
Eine „Für Tapferkeit“-Medaille, der Status eines „Veteranen der Kampfhandlungen“ und ein Auto Kia Rio – das ist die russische staatliche Kompensation für die Morde an den Ukrainern und den im Donbass verlorenen Arm eines ehemaligen Zeitsoldaten der 8. selbstständigen motorisierten Schützenbrigade der russischen Streitkräfte.
Zu einer der Hauptrichtungen der Tätigkeit von InformNapalm gehört die Erfassung und Veröffentlichung von Zeugnissen, die die Fakten für die Beteiligung der Streitkräfte Russlands am Krieg im Donbass belegen. Unsere Publikationen basieren auf Angaben, die wir im Lauf eigener OSINT-Untersuchungen erhalten, und werden mit entsprechenden Belegen gestützt: mit Foto- und Videomaterial, Screenshots von den Dokumenten und/oder Auszeichnungen, Angaben zur Geolokalisierung, Auszügen aus dem Briefwechsel zwischen den Teilnehmern der Ereignisse usw.
Vorwort
Noch in der Anfangsphase des Konflikts im Osten der Ukraine waren ins Blickfeld von InformNapalm die Militärangehörigen der kampffähigsten Truppenverbände des Südlichen Militärbezirks Russlands geraten: Tschetschenien – 8., 17. und 18. selbstständige motorisierte Schützenbrigaden, Dagestan – 136. Brigade, Inguschetien – 291. Artilleriebrigade, Nordossetien – 19. motorisierte Schützenbrigade. Diese Brigaden waren meist mit Zeitsoldaten komplettiert, die eine Erfahrung in Durchführung von antiterroristischen Operationen am Nordkaukasus hatten. Es wurden sowohl einzelne Militärangehörige registriert, als auch ganze Abteilungen, die im Bestand von Kampfgruppen agierten.
Unseren Beobachtungen nach, hatte das russische Militärkommando nach der Sommer-Herbst-Kampagne 2014 und der Besatzung von Donbass seine Kriegstaktik geändert und die Anwesenheit von regulären Abteilungen im Donbass wesentlich reduziert. Dazu trug die Erschaffung von IBFs (illegale bewaffnete Formationen) in Form der sogenannten „DVR/LVR“-Armeekorps bei, die sowohl mit den lokalen Separatisten als auch mit russischen „freiwilligen“ Söldnern komplettiert worden waren. Aber auch hier gelang es nicht, gänzlich ohne die regulären russischen Soldaten auszukommen.
Nun sind die „ukrainischen Dienstreisen“ der russischen Zeitsoldaten und Offiziere zwar länger geworden, aber weniger massenhaft. Sie finden auf freiwilliger Basis statt, in der Regel sind es hinzukommandierte mittlere Offiziere und Zeitsoldaten, die in den Donbass-IBFs Führungspositionen innehaben und Spezialisten-Stellungen belegen. Diese Herangehensweise ist dadurch bedingt, dass die absolute Mehrheit der Söldner nicht im Stande ist, die Technik, Waffensysteme und andere Sondermittel zu bedienen, die ihnen die russische Seite zur Verfügung stellt. Die wichtigsten Beweggründe der russischen Militärangehörigen im Donbass ist ihr Wunsch, Geld zu verdienen und Karriere zu machen. Wenn man genauer wird, ist es der dreifache Lohn und die Perspektive eines Karriereaufstiegs, darunter auch die prüfungslose Aufnahme an verschiedenen Militärakademien wie auch andere „Zuschläge“.
Der Preis des Schweigens
Nicht alle russische Militärangehörige hatten aber das Glück, „Kampfgeld“ ausgezahlt zu bekommen – einige „Donbass-Veteranen“ und die Familienmitglieder der getöteten Besatzer blieben ohne jegliche Auszahlungen. Andere wiederum hatten mehr Glück – sie haben nicht nur Staatsauszeichnungen und den Status eines Veteranen der Kampfhandlungen bekommen, sondern auch materielle Entlohnung. Natürlich kommt der Unterhalt von überlebten und verstümmelten Soldaten und Offizieren dem russischen Staatsbudget teuerer zu stehen, da die Getöteten das ihnen Zustehende ja nicht mehr einfordern können. Die Getöteten werden meist abgeschrieben, indem sie aus regulären Militärangehörigen in Freiwillige umqualifiziert werden – in Kämpfer von „Neurussland“, was wir zum Beispiel im Fall von Denis Husainow beobachteten, der im August 2014 getötet worden und ein Zeitsoldat der Aufklärungskompanie der 18. motorisierten Schützenbrigade gewesen war, und der aber in die Liste der getöteten Kämpfer des „LVR“-Regiments „Witjas“ eingetragen worden ist.
Zu einem der „Glückskinder“ gehört dagegen der ehemalige Zeitsoldat der 8. motorisierten Gebirgs-Schützenbrigade (Militäreinheit 16544, Stationierungsort: Dorf Borsoj, Tschetschenien, Südlicher Militärbezirk, Russland) Anatoly Osipow (archivierte VK-Profile 1, 2; OK-Profil), geb. in Uljanowsk, den wir bereits seit 2014 beobachten. Nach Ergebnissen unserer ersten Publikation „Medaille „Für Tapferkeit“(Nr. 64165, auf Erlass des russischen Präsidenten vom 1.09.2014), die Anatoly Osipow gewidmet war, der nach den Sommerkämpfen 2014 im Donbass ohne einen Arm geblieben ist, hat die russische Zensur den braven russischen Soldaten gezwungen, die Fotos seiner Staatsauszeichnung aus seinem Profil zu löschen. Ein Jahr nach jener Publikation ist Osipow aber wieder ins Blickfeld unserer OSINT-Experten geraten, als er ziemlich berechtigte Ratschläge auf der VK-Gruppenseite der 8. Gebirgsbrigade verteilte, und zwar an einen Rekruten, der unbedingt einen Vertrag in dieser Brigade unterzeichnen wollte. Er warnte den Neuankömmling davor, dass trotz des dreifachen Lohnes es ziemlich schlimm im Donbass sei, es „200ter“ gibt und er selbst auch ohne einen Arm geblieben sei und aus seinem Dienst zurücktreten musste, siehe: „Folgen der „neurussischen Dienstreisen“ für die 8. Gebirgsbrigade der Streitkräfte Russlands“.
Im Dezember 2015 prahlte Osipow erneut – diesmal mit seinem neuen Auto Kia Rio. Allem Anschein nach ist das Auto fürs Entschädigungsgeld erworben worden, das ihm vom Staat für seinen verlorenen Arm und das Schweigen über den Donbass-Krieg ausgezahlt worden war. Siehe Fotoarchive: 1 und 2.
Ende Juli 2016 sehen wir im Profil von Anatoly Osipow den Ausweis eines Veteranen der Kampfhandlungen mit der Nummer 0566270, der ihm im Namen des Zentralen Militärbezirks ausgehändigt wurde (wegen seines Wohnorts), siehe Archive 1 und 2.
Resume
Jeder russische Kriegsverbrecher, der zum Subjekt unserer Untersuchungen geworden ist, wird von uns weiterhin beobachtet. Und wir werden sie noch lange beobachten. Ihre Erlösung können sie nur auf der Anklagebank eines internationalen Tribunals finden. Oder in freiwilliger Buße, wie im Fall des ehemaligen Fallschirmjägers des 104. Luftlanderegiments, der Jahre später die Namen seiner Dienstkollegen preisgegeben hat, die mit ihm zusammen an der Invasion nach Georgien im August 2008 beteiligt waren, siehe: „Das Bekenntnis eines russischen Fallschirmjägers aus Pskow“.
Die 8. Gebirgsbrigade wurde übrigens mehrmals zum Gegenstand der InformNapalm-Untersuchungen im Kontext der „ukrainischen Dienstreisen“, siehe:
- „8. motorisierte Gebirgsbrigade Russlands in der Ukraine“, vom 22. September 2014
- Разведподразделение 8-й МСБр (горной) на границе с Украиной, vom 8. Oktober 2014
- „Show Must Go On, or The Foreplay“, vom 30. Oktober 2014
- „Wie kommt man in Russland zu einer „Tapferkeitsmedaille“?“, vom 9. Dezember 2014
- „8. selbstständige motorisierte Schützenbrigade RF im Verband der „LVR-Volksmiliz“, vom 17. Juli 2015
- „Folgen der „neurussischen Dienstreisen“ für die 8. Gebirgsbrigade der Streitkräfte Russlands“, vom 11. September 2015
- „Russland konzentriert frische Kräfte für die Verlegung in den Donbass“, vom 21. November 2015
- „Kampfweg der 8. Gebirgsbrigade der Streitkräfte Russlands: Von Entsendung in den Donbass bis zur Auszeichnung für Kriegsverbrechen“, vom 28. Dezember 2015
Dieses Material wurde von Irakli Komakhidze exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
CC BY 4.0
Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
One Response to “Der Preis des Schweigens über den Donbass-Krieg: eine Medaille, ein Veteranenstatus und ein Auto”
12/09/2017
Sommer 2014: Zeitsoldaten der russischen 8. Brigade im Donbas - InformNapalm (Deutsch)[…] Osipow posiert, der seinen Arm im Donbas verloren hatte und zum Thema unserer Untersuchung „Der Preis des Schweigens über den Donbas-Krieg: eine Medaille, ein Veteranenstatus und ein A… aus dem Jahr 2016 […]