Hab‘ beschlossen, über den Bericht der russischen Opposition „Putin. Krieg“ zu schreiben.
Gefallen tut mir daran faktisch gar nichts. Angefangen bei dem Titel, der Entschuldigung, aber fast wie „Weg der Kriegers“ (Anm.d.Red.: auf Russisch bedeutet „Put“- ein „Weg“) klingt und bis hin zu dem Inhalt.
Der Bericht war seiner ursprünglichen Idee nach der Präsenz von russischen Streitkräften in der Ukraine gewidmet.
Am Ende nahm die monumentale Arbeit die Form eines 65-seitigen Textes an. Genauer gesagt sind da 40 Textseiten und viele schöne Bilder, Graphiken, wie auch ein Druckspiel mit den Schriften.
Über den eigentlichen Krieg ist da noch weniger – ungefähr 10-20 Textseiten.
Sie schreiben über die Krim (Wozu? Macht einen separaten Bericht darüber), über die Propaganda, die absteigenden Ratings Putins, die wirtschaftlichen Verluste Russlands und sogar über die Boeing, aber speziell über den Krieg sind da die Seiten 16-41 (Kapitel 4. Russische Militärangehörige im Osten der Ukraine/ Kapitel 5. Freiwillige oder Söldner?/ Kapitel 6. Gruz-200/ Kapitel 7. „Militärhandelsorganisation“ von Wladimir Putin).
Als „Beweise“ werden Zitate von Sachartschenko und Girkin angeführt, von welchen sie sich im entscheidenden Moment der Gerichtsverhandlung lossagen werden – ist doch klar, dass man sie falsch verstanden hat und alles aus dem Kontext riss.
Weiter werden wir an die 10 gefangenen Fallschirmjäger der Einheit Nr. 71211 erinnert. Der SBU nahm mit ihnen ein Video auf und kurz werden uns ihre Aussagen wiedergegeben. Wir werden an den gefangengenommenen Petr Chochlow aus der Einheit Nr. 545046 erinnert. Sie fügen noch vier Gefangengenommene aus dem SBU-Video vom März 2015 hinzu. Aber sogar hier schaffen sie, ihre Nachnamen nicht anzugeben. Informationen zu ihnen zu finden dauert ein paar Stunden, und zwar für jeden Interessenten. Aber die russische Opposition schreibt diesen Bericht monatelang.
Über manche Gefangengenommene wurde gar vergessen, was seltsam ist, denn die Ukrainer nahmen sie in Ilowajsk und seiner Umgebung fest („SBU veröffentlichte ein Video der Festnahme von russischen Soldaten in Donbass“):
– Andrei Balobanow, Einheit Nr. 65349 – wurde noch im Juli 2014 gefangengenommen.
– Ruslan Achmetow und Arsenij Ilmitow, Einheit Nr. 73612 – 28. August 2014, bei Ilowajsk.
– Wladimir Burakow, Einheit Nr. 32515- 30. August, bei Ilowajsk.
– Eugen Tur, Einheit Nr. 30616.
Und das sind nur die Soldaten, die jedem bekannt sind – es gibt ja noch Haufen komische gefangengenommene Typen a la Fedortschenko (Wann kommt er eigentlich in die Ukraine seinen Pass abzuholen?).
Über die Militärangehörigen der russischen Armee, mit Namen und anderen genauen Angaben, kann die russische Opposition ja zum Beispiel hier nachlesen: „Wieviele russische Berufssoldaten sind in die ukrainische Gefangenschaft geraten?“
Der Oppositionelle Jaschin beschwerte sich, dass viele Photos schwer den Geotags zuzuordnen sind. Na, helfen wir doch der Opposition. Hier zum Beispiel, unweit des Dorfes Tschewonisilske, da wurden auch die vier Gefangenen aus dem SBU-Video photographiert.
Oder hier zum Beispiel, im ukrainischen Krasnodon (Luhansker Gebiet).
Oder hier über die Samarer „Friedensstifter“ in Krasnodon.
Oder hier über die 205. Brigade, die Tonnen von Selfies in Horliwka geschossen hat: „Russische Volkswehr-Söldner der 205. motorisierten Schützenbrigade in der Ukraine“.
Anm.d. Red: allgemein bei uns die Kategorie „Photo und Videobeweise“ schauen – da sind TAUSENDE Photos mit Geotags…
Na, wenigstens haben sie den berühmten Burjaten Dorschi Batomunkujew erwähnt, haben aber seinen Kommandeur Spartak Tipanow und Alexander Minakow vergessen. (Zu Dorschi: „Russische Medaillen und russische Journalisten bestätigen monatealte Infos von InformNapalm“).
Nun zu russischen Waffen. Wie konnte die russische Opposition zum Beispiel vorgehen?
Richtig: Internet aufmachen, InformNapalm eintippen und da Photos von verschiedener Militärtechnik einsammeln, wie SPW-97 in Luhansk usw.
Und weiter könnte sich die Opposition mal die Frage stellen, wohin eigentlich die SPWs aus den Samarer Stützpunkten verschwunden sind…
Über den Gruz-200 wurde ziemlich bescheiden und schätzend geschrieben.
Es sind zwei überall bekannte Namen erwähnt: Osipow und Kitschatkin. Das war’s. Dabei könnten sie ja über mindestens 400 gefallene Russen von der Ressource „Gruz-200“ schreiben: http://cargo200.org. Oder sich das Projekt „Mirotworez“ mal anschauen: https://psb4ukr.org – da gibt es doch sehr viele interessante Gestalten.
Sagen wir mal so: mich interessiert in so einem Bericht wenig, wer denn jetzt die Boeing abgeschossen hat, dafür interessiert mich doch sehr, wer auf einer 6500 Meter Höhe den ukrainischen militärischen AN-26 abschoss. Für die Boeing-Untersuchung gibt es InformNapalm („Die letzte Reise des russischen Soldaten für MH-17“).
Und man braucht doch gar nicht ein ganzes Kapitel dem Oppositionellen Parchomenko zu widmen.
Im Kapitel „Was kostet der Krieg gegen die Ukraine?“ ist es irgendwie so schlau herausgekommen, dass der Krieg gegen die Ukraine billiger als der Unterhalt von ukrainischen Flüchtlingen ist: 53 gegen 80 Milliarden Rubel.
Weiter kommt heraus, dass die Kosten für den Militärtechnikeinsatz nur 7 Milliarden Rubel betrugen. Wie kommt diese Zahl zustande?
Erst müht sich ein russischer oppositioneller Wirtschaftler – scheinbar war das Alexaschenko – am Interview mit dem Uralsker Söldner und seiner Erzählung über die Kosten eines „Freiwilligen“ ab. Dann multipliziert er das mit der ungefähren Anzahl der „Freiwilligen“ und kommt auf 46 Milliarden Rubel. Und weiter zitiere ich: „Fügen wir noch 15% Kosten für die Nutzung, Reparatur, Bedienung der Militärtechnik, für ihren Transport aus den russischen Depots hinzu – noch 7 Milliarden Rubel“.
Dazu wird ein Hinweis auf den Auftritt von Turtschinow gegeben, woraus nicht ganz klar ist, woher diese Zahl stammt und warum es 15% sind?
Lesen wir weiter: „Lasst uns doch hierbei annehmen, dass die ganze Munition, die von den Separatisten genutzt wird, für veraltete Arten der Ausrüstung bestimmt ist, aus den Depots genommen wurde, und nicht mehr in Russland hergestellt wird. Nehmen wir auch an, dass die ganze in Donbass zerstörte russische Militärtechnik nicht wiederhergestellt wird: weder repariert, noch werden durch das Verteidigungsministerium Russlands weitere Technikeinheiten eingekauft“.
Hmm… naja, die Preise für die GRAD-Geschosse unterscheiden sich um Einiges und nicht alle davon sind aus alten Beständen. Und gerade diese Beschüsse gab es im Laufe dieses Kriegsjahres Tausende.
Wenn die Depots leer und alte Geschosse verbraucht werden, müssen die Depots mit neuer Munition gefüllt werden. Und im Feuer des Krieges verbrennen Betriebsstoffe, Helme, Schutzwesten, Optik, Uniform und noch Tausend Kleinigkeiten, die von jedem einzelnen Russen bezahlt werden.
Zum Beispiel kostet die Reparatur des bei Debalzewe verbrannten burjatischen Panzers dem russischen Staatsbudget von 1 bis 2 Millionen Dollar. Man muss an seiner Stelle entweder einen alten T-72 für das Geld modernisieren, oder aber den teueren Armata (400 Millionen Rubel) oder den neuen T-90 (bis zu 100 Millionen Rubel) kaufen.
Oder stellen wir doch mal die Frage, wer denn jetzt die stationäre Behandlung der verbrannten Panzerbesatzung bezahlt? Oder die Amputation vom Bein des Fallschirmjägers Koslow? Wer zahlt ihm jetzt die Invalidenrente bis zu seinem Lebensende? …
Am Ende ruft der Bericht bei der Watte nur ein Grinsen hervor, und bei wissenden Bloggern – Ratlosigkeit.
Man bekommt den Eindruck, dass die russische Opposition den Bericht flüchtig erledigte, sich einer sehr beschränkten Auswahl an Quellen bediente und sich in das Wesen des Problems gar nicht sonderlich vertiefte. Zum Andenken von Boris Nemzow hätte man einen beispielhaften Bericht herausgeben sollen. Etwas, was gezeigt hätte, dass die Opposition in Russland am Leben ist. Am Ende ist es aber sehr schwach geworden…
Dieses Material wurde von Anton Pawluschko speziell für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unser Projekt erforderlich.