Dieser Artikel über die Beschüsse der Ukraine vom Territorium Russlands aus in 2014 wurde vom Kommandeur einer ABC-Einheit der 79. Luftsturmbrigade, Leutnant Viktor Michailjuk und Andrei Karbiwnytschij in Zusammenarbeit mit InformNapalm vorbereitet. Die Untersuchung ist dem 2. Jahrestag des Ausbruchs der ukrainischen Truppen aus dem Kessel in den grenznahen Regionen gewidmet. Im Lauf der Untersuchung wurde anhand der Satellitenbilder die genaue Lage von 539 Bodentrichtern analysiert, die Richtung der Beschüsse und die Waffensysteme ermittelt, die bei den Beschüssen von russischem Territorium aus eingesetzt worden sind.
Im Sommer 2014 fanden erbitterte Kämpfe im Osten der Ukraine statt, die deutlich zeigen sollten, ob es der Ukraine gelingt, die Kontrolle über ihre Grenzen wieder herzustellen oder nicht. Seit Juli 2014 wurden ukrainische Abteilungen von russischem Territorium aus unter Beschuss genommen. Im Juli war es den Söldnern mit Unterstützung russischer Artillerie gelungen, die Soldaten der ukrainischen Streitkräfte und des Grenzschutzes einzukesseln. Vor genau zwei Jahren fand der Ausbruch aus dem Kessel statt, der Hunderten Ukrainern das Leben kostete.
Dank der Informationen von Teilnehmern jener Ereignisse, darunter auch von Leutnant Viktor Michailjuk, und der Analyse von Satellitenbildern ist es uns gelungen, die genaue Route des Ausbruchs der ukrainischen Truppen aus dem Kessel zu ermitteln: Vom Gefechtsstand der 79. Luftsturmbrigade nahe des Dorfs Djakowo (Luhansker Gebiet) bis zum Dorf Stepanowka (Donezker Gebiet). Eine Karte mit der Route ist unten angeführt:
Während des ukrainischen Abzugs griff russische Artillerie die fahrenden Kolonnen an, darunter auch mittels Raketenartilleriesystemen. Die Angriffe wurden unmittelbar vom Territorium der Russischen Föderation aus geführt. Ziel dieser Untersuchung ist, das Faktum dieser Beschüsse zu belegen.
Chronologie der Ereignisse
Nach dem Abzug aus Djakowo, um ca. 12:00 Uhr des 6. August 2014, wurde der Gefechtsstand der 79. Luftsturmbrigade mittels Raketenartillerie angegriffen. Um etwa 15:30 Uhr wurde die ukrainische Fahrzeugkolonne zwischen den Dörfern Djakowo und Nischni Nagoltschik beschossen. Um 18:00 Uhr wurde die Route beim Dorf Jesaulowka mittels Rohrartillerie aus südlicher Richtung beschossen. Um ca. 20:00 Uhr gab es einen weiteren Raketenartillerie-Angriff auf die Route beim Dorf Lesnoje .
Als es dunkel wurde, kamen die Kolonnen an der Übersetzstelle südlicher des Dorfs Lesnoje an und begannen den Fluss Mius zu überqueren. Ein Teil der Kolonne schaffte es ‚hinüber, ihr zweiter Teil geriet um ca. 00:00 Uhr unter starken Beschuss aus Rohr- und Raketenartillerie. Zunächst waren es einige Artilleriesalven, darauf folgten 3-4 Salven aus Raketenartillerie. Eine halbe Stunde vor dem Beschuss wurde eine russische Drohne in der Gegend gesichtet. Infolge des Beschusses wurde die Übersetzstelle vernichtet, eine Vielzahl der Soldaten wurde verwundet und die Kolonne war gezwungen zurückzufahren und den Fluß nördlicher, zwischen dem Dorf Lesnoje und Miusinsk, zu überwinden. Von 4:00 bis 6:00 Uhr morgens war der Raum der Überfahrtsstellen methodischen einzelnen Artillerieangriffen ausgesetzt. Schließlich wurden die Beschüsse im Raum des Dorfes Latyschewo eingestellt. Höchstwahrscheinlich stand das im Zusammenhang mit der Unmöglichkeit einer weiteren Artillerie-Beobachtung und der Reichweite der Artillerie.
Methoden
In der Untersuchung benutzen wir Satellitenbilder des Dienstes „Google Earth Pro“ vom 26. Juli, 2. August, 4. August, 15. August, 23. August und dem 30. August 2014.
Entlang der Route der ukrainischen Abteilungen wurden zwischen den Dörfern Jesaulowka und Lesnoje Bodentrichter entdeckt. Man sollte anmerken, dass es keine Kampfhandlungen in dieser Gegend gab, weder vor dem Abzug ukrainischer Truppen noch danach. Unweit von Jesaulowka, im Feld, über das der Marschweg verlief, sieht man auf dem Bild vom 2. August 2014 keine Spuren von Beschüssen, aber auf dem Bild vom 23. August 2014 sind bereits Bodentrichter zu sehen.
Auf dem Feld zwischen dem Dorf Lesnoje und der ersten Übersetzstelle am Fluss Mius sieht man auf dem Bild vom 2. August 2014 ebenfalls keine Spuren von Angriffen – sie tauchen erst auf dem Bild vom 30. August auf.
Auch bei der Übersetzstelle selbst sieht man auf dem Bild vom 2. August 2014 keine Bodentrichter, die man aber auf dem Bild vom 30. August findet.
Zur Ermittlung der Schießrichtung haben wir die Methode der Seitengeschoßgarbe angewendet.
Es wurden Bodentrichter von Geschossen verschiedener Raketenartilleriesysteme identifiziert:
Nach der Analyse jedes einzelnen Bodentrichters haben wir sie in Gruppen aufgeteilt, und zwar sortiert nach der Beschussrichtung.
Es wurden 5 Bodentrichter-Gruppen und 5 Richtungen festgestellt, von welchen aus die Angriffe vermutlich geführt worden waren.
Artilleriestellung A
Mithilfe der Methode der Seitengeschoßgarbe wurde festgestellt, dass die Bodentrichter, die infolge der Artillerieangriffe entstanden sind, auf eine Stellung auf dem Territorium Russlands hinweisen, und zwar auf den Kujbyschewski Bezirk des Rostower Gebiets Russlands, in 700 Meter Entfernung von der Grenze mit der Ukraine. Die Bodentrichter sind auf dem Bild vom 30. August 2014 zu sehen.
Auf demselben GoogleEarth-Bild vom 30. August 2014 sieht man 17,2 Kilometer südlicher von den Bodentrichtern die Spuren der Stellung einer Artilleriebatterie bestehend aus 4 oder 5 Geschützen. Die Spuren tauchen in der Zeit zwischen dem 4. und dem 30. August 2014 auf. Vermutlich wurde das Feuer aus 152mm-„Msta-B“- Haubitzen geführt, die von InformNapalm bereits früher in den grenznahen Regionen Russlands registriert wurden.
Artilleriestellung B
In 19,2 km Entfernung von den Bodentrichtern, auf dem Territorium Russlands (Kujbyschewski Bezirk des Rostower Gebiets), lag die Stellung einer „Grad“-Raketenartillerie-Batterie. Das Bild datiert vom 23. August 2014.
Auf dem Feld sieht man ausgebrannte Erde, was die charakteristische Folge von Raketenartillerie-Angriffen ist. Vermutlich bestand die Batterie aus 6 Fahrzeugen. Die Spuren tauchen in der Zeit zwischen dem 4. und dem 30. August 2014 auf. Die Feuerstellung liegt in 1700 Meter Entfernung von der Grenze mit der Ukraine.
Wir möchten daran erinnern, dass InformNapalm die Kampffahrzeuge 2B26 der 18. selbstständigen motorisierten Schützenbrigade der Streitkräfte Russlands schon früher registriert hat. Diese Abteilung war im August 2014 in der Gegend des Dorfes Kujbyschewo stationiert.
Artilleriestellung C
Die nächste Stellung liegt ebenfalls im Kujbyschewski Bezirk des Rostower Gebiets Russlands, in 1900 Meter Entfernung von der Grenze. Auf diese Stellung weisen die Bodentrichter hin, die infolge der Artillerieangriffe entstanden waren. Das Bild mit den Bodentrichtern ist vom 30. August 2014. Der Abstand zwischen den Bodentrichtern und der Feuerstellung beträgt 20 700 Meter.
Auf dem Bild vom 23. August 2014 sieht man Spuren der Feuerführung aus einer Artilleriebatterie bestehend aus 6 oder 7 Geschützen (womöglich wurde ein Geschütz bewegt). Die Spuren tauchen in der Zeit zwischen dem 4. und dem 23. August 2014 auf.
Stellung D
Auf diese Stellung weisen die Bodentrichter hin, die infolge von Raketenangriffen entstanden waren (Bild vom 30. August 2014). Der Abstand zwischen dieser Batteriestellung und der Grenze beträgt 4900 Meter, von der Stellung bis zu den Bodentrichtern – 21 700 Meter. Vermutlich hatten die russischen Truppen in diesem Fall Raketenartilleriesysteme 9K51M „Tornado-G“ (modernisierte Version von „Grad“-Raketenartilleriesytemen) eingesetzt, mit den neuen Raketenflugkörpern 9M521. Die Reichweite dieser Raketen beträgt bis zu 40 000 Meter, wobei die gewöhnlichen Raketengeschosse nur eine Reichweite von 20 400 Metern haben.
Auf dem Bild vom 23. August 2014 sind Spuren einer Raketenwerfer-Batterie bestehend aus 6 Waffensystemen zu sehen. Die Spuren tauchen in der Zeit zwischen dem 4. und dem 23. August 2014 auf.
Artilleriestellung E
Die letzte Stellung liegt am weitesten von allen anderen und von der Staatsgrenze – in 5800 Meter Entfernung, und von den Bodentrichtern – 28 000 Meter (vermutlich wurden Raketenwerfersysteme 9K51M „Tornado-G“ eingesetzt). Auf diese Stellung weisen die Bodentrichter hin, die infolge der Angriffe der Raketengeschosse entstanden waren und die man auf dem Bild vom 30. August 2014 sehen kann.
Auf dem Feld (Bild vom 15. August 2014) sieht man Spuren von 2 Einheiten Raketenartillerie. Sie tauchen in der Zeit zwischen dem 26. Juli und dem 15. August 2014 auf.
Schlussfolgerung
Im Ergebnis der durchgeführten Analyse von vorhandenen Satellitenbildern sind weitere Beweise für die Beschüsse der Ukraine durch russische Artillerieabteilungen vom Territorium der Russischen Föderation aus erbracht worden.
Wir haben im Lauf der Untersuchung 539 Bodentrichter analysiert und die Schießrichtungen festgestellt. Es sind Spuren von zwei Stellungen Rohrartillerie-Batterien (Stellungen A und C) und drei Stellungen von Raketenartillerie-Batterien (Stellungen B, D und E) in den an die Ukraine angrenzenden Regionen Russlands gefunden worden. Auf diese Stellungen weisen die Bodentrichter hin, die infolge der Angriffe entstanden waren. Die Schlussfolgerungen über die Ausrüstung der Batterien, die wir im Ergebnis der Analyse von Bodentrichtern erhalten haben, werden durch charakteristische Spuren bei den Feuerstellungen bestätigt. Die Stellungen befanden sich ziemlich nah an der Grenze zur Ukraine, in 700 bis 5800 Meter Entfernung. Das Feuer aus den Rohrartillerie-Systemen wurde aus einer Entfernung von 17200 bis 20700 Metern geführt, vermutlich mittels 152mm-„Msta-B“-Haubitzen (Reichweite: 6400-24700 Meter). Die Schussentfernung der Raketenartillerie lag zwischen 19200 und 28000 Metern, wobei vermutlich Raketenartilleriessyteme vom Typ „Grad“ und/oder „Tornado-G“eingesetzt wurden.
Wir planen weitere Untersuchungen zu den Beschüssen ukrainischer Stellungen an der staatlichen Grenze im Juli 2014 vom Territorium Russland aus zu machen. Wir würden uns über jegliche Bild- und Videomaterialien freuen, wie auch über Kommentare von unmittelbaren Teilnehmern jener Ereignisse.
Bonus
Weiter unten führen wir ein paar Videos an, die dem Ausbruch der ukrainischen Truppen aus der Einkesselung nahe Djakowo gewidmet sind. Gedreht wurden die Videos von Viktor Michailjuk:
1) https://www.youtube.com/watch?v=SYI1ocbeP24
2) https://www.youtube.com/watch?v=YctwMxWWeP4
3) https://www.youtube.com/watch?v=ubCyINOhcdk
4) https://www.youtube.com/watch?v=rSLzsWY4S6s
5) https://www.youtube.com/watch?v=fUE5sv3toiA
6) https://www.youtube.com/watch?v=zpxyG0ZsaNY
7) https://www.youtube.com/watch?v=N8ha9zQX420
8) https://www.youtube.com/watch?v=dalaH75dehk
9) https://www.youtube.com/watch?v=SqGjhvqLwMw
10) https://www.youtube.com/watch?v=D7XTK7H74is
Heute ist der 2. Jahrestag der Tragödie in Ilowajsk. Wir können die Jungs nicht mehr zurückzubringen, die in jener Hölle gestorben sind. Wir können nur um sie trauern und die ganze Welt über Russlands Verbrechen wissen lassen. Das ist das Ziel unserer Untersuchungen.
#Ilowajsk2014
Dieses Material wurde von Viktor Michailjuk und Andrei Karbiwnytschij in Zusammenarbeit mit Michail Kusnezow exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
CC BY 4.0
Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
2 Responses to “August 2014: Neue Beweise für Beschüsse der Ukraine von russischem Territorium aus”
30/12/2016
Beweise der „ukrainischen Dienstreise“ der 120. Artilleriebrigade der Streitkräfte RF - InformNapalm.org (Deutsch)[…] „August 2014: Neue Beweise für Beschüsse der Ukraine von russischem Territorium aus“, 07.08.2016 […]
22/12/2017
Juli 2014: Wie russische Truppen die ukrainische 79. Luftsturmbrigade direkt an der Grenze unter Mörserbeschuss nahmen - InformNapalm (Deutsch)[…] Wir möchten daran erinnern, dass InformNapalm kürzlich die Untersuchung „Beschüsse der Ukraine vom Territorium Russlands aus im August 2014. Satellitenbilder von 539… veröffentlichte. […]