kompetenz der strategischen NATO-Kommunikation.
Oleg Pokaltschuk – ein ukrainischer Sozialpsychologe und Leiter des operativen Informationsnetzwerks am Zentrum für Social Engeneering „Die Erkennung und Analyse von nichtsystematischen Tätigkeiten“; Dmitrij Solotuchin, ein Berater am Ministerium der Informationspolitik der Ukraine; Dr. Nerijus Maliukevičius – ein litauischer Dozent am Institut für internationale Beziehungen und Politikwissenschaften an der Universität Vilnius; Aleksandr Golubow, Politischer Kommentator, DW-Korrespondent in Kiew, und andere.
Alle Schwerpunkte, die mit dem informativen und psychologischen Widerstand gegen die moderne russische hybride Bedrohung im Zusammenhang stehen, wurden berücksichtigt und analysiert, was zweifellos dazu beiträgt, dass die baltisch-ukrainischen Beziehungen im Bereich der nationalen Sicherheit eine qualitativ neue Dimension erreichten.
Estland.
Estland empfing uns mit…Schnee. Wir haben das Wetter geprüft und wussten, dass es hier kälter wird als zuhause, aber auf den ersten Schnee waren wir doch nicht ganz vorbereitet. Doch dank der freundlichen Atmosphäre verlief der Eingewöhnungsprozess ziemlich unbemerkt.
Die eigentliche Veranstaltung fand im Kurort-Städtchen Narva-Jõesuu, das a der Mündung des Flusses Narva, 14 Kilometer von der gleichnamigen Stadt liegt. Das interessante dabei ist, dass die Besprechung des Hauptproblems der Region – Russland und seine Weltanschauung – in unmittelbarer Nähe zur Staatsgrenze der Russischen Föderation stattfand. Vom anderen Ufer der Narva schauten grimmig die im Wald geschickt versteckten Wachtürme und ziemlich gelangweilte russische Grenzsoldaten zu uns rüber.
Gleich nach der Ankunft ging unsere Delegation auf die Erkundung von einheimischen Sehenswürdigkeiten und entdeckte für sich den Ostsee: Kilometer von perfekt breiten Stränden, die Uferlinie, die auf einer Seite hinter dem Horizont auf der anderen an Nadelwälder endet. Die Natur in Estland ist wunderschön, vielleicht gelingt uns irgendwann diese Region zu einer wärmeren Jahreszeit zu besuchen.
Tagesablauf
Täglich wurde bei den Seminaren die Vorgehensweise der russischen Propaganda und die Wege zu ihrer Bekämpfung besprochen. Es war sehr interessant, über die unterschiedlichen Wege damit umzugehen zu erfahren. Sehr oft wurde die Verbesserung der Medienkompetenz bei der Bevölkerung und die Erziehung des kritischen Denkens bei den Menschen angesprochen. Wobei auch die Methode der Gegenpropaganda nicht ausgeschlossen wurde.
Es war interessant, die Berichterstattung der russischen Medien über die Situation in Estland anzuschauen – viele Aspekte erinnerten stark an die Berichte derselben Medien über die ukrainische Situation.
Bei den Seminaren fiel öfters mal der Begriff “Hybrider Krieg“ – wie man dagegen ankämpft und wann man die Panzer erwarten sollte. Es war u.a. auch hilfreich zu verstehen, in welcher Konfliktphase wir uns befinden und was wir in der Zukunft erwarten sollen.
Egal, wie stark die russische Propagandamaschine zu sein scheint – wichtig sind die Informations- und Psychologieaspekte des menschlichen Verhaltens in solchen Situationen zu verstehen. Außerdem war es sehr interessant, die Information als eine Waffe zu betrachten. Besondere Beachtung schenkte man den Journalisten, mit deren Arbeit man sich an einigen Beispielen detailliert auseinandersetzte. Unter anderem wurden die Fragen zum Informationskrieg zwischen der NATO und RF besprochen.
Die Lektoren von InformNapalm hielten ihren Vortrag am letzten Tag. Sie zeigten anschauliche und praktische Beispiele zum Einsatz von OSINT-Ermittlungen bei der Bildung von staatlicher Informationspolitik im Widerstand gegen die russische Aggression.
Jeden Abend besuchte uns ein bekannter Sprecher, der uns über seine Erfahrungen „off the records“ erzählte. Danach folgten mehrstündige Diskussionen, die häufig bis tief in die Nacht und am letzten Tag sogar bis zum frühen Morgen andauerten. Solche Diskussionen über die brandaktuellen Themen waren wohl die besten Zusatzergebnisse dieses Treffens.
Chatham House Rule
Alle Diskussionen verliefen nach den Regeln von „Chatham House“- eines der ältesten Analytikzentren Großbritanniens: Die Diskussion findet unter Berücksichtigung des Prinzips der Anonymität des Gesprächs statt, die Autoren von diesen oder jenen Ideen oder Thesen dürfen nicht genannt werden.
Doch gerade diese Regel hat eine Welle der Unmut in der „Watnik“-Gemeinschaft von Estland ausgelöst. Die dortigen führenden prorussischen Medien haben sofort angefangen, Berichte über, wie sie hämisch behaupteten, „NATO-Politruken“ („Politruk“ oder „Politoffizier“ – russ. „eine militärische Dienststellung bei den Streitkräften realsozialistischer Staaten mit einem politischen Auftrag).
Das geschlossene Seminar in der estnischen Provinz wurde dank prorussischen Medienressourcen zu einem der Hauptereignisse des Jahres. Man kann sich wohl keine bessere Werbung für diese Veranstaltung vorstellen.
Lasst uns doch als Beispiel die Schlagzeilen auseinandernehmen (Das Europäische Parlament hat ja nicht umsonst die russischen Medien mit der IS-Propaganda gleichgesetzt):
- „Die Baltik-Staaten benutzen für die Ausbildung antirussische Propagandisten “
- „In Estland eröffnete eine russischsprachige Schule für NATO-Politruken“
- „Antirussische Schule Resilience League 2015 in Estland: Die Veröffentlichung der Namen von Autoren ist verboten“
- „Bereitet die russischsprachige „Schule“ in Estland für NATO-Gelder einen antirussischen Angriff auf das Runet vor?“
- „In Estland wird eine antirussische Jungend erzogen“
- „Russischsprachige Schule für die NATO-Politruken“
- „In Estland fand eine Schulung zur Erziehung von antirussischen Propagandisten statt“
Wie Ihr seht, waren die russischen Propagandisten nicht besonders zimperlich in ihrer Wortwahl. Doch auf blinde Aggression reagieren wir längst nicht mehr. Den Autoren von diesen Texten ist offensichtlich die Schlüsselregel nicht bekannt: Die gesamte Diplomatie findet hinter den geschlossenen Türen statt.
Vorläufige Ergebnisse
Obwohl die OSINT-Experten von InformNapalm zum ersten Mal als Lektoren an einer Konferenzen teilnehmen dürften, haben viele Anwesenden bestätigt, dass die Vorlesungen sehr interessant und inhaltsvoll waren. In der Anfangsversion hatten wir ca. 300 Folien, mehrere Videos und eine große Menge an anderen praktischen cases vorbereitet. Zum Schluss müssten wir leider auf vieles verzichten, damit die für uns vorgesehenen 4 Stunden Vorlesung nicht überschritten werden. Anfangs dachten wir auch, dass 4 Stunden viel ist, letztendlich stellte sich aber heraus, dass man viel mehr von solchen Vorlesungen halten könnte.
Eine weitere Schwierigkeit bestand in der eigentlichen Übermittlung von Information an die Menschen, die den Krieg nicht kennen. Es ist uns aber gut gelungen.
Erwähnenswert ist, dass während der Vorbereitung zur Vorlesung, unmittelbar während der Sitzung wir einen sehr interessanten case für die estnische ********** ( Ja, die Chatham Hous Regel wirkt) fanden – es war sehr anschaulich und mit einem Hauch von einheimischem Kolorit.
Die Reise nach Narva und die Grundlagen der Diplomatie
Wir hatten Glück, dass gerade an diesen Tagen die neugewählte Präsidentin von Estland Kersti Kaljulaid ihre ersten innenstaatlichen Besuche ablegte. Als die Schulung stattfand, besuchte sie gerade Narva und trat vor den Studenten des Narva College an der Tartu Universität auf – die Teilnehmer von Resilience League 2016 durften ebenfalls dabei sein.
Doch sogar diese harmlose Veranstaltung und unsere Teilnahme daran haben die russischen Medien nicht außer Acht lassen können. Angeblich sei eine Diskussion friedlichen Charakters von uns in Richtung „Kriegsthemen“ gelenkt worden. Tja, mal wieder haben die „bösen Russophoben“ das friedliche Russland umzingelt.
Manchmal erschüttert mich die Logik der russischen Medien, die zunächst seinen Nachbarn fröhlich berichten, dass sie die Möglichkeit, die Welt in eine „radioaktive Asche“ zu verwandeln, in Betracht ziehen und später wundern sie sich, dass Russlands Nachbarn, die immer noch die russische Sprache sehr gut beherrschen, diese Nachrichten mit vollem Ernst betrachten. Und daraufhin die Veranstaltungen wie die Resilience League 2016 durchführen, in der Hoffnung einen Weg zu finden sich der russischen Bedrohung zu widersetzen. Nicht wir sind diejenigen, die diese Konfrontation eingeleitet haben. Wie allerdings einer der Lektoren pragmatisch zusammenfasste: „Wir, der Westen, werden sowieso gewinnen, denn wir besitzen einfach mehr Ressourcen“. Falls sich Russland gerne mit dem Westen auf der ideologischen Front anlegen möchte, sollte es sich daran erinnern, wie der Kalte Krieg für es endete. Wir können’s wiederholen, zur Not…
Dieses Material wurde von Anton Pawluschko und Denis Iwaschin exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Zoya Schoriwna; editiert von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
(Creative Commons — Attribution 4.0 International — CC BY 4.0 )
Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
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