von Anton Pawlushko
Ich wollte schon lange einen ausführlichen Artikel über die malaysische Boeing MH17 schreiben. Gleich nach der Tragödie gab es massenweise Material und Meinungen dazu, weswegen ich mich entschieden hab, nicht sofort darüber zu schreiben. Schlussendlich komme ich erst jetzt auf das Thema zurück. Ich habe den Artikel bewusst nicht auf der Hauptseite von InformNapalm veröffentlicht, sondern hier in meinem Blog. Der Artikel stellt meine persönliche Einschätzung dar, welcher eineinhalb Jahre Kommunikation mit einer Vielzahl von Spezialisten und Zeugenaussagen zugrunde liegen. Es ging darum, zu verstehen wo die Stärken und Schwächen jeder Hypothese liegen. Darum positioniere ich den Artikel als meine eigene Meinung.
Welches Perwomajsk(oje)?
Unmittelbar nach dem Flugzeugabsturz hat der SBU (ukrainischer Geheimdienst, Anm. d. Übers.) eine Audioaufzeichnung eines Gesprächs der Russen veröffentlicht, in dem es um die Verlegung eines Buk-Startfahrzeugs in die Gegend der Ortschaft Perwomajskoje ging:
Aus der Aufzeichnung erfahren wir, dass das Buk-System ursprünglich die ukrainisch-russische Grenze bei Suchodolsk (Gebiet Luhansk) überquert hat. Danach wurde die Einheit nach Donezk transportiert, um später in die Nähe der Straßensperre „Motel“ (Video) an der Straße „Gornostajewskaja“ verlegt zu werden.
Von hier wird das BUK-System am 16.-17. Juli in den Raum der Ortschaft Perwomajskoje transportiert.
Genau hier passiert etwas sehr Interessantes. Der ehemalige Leiter des SBU Naliwajtschenko beschreibt das Geschehene in einem Interview mit „Ukrainskaja Prawda“ wie folgt: „Mir liegt Information vor, dass die Besatzung des Buk-Startfahrzeugs in das falsche Dorf Perwomajskoje im Gebiet Donezk gefahren ist! Es gibt dort in der Region sieben Ortschaften mit diesem Namen. Dieses Fahrzeug sollte in das Dorf Perwomajskoje im Kreis Jasinuwata westlich von Donezk, weil dieser Ort mit der Flugroute einer russischen Boeing-Maschine übereinstimmt.“
Ein Jahr später wiederholt Naliwajtschenko die im August 2014 abgegebene Erklärung Wort für Wort: Die Russen haben zwei Ortschaften mit gleichem Namen verwechselt. Das Buk-System sollte sich westlich von Donezk befinden und das Ziel sei eine russische Boeing gewesen.
Eine interessante Hypothese, die allerdings Fragen aufwirft. Wir wissen genau, dass die Einheit im östlichen Teil von Donezk war und sich angeblich in die Nähe der Stadt bzw. des Dorfs Perwomajskoje im Gebiet Jasinuwata bewegen sollte. Die Entfernung von der Straßensperre “Motel“ bis dorthin beträgt 30 Kilometer.
Diese Ortschaft befindet sich hinter dem Donezker Flughafen und geht in westlicher Richtung in Netajlowe sowie in nördlicher Richtung in Wodjanoje und Peski über.
Wenn man sich die Karte des Gebiets der Anti-Terror-Operation (ATO) für den 16. und 17. Juli 2014 anschaut, erkennt man, dass die Ortschaft exakt im Bereich der Kontaktlinie der ukrainischen Streitkräfte und der Russen bzw. Separatisten liegt:
Alle ATO-Karten sind bei Wikipedia und auf der Seite LiveUAmap verfügbar.
Wahrscheinlich ist, dass man die Abschussvorrichtung nicht dorthin verlegen würde, weil die Position viel zu nah an der Frontlinie war und das Buk-Startfahrzeug in die Hände der ukrainischen Armee hätte fallen könnte. Im Endeffekt würde sich die Einheit einfach auf der Höhe des Frontverlaufs befinden: Radarsysteme vom Typ „Koltschuga“ (bis 50 km Reichweite) im ukrainischen Hinterland wären in der Lage gewesen das Startfahrzeug aufzuklären. Ukrainische Artillerie auf vorderen Positionen der Front hätte dann den Rest besorgt.
Was hat man also verwechselt?
Am Rande bemerkt, bei der Namensgebung der Ortschaften in der Ukraine hat man mehrfach und noch öfter Gebrauch von Namen wie „Krasnoarmejskoje“, „Perwomajskoje“ und „Krasnopartisansk“ gemacht.
Wenn man erkennt wie vehement die ukrainische Seite beteuert, dass die Terroristen Ortschaften verwechselt haben, ergibt sich eine Schlussfolgerung: Es lag tatsächlich irgendeine Information dazu vor, dass die Russen ein Startfahrzeug an den falschen Ort verlegt hatten.
Die Folge war, dass sich das Buk-System in der Nähe der Ortschaft Perwomajskoje bei Snischne befand und von dort vermutlich die Rakete auf die Boeing abgefeuert wurde.
Es ist darüberhinaus interessant, dass es bei Tores (nahe Snischne, Anm. d. Übers.) gleich zwei Ortschaften mit dem Namen „Perwomajskij“ gibt: Direkt hinter Tores liegt die Kleinstadt Perwomajskoje und weiter dahinter das Dorf Perwomajskij. Die Entfernung zwischen den Ortschaften liegt bei ein bis zwei Kilometern und wir gehen davon aus, dass sich das Buk-Startfahrzeug inmitten der Ortschaften „verirrt“ hatte.
Zu der Erkenntnis, der Raketenstart sei zwischen den zwei „Perwomajskij“ erfolgt, kamen ukrainische Blogger und Bellingcat nach der Analyse von Fotos der Rauchsäule der Rakete gleich nach dem Flugzeugabsturz.
Wahrscheinlich haben die Russen wirklich zwei Ortschaften verwechselt und das Buk-Startfahrzeug um wenige Kilometer falsch platziert. Im entscheidenden Moment fehlten eben durch diese Distanz ein paar kostbare Sekunden, um eine Entscheidung zu treffen.
Worauf wartete man im Feld bei Perwomajskoje?
Es gilt nun herauszufinden, warum diese Position gewählt worden war und was das Ziel gewesen ist.
Perwomajskoje war damals weit im Hinterland der Kämpfer nahe Snischne. Genau hier gingen Nachschublieferungen vonstatten. Genau bei Snischne schlug einmal eine ukrainische Totschka-U (taktische Boden-Boden-Rakete, Anm. d. Übers.) äußerst platziert ein.
Von hier aus ist es ein Spaziergang bis zur russischen Grenze – 20 Kilometer bis zum Grenzübergang Marinowka, der allerdings damals durch die ukrainischen Streitkräfte kontrolliert wurde. Korrekterweise muss man jedoch sagen, dass die Kontrolle eher formaler Natur war, denn ukrainische Einheiten wurden ständig beschossen und standen mit dem Rücken zur Grenze.
Bis [zur Anhöhe, Anm. D. Übers.] Sawur-Mohyla, deren Kontrolle mehrfach verloren und wiedererlangt werden sollte, sind es 15 Kilometer. Ukrainische Truppen waren einerseits durch die Grenze zu Russland und andererseits aus nördlicher und westlicher Richtung durch Kämpfer der „Donezker und Luhansker Volksrepublik“ („DVR“ und „LVR“) abgeschnitten. Kämpfer zwecks Unterstützung der „DVR“ und „LVR“ kamen fortwährend aus Russland durch ein Schlupfloch in der Grenze bei Krasnodon, Suchodolsk und Iswarino sowie durch Breschen der Grenze im Gebiet von Dmitrowka.
Die Dynamik der Entwicklung in diesem Gebiet abhängig vom Datum sieht man hier.
Das Buk-Startfahrzeug bei Perwomajskoje befindet sich gegenüber dem Zentrum der teils an der Grenze blockierten ukrainischen Truppen.
Während dieser Phase versuchte das ukrainische Oberkommando die festgesetzten Truppen aus der Luft zu unterstützen. Flugzeuge der ukrainischen Luftstreitkräfte überflogen „DVR“ und „LVR“ kontrollierte Gebiete, um Ziele in Grenznähe anzugreifen und zu verhindern, dass ukrainische Einheiten aufgerieben wurden.
Eine Auflistung der Verluste der ukrainischen Luftstreitkräfte in dieser Zeit:
• 14. Juli 2014, Abschuss eines An-26 bei der Ortschaft Davydo-Nikolskoje (Kreis Krasnodon)
• 16. Juli 2014, Abschuss eines Su-25 im Raum Amwrosiijwka
• 23. Juli 2014, Abschuss von zwei Su-25 im Raum der Ortschaften Dmitrowka und Marinowka
Eine Auflistung aller Verluste ukrainischer Luftfahrzeuge mit ausführlicherer Beschreibung, Bordnummern, Fotos und Ergänzungen findet man hier.
Von Amwrosijiwka bis Perwomajskoje sind es 40 Kilometer, von Dmitrowka und Marinowka bis Perwomajskoje 15 bis 20 Kilometer. Zu diesem Zeitpunkt hat die ukrainische Armee versucht den festgesetzten Einheiten zu helfen und die Aktivität der Luftwaffe war entsprechend erhöht. Wenn also in diesem Gebiet russische Flugabwehrsysteme stationiert wurden, um ukrainische Flieger zu bekämpfen, ergibt das schon einen Sinn.
Der Schatten des Flughafens von Luhansk
Nicht zufällig habe ich in die Aufzählung der Verluste die Transportmaschine An-26 aufgenommen, die im Raum Luhansk abgeschossen wurde. Parallel zu den Kämpfen bei Marinowka verstärkte sich der Kampf um den Luhansker Flughafen.
Dank der Leistung der militärischen Transportflieger konnte das ukrainische Oberkommando lange Zeit das Kampfgebiet bei Luhansk halten. Die Flüge wurden durch Kräfte der 25. Brigade der Transportflieger aus der Stadt Melitopol (Gebiet Saporischschja) ausgeführt. Außerdem wurde in größerem Umfang der Flughafen in der Stadt Tschugujew (Gebiet Charkiw) genutzt.
Ein Umbruch fand am 14. Juni 2014 statt, als beim Anflug auf den Flughafen eine Transportmaschine vom Typ IL-76 abgeschossen wurde. Es gab 49 Tote. Insgesamt waren an dem Tag drei IL-76 unterwegs nach Luhansk. Die erste ist erfolgreich gelandet, die zweite wurde abgeschossen und die dritte machte kehrt. Die gelandete Maschine konnte erst eine Woche später am 21. Juni nach Melitopol zurückgeführt werden. Ausführlich wird die Operation hier und hier behandelt.
Nach diesem Fall verschlechterte sich die Lage der ukrainischen Truppen im Flughafen. Möglicherweise plante man den Abwurf von Gütern für die festgesetzten ukrainischen Truppen. Zumindest eine solche Lieferung fand im Sektor D statt (Marinowka – Sawur-Mohyla).
Die Verlegung eines Buk-Startfahrzeugs in die Gegend von Tores bedeutete also Folgendes: Kontrolle der Versorgungsflugroute Melitopol-Luhansk und der Route Tschugujew-Amwrosijiwka im Sektor D.
Nun möchte ich etwas Aufmerksamkeit zwei Vorkommnissen widmen: Einem am Tag des Absturzes von MH17 und einem, von dem wir erst ein Jahr später aus dem niederländischen Bericht erfahren haben.
Der Flug Kiew – Baku
Am 17. Juli 2014 bei Perwomajskoje erwartete das russische Buk-Startfahrzeug jemanden. Möglicherweise ging es um ein ukrainisches Transportflugzeug oder das Ganze war als Falle für ukrainische Erdkampfflugzeuge gedacht, welche die abgeschnittenen eigenen Truppen an der Grenze unterstützten. Die Russen wussten also wer und wann dort zu erwarten war. Und jetzt erlaubt mir, eine Geschichte vom Absturztag widerzugeben, die einige Fragen aufwirft.
Offenbar wurde an dem Tag der Flug Kiew-Baku verschoben, das Flugzeug sollte in der ersten Tageshälfte in Kiew landen und wenige Stunden später den Rückflug nach Baku angetreten hätte. Es geht wohl um eine Maschine der Ukraine International Airlines und die Flüge PS 0602 und PS 9683. Das Flugzeug verließ Baku und musste dann allerdings eine bis eineinhalb Stunden später im russischen Mineralnyje Wody landen. Die Fluggäste warteten 30 Minuten in der Maschine und wurden dann durch den Zoll in den Flughafen geleitet, wo sie bis in den Abend warten mussten. Kiew erreichte die Maschine um ein Uhr nachts am 18. Juli.
Die Flugroute führt über den Donbass und zwar im Raum Donezk. Möglicherweise hat jemand auf diese Art und Weise den Flugraum „bereinigt“, damit es die russische Flugabwehr leichter hat. Es wäre interessant zu erfahren welche anderen Flüge an jenem Tag „verschoben“ worden sind.
Womöglich hatten die Russen Information über den Flug eines ukrainischen Militärflugzeugs, welcher zeitlich und örtlich mit dem Flug Baku-Kiew bzw. dem Rückflug annähernd übereinstimmte. Der Rückflug hätte die gleiche Richtung gehabt wie MH17. Damit der zivile Flug nicht unnötig den Luftraum belegt, haben die Russen entschieden eine „Bereinigung“ vorzunehmen. Das Verschieben von Flügen bekannter internationaler Fluggesellschaften wäre schwierig gewesen, aber bei einer ukrainischen Fluglinie war es weit weniger auffällig.
Die Untersuchung der Journalisten von Correctiv umfasst eine Auflistung aller Flüge an jenem Tag über dem Absturzort. Der Flug Baku-Kiew fehlt. Er war wirklich verschoben worden. Wieviele andere Flüge an dem Tag wurden verschoben? Was war die geplante Flugzeit? Wie wurde der Vorgang offiziell begründet?
Wo sind die Daten der russischen Radarsysteme hin?
Es gibt eine weitere interessante Tatsache, von der wir offiziell aus dem niederländischen Bericht erfahren haben. Im Übrigen ist es seltsam, dass darüber so wenig geschrieben wurde. Man wird den Eindruck nicht los, dass kaum jemand den Bericht gelesen hat.
Auf ukrainischer Seite war für das Flugzeug ein Radarsystem in Dnipropetrovsk zuständig, von russischer Seite ein System in Rostow. Erschwert wurde die Lage der ukrainischen Luftüberwachung dadurch, dass man nicht das komplette Territorium unter Kontrolle hatte. Die ukrainische Flugabwehr (mit ihren eigenen Radargeräten, Anm. d. Übers.) stand vor ähnlichen Problemen. Man schaue sich entsprechende Informationen für das Jahr 2015 an: Ein Teil der Ausrüstung und der Systeme für die Luftraumüberwachung war auf besetztem Territorium.
Daraus ergab sich, dass die ukrainische Luftraumüberwachung auf Grund der unvollständigen Abdeckung durch die Flugabwehr nur Flugzeuge orten konnte, die auf Anfragen des sogenannten Sekundärradars reagieren. Diese Flugzeuge verfügen über einen Transponder, der auf eine entsprechende Anfrage des Systems eines Flughafens antwortet. Die Antwort beinhaltet Informationen zum Flugzeugtyp, der Flugnummer sowie Fluggeschwindigkeit und –höhe. Diese Daten in grafischer Aufbereitung sieht man online z.B. bei Flightradar24.
Primärradar funktioniert etwas anders: Es wird ein Radarsignal geschickt und dessen Reflexion an einem Flugobjekt ausgewertet. So erhält man Daten zu einem beliebigen Flugobjekt.
Im Laufe der Ermittlungen haben die Niederländer Radardaten von der ukrainischen und russischen Seite angefordert. Siehe Kapitel 2.9.5 „Air traffic services surveillance data“ und dann die Tabelle auf Seite 38 des Berichts:
Im Gegensatz zur Ukraine hat Russland den Ermittlern lediglich Aufzeichnungen von Radarbildschirmen überreicht. Eine objektive Überprüfung der russischen Aufzeichnungen war nicht möglich.
Der Grund für dieses Verhalten ist recht eigenartig. Nach Vorgaben der ICAO sind Staaten verpflichtet solche Radardaten für die Dauer von 30 Tagen zu speichern. Bei Zwischenfällen sogar darüberhinaus. Bis die Daten im Rahmen der Untersuchung angefordert werden. Die russische Luftfahrtagentur hat diese Daten nicht zur Verfügung gestellt, weil der Zwischenfall nicht auf russischem Gebiet stattgefunden hat. Damit sei Russland nicht verpflichtet, die Daten zu speichern.
Das ist zugegebenermaßen eine ziemlich seltsame Interpretation. Ein Land, das mehr als alle anderen durch seine Medien die Ukraine des Abschusses bezichtigt, ist nicht willens mit der offiziellen Untersuchungskommission zusammenzuarbeiten und sucht dafür eine formale Begründung.
Von der russischen Seite haben wir die Geschichte erfahren, der zufolge der ukrainische Pilot eines Su-25, Woloschin, MH17 abgeschossen hat. Es wäre für Russland folgerichtig eigene Radaraufzeichnungen oder sogar die Rohdaten zur Verfügung zu stellen. Genau das tut man allerdings nicht.
Der niederländische Staatsanwalt Fred Westerbeke sprach in einem Interview mit dem „Spiegel“ von einer Anfrage an Russland bzgl. Radardaten: „Wir bereiten gerade ein Rechtshilfeersuchen vor, in dem wir Moskau um Informationen bitten, die für uns wichtig sein könnten. Unter anderem auch jene Radardaten, mit denen die Russen nach dem Absturz die Anwesenheit eines ukrainischen Militärjets in der Nähe von MH17 beweisen wollten.“
Im Endeffekt erwies sich die Behauptung der russischen Seite als Lüge. Es gab kein ukrainisches Flugzeug in der Nähe der Boeing wie die niederländischen Ermittler im Bericht festgehalten haben.
Man muss separat anmerken, dass der Vorfall sich unmittelbar an der russischen Grenze ereignet hat – in 15-20 Kilometer Entfernung. Bis zum Luftraumüberwachungsradar in Rostow sind es etwa 100 Kilometer, zum ukrainischen Pendant in Dnipropetrowsk etwa 300. Wessen Daten sollten genauer sein und wer könnte den Ermittlern helfen?
Man kann noch mehr sagen: Im Sommer 2014 standen an der gesamten russisch-ukrainischen Grenze russische Flugabwehrtruppen. Wir haben im Rahmen des Projekts InformNapalm mehrfach über die Präsenz von Einheiten der 53. Flugabwehrbrigade an der ukrainischen Grenze geschrieben. Ausführliche Untersuchungen der Bewegungen des Buk-Systems an der Grenze gibt es hier: „Die letzte Fahrt des russischen Soldaten für MH-17“, oder hier: „Joker“ im Fall des Volvo-Schleppers, der die verhängnisvolle BUK transportierte…“
Stützpunkte der Terroristen der „DVR“ und „LVR“ sowie der russischen Armee befanden sich im Sommer 2014 gegenüber der ukrainischen Grenze im Raum von Millerowo, Kamensk, Kujbyschewo und Matwejew-Kurgan im Gebiet Rostow.
Warum gibt es nachwievor keine Rohdaten der russischen Radarsysteme?
Im Prinzip sind die Rohdaten das Interessanteste von allem. Dieser Datenstrom wird durch das Radarsystem empfangen, wobei anschließend durch Filter alles Unnötige beseitigt wird, bis nur für das System relevante Daten übrig bleiben (wie die „Antwort“ auf die eigene „Abfrage“). Diese Daten werden auf Radarbildschirm angezeigt.
Vereinfacht gesehen funktioniert das System wie folgt: Es wird ein Signal ausgestrahlt, das durch das Ziel reflektiert wird. Die Verarbeitungseinheit analysiert die eingehenden Daten fortwährend und wendet Filter an. Schlussendlich erhält man nur die Reflexion des eigenen Signals.
Offen bleibt die Frage, ob ein Radarsystem alle empfangenen Signale speichert und ob es möglich ist, die darin enthaltenen systemfremden Abfragen und Antworten herauszufiltern.
An sich ist uns der genaue Zeitpunkt bekannt, als die Rakete durch das Buk-Fahrzeug gestartet wurde. Es wäre sehr interessant zu sehen, ob die Signalintensität in diesem Moment gestiegen oder gesunken ist. Gab es ein weiteres reflektiertes Signal, das herausgefiltert wurde, aber vom Buk-System selbst oder einem weiteren zugeschalteten System stammt. Falls ein solches Radar im Einsatz war. (Also etwa ein Suchradar, Anm. d. Übers.)
Es hat den Anschein, dass ein Kontrollsystem für die Registrierung sämtlicher Signale existiert: „Über die gewöhnliche Konfiguration eines Flugabwehrsystems vom Typ Buk M1-2 hinaus hat die russische Industrie ein System entwickelt, das der sogenannten „objektiven Kontrolle“ dient. Das System hat die Aufgabe, ausgetauschte Information zwischen Startfahrzeug (TELAR), Lenkwaffe sowie Start- und Transportfahrzeugen (TEL) mitzuschneiden, zu speichern, zu archivieren und darzustellen.“
Man könnte das von „ukrainischen“ Buk-Einheiten ausgestrahlte Signal analysieren und es mit den Rohdaten vergleichen, denn es ist wahrscheinlich, dass jede Buk-Einheit an charakteristischen Merkmalen ihres Signals identifiziert werden kann.
Daher wäre es interessant, die Rohdaten zu untersuchen, um folgende Fragen beantworten zu können:
• Position des Buk-Startfahrzeugs
• Dauer des aktiven Betriebs des Feuerleitradars des Fahrzeugs
• Von welcher exakten Position wurde die Rakete abgefeuert
• Hat das Buk-Startfahrzeug alleine agiert oder waren weitere Radarsysteme aktiv, die die Boeing „beleuchteten“
Soweit gab es keine eindeutigen Antworten auf die Fragen, aber theoretisch sollten die Rohdaten hier Abhilfe schaffen.
Ein Militärflughafen an der Grenze
Erinnern wir uns daran, woher das Buk-Startfahrzeug kam. Den Aufzeichnungen des SBU nach kam das Fahrzeug aus dem Gebiet Luhansk und überquerte die Grenze im Raum Suchodilsk. Im Rahmen des Projekts InformNapalm haben wir den Weg des Startfahrzeugs im Gebiet Rostow dank der Profildaten des russischen Wehrdienstleistenden und Fahrers Dmitrij Subow verfolgt. Wir kamen durch ihn zu einem Dokument, das etwa einem Fahrtenbuch eines Buk-Konvois entspricht. (Link zum Archiv)
Aus dem Dokument ergibt sich, dass das Buk-Startfahrzeug sich für unbestimmte Zeit in Millerowo befand. Was ist so interessant an Millerowo? Dort, 20 Kilometer von der Grenze entfernt, ist der Militärflughafen Millerowo. Die Soldaten zeigen wenig Zurückhaltung, wenn es darum geht die Gegend von Millerowo sowie Militärtechnik zu fotografieren. Das wurde bereits auf InformNapalm dokumentiert.
Eine detailierte Beschreibung dessen, was wir auf den Fotos russischer Soldaten von Millerowo zu sehen bekommen:
Neben dem Flughafen gibt es die übliche Konstellation von Flugabwehrsystemen, die in der Lage sind den Luftraum bis die Ukraine zu kontrollieren. Auch Perwomajskoje, wo das Buk-Startfahrzeug vermutlich war, liegt innerhalb der Erfassungsreichweite.
Das Radargerät P-19 hat eine Reichweite von 160 Kilometern, das Suchradar des Buk-Systems, bezeichnet als 9S18M1-3, kommt auf 140 bis 15 Kilometer. Die Radargeräte „Desna-M“ und „Obsor-3“ (9S15M) weisen Reichweiten von bis 300 und 240 Kilometern auf.
Die Entfernung zwischen der vermuteten Startposition der Rakete und dem Militärflughafen beträgt etwa 160 Kilometer.
Es wäre der Untersuchung sehr zuträglich, wenn man nicht nur Radardaten aus Rostow, sondern auch aus Millerowo sowie Daten von Radarsystemen entlang der Grenze untersuchen könnte. Es ist gut möglich, dass das Startfahrzeug von einem Suchradar von russischem Territorium aus unterstützt wurde. Im Bericht der niederländischen Staatsanwaltschaft steht dazu jedoch nichts. (Anm. d. Übers.: Eigentlich ist es der Normalfall, dass ein Buk-Startfahrzeug von einem Suchradar auf Ziele eingewiesen wird. Danach kann das Fahrzeug diese weitgehend selbständig bekämpfen. Das Feuerleitradar des Startfahrzeugs ist auf Grund seines prinzipiell schmalen „Sichtbereichs“ nicht primär für die Zielsuche gedacht. Wenn also ein unterstützendes Suchradar fehlt, sollte der exakte Anflugvektor des Zielobjekts und weitere Daten bekannt sein)
Selbstredend ist Russland nicht verpflichtet militärische Daten offenzulegen, aber man muss erwähnen, dass in dem Bericht der niederländischen Staatsanwaltschaft separat von Daten eines NATO-AWACS-Aufklärungsflugzeugs die Rede ist. Dieses durchflog Polen und Rumänien am 17. Juli 1024 und war zu weit weg von der ukrainisch-russischen Grenze. Eine Anfrage bzgl. der Daten hat es jedoch gegeben.
Gleichzeitig wird in dem Bericht kein Wort über das russische Pendant der AWACS-Maschinen, die A-50 „Schmel“, verloren. Dieser Flugzeugtyp wird bei den russischen Streitkräften genutzt und überwacht die Grenze. Unlängst wurde eine Maschine dieses Typs auch in Syrien ausgemacht. Wenn Russland nichts zu verbergen hat und unschuldig ist, wo bleiben dann die Daten?
Es wäre logisch, wenn die russische Flugabwehr in Millerowo und auf anderen Positionen, die am nächsten zum Ort des Geschehens waren, Daten zur Verfügung stellen würde. Wenn man in Russland nichts zu verheimlichen hat, kann das kein Problem sein…
Allerdings hat Russland diese Daten nicht zur Verfügung gestellt.
Eine Hypothese zur Tragödie des Flugs MH17 vom Autor, Anton Pawluschko:
Endlich können wir alle Aspekte zusammenführen:
Wenige Tage vor dem Absturz von MH17 erreichte das russische Buk-Startfahrzeug ukrainisches Territorium aus der Richtung des Militärflughafens Millerowo. Danach bewegte sich das Fahrzeug an den östlichen Stadtrand von Donezk. Von dort wurde es in den Raum von Tores verlegt, nahe des Dorfs Perwomajskoje. Dabei hat die Bedienungsmannschaft zwei benachbarte Ortschaften mit fast gleichem Namen verwechselt. Dies beraubte die Mannschaft im Endeffekt wichtiger Sekunden Reaktionszeit.
Das Gebiet bei Tores und Perwomajskoje wurde nicht zufällig gewählt. Diese Position erlaubte eine Kontrolle des Luftraums bei der an der Grenze blockierten Gruppe ukrainischer Streitkräfte. Außerdem deckte das Flugabwehrsystem die potentielle Flugroute Melitopol-Luhansk der ukrainischen Transportflieger ab.
Auf dieser Position warteten die Russen auf irgendein ukrainisches Transportflugzeug. Sie kannten die Flugrichtung und wussten um welches Flugzeug es sich handeln würde. Es war kein Zufall, dass gleich nach dem Raketenstart durch die Separatisten die Information über ein abgeschossenes Transportflugzeug vom Typ An-26 in Umlauf gebracht wurde.
Um den Luftraum für die eigene Flugabwehr zu „bereinigen“ und eine ukrainische militärische An-26 oder IL-76 nicht mit einem Passagierflugzeug zu verwechseln, wurde zumindest der zivile Flug Baku-Kiew (und entsprechend der Rückflug) abgesagt bzw. verschoben. Die Russen verfügten über exakte Informationen bzgl. der Flugroute und des Zeitplans des ukrainischen Flugzeugs.
Womöglich ist die ukrainische Maschine im entscheidenden Moment nicht erschienen. Für die „Zielbeleuchtung“ und weitere Informationen war der Flughafen Millerowo oder russische Flugabwehreinheiten an der ukrainisch-russischen Grenze zuständig. Im überwachten Luftraum tauchte dann die malaysische Boeing auf. Nicht ganz aus der Richtung wie erwartet und das Startfahrzeug befand sich nicht auf der geplanten Position. Aber die Mission war nachwievor aktuell. Man schoss das Flugzeug ab.
Anschließend begriffen sie, was sie angerichtet hatten. Man analysierte die Rohdaten der Radarsysteme und entschied sich prophylaktisch dazu, keinerlei Daten an die niederländische Staatsanwaltschaft weiterzugeben. Die Daten der russischen Flugabwehrtruppen würden das komplette Bild des Geschehens einschließlich der Beteiligung Russlands an dem Mord widergeben. Aber im Bericht ist weder die Rede vom Flughafen in Millerowo, noch von russischen Flugabwehreinheiten oder dem russischen AWACS-Flugzeug. Das Schlimmste an dieser Erklärung ist, dass sie wahrscheinlich zutrifft.
Dieses Material wurde von Anton Pawluschko exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Viktor Duke. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf den Autor und unser Projekt erforderlich.
CC BY 4.0
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