von Irina Schlegel
Gestern, am 6. Januar feierten viele Osteuropäer das orthodoxe Weihnachten. Nicht alle orthodoxen Kirchen tun dies an dem Tag – die bulgarische oder die griechische feiern Weihnachten zusammen mit anderen christlichen Konfessionen am 25. Dezember. Solche wie die ukrainische, russische oder serbische Kirchen feiern dagegen noch immer am 6. Januar nach julianischem Kalender, wobei die Ukraine bereits beide Weihnachten feiert und sich langsam ganz auf das für alle Christen übliche Datum „25.Dezember“ umstellt (was in Russland gerade für Empörung sorgt).
In der Ukraine gibt es zwei große Konfessionen: die Russische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats und die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kyjiwer Patriarchats. Zum Kyjiwer Patriarchat zählen sich etwa 45,7% aller Ukrainer. Das Problem für viele gläubige Orthodoxe besteht hier darin, dass das Kyjiwer Patriarchat der Orthodoxen Kirche nicht als kanonisch anerkannt wurde – die Ukrainische Kirche bemüht sich schon seit Jahren darum. In den letzten Jahren gab es zwar Fortschritte: Der Metropolit des Kyjiwer Patriarchats Philaret bemühte sich sehr intensiv um eine kanonische Anerkennung durch das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, 1992 reiste Metropolit Filaret dazu erstmals nach Istanbul. 2016 forderte das ukrainische Parlament den Ökumenischen Patriarchen auf, die Kirche anzuerkennen. Auch 2017 fanden Gespräche beider Kirchen in Istanbul darüber statt. Bislang steht aber eine Anerkennung noch aus.
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Nun ereignete sich in der Silvesternacht in Saporischschja ein äußerst tragischer Vorfall, der das Thema wieder mal auf die Tagesordnung brachte und die ganze Ukraine aufwühlte.
Ein 31-jähriger Mann beging im betrunkenen Zustand Selbstmord, indem er aus dem Fenster eines mehrstöckigen Hauses sprang. Dabei kam es zu einem zweiten, völlig unvorstellbaren Tod: In diesem Moment gingen ein kleiner zwei Jahre alter Junge mit seinem Vater vorbei und der Selbstmörder fiel direkt auf den Jungen. Der Vater des Jungen blieb unverletzt, der Selbstmörder starb auf der Stelle und der Junge erlag seinen Verletzungen im Krankenwagen. Diese Geschichte ist an sich schon unfassbar tragisch, damit endete sie aber nicht.
Die Eltern des Jungen sind gläubige Orthodoxen und gehören zur Konfession der „Kirche von Moskau und ganz Russland“ (Patriarchat von Moskau und ganz Russland; russisch-orthodoxe Kirche). Ihren Sohn haben sie aber in einer Kirche des Kyjiwer Patriarchats taufen lassen. Das Moskauer Patriarchat erkennt die Taufe, die durch das Kyjiwer Patriarchat vollzogen wurde, nicht an. Als die Eltern sich an eine Kirche des Moskauer Patriarchats in Saporischschja wandten, damit ihrem Kind die Totenmesse gelesen wird, weigerte sich deren Priester Ewgenij Moltschanow, dies zu tun. Das Kind sei „nicht getauft worden, denn die Ukrainische Kirche ist eine selbsternannte“. Auch in einer anderen Kirche des Moskauer Patriarchats wurde ihnen die Totenmesse verweigert – die Priester schlossen einfach die Türen vor ihnen und gewährten keinen Zugang zur Kirche. Die Totenmesse fürs Kind wurde schlussendlich von einem Geistlichen des Kyjiwer Patriarchats gehalten.
Der Metropolit des Moskauer Patriarchats von Saporischschja und Melitopol Luka sagte, dass sein Untergebener „richtig gehandelt habe“: „Laut den kanonischen Vorschriften unserer Kirche, dürfen wir für Angehörige anderer Konfessionen keine Totenmesse abhalten. Weder die Eltern noch die Priester sind an dieser Situation schuld – die Verantwortung trägt das Bestattungsinstitut, das sich an die falsche Kirche wandte,“ sagte er.
Dieser Vorfall gelangte schnell in die Medien und brachte das ganze Land auf.
Yuri Gudymenko, Chefredakteur der Saporischschja-Regionalzeitung „Forpost“, der die Eltern des getöteten Jungen gut kennt, rief auf seiner FB-Seite dazu auf, Puppen zu den Kirchen des Moskauer Patriarchats zu bringen, um ein Zeichen zu setzen. Diesem Aufruf folgten nicht nur Menschen in Saporischschja sondern im ganzen Land.
Aber auch hier passierten unvorstellbare Dinge: Im Kyjiwer Lawra-Kloster, einer weltbekannten Kyjiwer Klosterkirche, die zum Moskauer Patriarchat gehört und zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Kyjiw zählt, griff ein Priester einen Journalisten an, der aufnahm, wie die Menschen die Puppen vor den Eingang legen. In Saporischschja griff ein Wachmann Menschen mit einem Pfefferspray an, die Puppen ablegen wollten.
Und als zwei ATO-Veteranen zu einer anderen Kirche des Moskauer Patriarchats in Saporischschja kamen, rief der Wachmann der Kirche „orthodoxe Tituschki“ – Mitglieder der Organisation „Radomir“, einer Einsatztruppe des Moskauer Patriarchats, die früher Kommunisten bei 1.-Mai-Demonstrationen bewachte oder sich an Einsätzen der „Berkut“ beteiligte. Die „Radomir“-Mitglieder schlugen die ATO-Veteranen zusammen, einem von ihnen wurde der Arm gebrochen. Im Gegenzug kamen die Bürger von Saporischschja in einer Gruppe von zwanzig Menschen und mit einigen Journalisten zur selben Kirche und legten die Puppen dennoch nieder. Diesmal störte sie niemand, wobei die Priester acht (!!) Polizeiautos angefordert hatten, die aber die Menschen keineswegs behinderten.
Diese Geschichte wurde schon Thema in einigen internationalen Medien, der englische Guardian brachte dazu vorgestern einen Artikel:
InformNapalm wiederum schrieb schon mehrmals über die zwielichtige Rolle der Russischen Orthodoxen Kirche in der Ukraine. In unserer Artikelreihe FrolovLeaks schilderten wir, wie das Moskauer Patriarchat schon lange vor dem russisch-ukrainischen Krieg die Ukraine destabilisierte und wie diese Kirche 2014 auf Geheiß des Kremls separatistische Stimmungen unter ihren ukrainischen Gemeindemitgliedern schürte. In diesen drei Jahren gab es bereits mehrere Fälle, in denen Priester dieses Patriarchats sich weigerten, Totenmessen für im Krieg gefallene ukrainische Soldaten zu halten.
Die Russische Orthodoxe Kirche ist längst mit der FSB-Regierung Russlands verschmolzen. Ihre Priester sind häufig ehemalige FSB/KGB-Mitarbeiter, und ihre Tätigkeiten werden sehr penibel mit dem Kreml abgestimmt, was wir in unserer Artikelreihe FrolovLeaks längst bewiesen haben. Der schlimmste Vorfall für uns war, als Wsewolod Tschaplin, Erzpriester der Russischen Orthodoxen Kirche, nach der Veröffentlichung dieser Leaks schrieb: „Für die Leaks muss man sich übrigens nicht schämen…))) Wir haben alles richtig gemacht)“ (Tschaplin, am 13.12.2016).
Sean Townsend, Pressesprecher der Ukrainischen CyberAllianz, schrieb dazu: „Zehntausende Tote und Verwundete, Hunderttausende gebrochener Schicksale, zwei Millionen Flüchtlinge, Blutströme – „Wir haben alles richtig gemacht“, sagt der ehemalige Pressesprecher der russischen orthodoxen Kirche. Russland – ein Kriegsstaat, ein Horden-Staat, der durch seine Lügen und Straflosigkeit wahnsinnig wurde – muss zerstört werden. Delenda est“.
Lesen Sie zum Thema:
- FrolovLeaks: Wie die Russische Orthodoxe Kirche auf Kremls Geheiß Einfluss in der Ukraine übte. Episode I
- FrolovLeaks: Der Versuch, einen politischen Einfluß in der Ukraine über die Kirche auszuüben. Episode II
- FrolovLeaks: Kirchliche Intrigen. Episode III
- FrolovLeaks: Goebbels des Patriarchen, Anwerbung ukrainischer Generale und Feuertaufe in Syrien. Episode IV
- FrolovLeaks: травля Pussy Riot и «пыльное дело» Патриарха. Эпизод V
- FrolovLeaks VI: Und morgen kam der Krieg…
- FrolovLeaks VII: Hexensabbat des „Russischen Frühlings“
Dieser Artikel wurde von Irina Schlegel exklusiv für InformNapalmDeutsch vorbereitet; editiert von Klaus H. Walter.
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