Am 9. Juli berichtete der Grenzschutzdienst der Ukraine über die Festnahme des Staatsbürgers Russlands, „Oberst“ Walery Gratow, der mit einem gefälschten ukrainischen Pass in die nicht-anerkannte „Transnistrische Republik“ durchzuschleichen versuchte. Die Ukrainische Cyberallianz hat den Zugang zum E-Mail-Account von Gratow erhalten. In der nachfolgenden Publikation erzählt Sean Townsend, warum Gratow nur ein „Oberst“ in Anführungszeichen ist, wie der Schmuggel unter der Deckung einer Pseudo-Veteranen-Organisation abläuft und wie Gratow fast zu einem General wurde.
Auf zahlreichen Fotos prahlt der urwüchsige Walery „Sanytsch“ Gratow mit den Schulterklappen eines Obersts, Chevronen der Luftlandetruppen und des Militärnachrichtendienstes Russlands, umgeben von berüchtigten Feldkommandeuren der Söldner. Es gibt auch Selfies mit Terroristen wie Mosgowoj, Giwi, Motorola und dem zweifachen „Generalmajor“ Alexander Sachartschenko.
Zunächst verwirrte uns der Orden „Roter Stern“ (selbst Grenzschutzmitarbeiter verwechselten es), aber nach genaueren Hinsehen haben wir erkannt, dass es in Wirklichkeit ein Stück Blech unter der Bezeichnung „Generalsorden der Margelow-Armee“ ist. Einer unserer Leser zählte vier Orden und drei Medaillen mit dem „Onkel Margelow“. „Sanytsch“ leistete seinen Wehrdienst im Jahr 1971 ab, und damit war seine Militärkarriere wohl auch beendet. Somit ist der Rang eines Feldwebels das höchste, was er je erreichen durfte. Wie in einem Forum vermerkt wurde, sieht man an der Brust des „Helden“ keine „Sand“-Auszeichnungen (Anm.d.Red.: „Sandauszeichnung“ – so werden Jubiläumsauszeichnungen bezeichnet, die zu irgendeinem Jahrestag verleihen werden, z.B. „70. Jahrestag der Streitkräfte der UdSSR“ usw.), ein Abzeichen über die Absolvierung einer Militärhochschule fehlt ebenfalls.
Gratow erzählt allen, er sei bis vor 1989 ein Karate-Trainer bei Mitarbeitern des KGB der UdSSR und ein Meister des Jahres 1983 gewesen. In der Liste der Sieger taucht komischerweise sein Name nicht auf. Aus einer anderen, selteneren Variante seiner Biografie haben wir erfahren, dass er tatsächlich Box-Trainer in der Schule für die olympische Reserve gewesen war. Seit 1989 war Gratow ein Leibwächter des Präsidenten der Pseudorepublik Transnistrien, wahrscheinlich wurde ihm dort ein außerplanmäßiger Dienstrang verliehen. 1996 hatte Gratow die Staatsbürgerschaft Russlands erhalten.
Er hatte wohl seine neue Berufung gefunden – Mitglied der Veteranen-Organisationen zu sein, und zwar des „Vereins der Fallschirmjäger Russlands“ und des „Internationalen Vereins der Fallschirmjäger“. Dann begann der Krieg gegen die Ukraine, und Gratow versuchte sich auf den besetzten Territorien, wo die Konkurrenz vor dem Hintergrund des Pseudopatriotismus wesentlich schwächer war. In Donezk bekam er eine Wohnung zur Verfügung gestellt (höchstwahrscheinlich eine illegal besetzte) und wie er selbst mehrmals in seinen Briefen schrieb, wurde er „gefüttert“, denn eine Entlohnung stand ihm nicht zu, obwohl Gratow eine Bescheinigung aus der Militäreinheit 08805 („Oplot“) des russischen Besatzungskorps besitzt, die belegt, dass er Kampfaufgaben erfüllte und den „patriotischen Geist“ der Besatzer aufrichtete. Seine Heldentaten erwähnt „Sanytsch“ kein einziges Mal, liebt es aber, mit einem Gewehr vor Ruinen zu posieren und die bescheiden zu kommentieren: „In der Kampfzone“.
An diesem Screenshot ist die Zwischenüberschrift äußerst interessant: „An die Staatsduma der Russischen Föderation“. Gratow verschickt solche Briefe in Unmengen und legt Bescheinigungen, Lebenslauf und seine Fotos bei. Er verschickt Briefe an russische Abgeordnete, das Außenministerium von Transnistrien und an Lawrow im russischen Außenministerium. Er traf sich mit „Doktor Lisa“ und besprach Lieferungen von Medikamenten für verwundete russische Besatzer (aha, das waren wohl die „Kinder des Donbas“). Er macht verschiedene Bekanntschaften, versuchte sich mit dem russischen General Sergei „Kobra“ Solomatin zu treffen, traf sich mit dem Gosduma-Abgeordneten Schurawlew (EML-Brief). Also, alles wie immer: „Es gibt keine Russen im Donbas“.
Im Dezember 2014 hatte Gratow wohl Heimweh und wollte zurück nach Transnistrien, wurde aber vom moldauischen Sicherheitsdienst am Flughafen von Kischinau festgenommen. Nichts konnte ihn verraten, außer einer „Neurussland“-Flagge und eines terroristischen Fotoalbums. Gratow wurde des Söldnertums beschuldigt – die russische Botschaft hat ihn aber gerettet, und er wurde nach Moskau deportiert, von wo er später wieder in den besetzten Teil des Donbas kam.
Die Tragödie des Möchtegern-Obersts besteht darin, dass Transnistrien auf einer Seite an Moldau angrenzt, wo er allzu gut bekannt ist, und auf der anderen – an die ebenso „freundlichgesinnte“ Ukraine, wo, wie wir hoffen, gegen ihn bald eine Anklage wegen Terrorismus erhoben wird. Also, wie die Mitarbeiter der russischen Botschaft mal witzelten, kann er „nur in einem Sack mit Diplomatenpost“ ((EML-Brief) nach hause gelangen. Es gab zwar noch die Möglichkeit, den FSB um Hilfe zu bitten, damit dieser ihn in ein Militärflugzeug verfrachtet, während einer weiteren Rotation der russischen Besatzungskräfte in Transnistrien, aber der FSB ließ ihm ausrichten, dass er ein Niemand ist, und Gratow beschloss, einen falschen Pass zu benutzen. Er hat zwei davon: einen belarussischen und einen ukrainischen. Mit dem falschen Pass der Ukraine auf den Namen „Walery Georgijewitsch Wojtenko“ wurde er von ukrainischen Grenzdienstmitarbeitern festgenommen.
Ob die terroristische „Republik“ noch zwei solche „Generäle“ ausgehalten hätte, ist fraglich (Auf dem Foto sehen Sie weitere „Oberste“):
Außer endlosen Fotosessions und „Orden&Medaillen“ ist auch die Finanztätigkeit von Gratow von großem Interesse. Seine Nähe zur Führung der Pseudorepubliken eröffnet fantastische Möglichkeiten für Schmuggelei, nach dem Beispiel des Unternehmens „Sheriff“ in Transnistrien. Es handelt sich dabei um Schmuggel von Lebensmitteln, Kohle, Metall und anderen Waren:
Alexej, ich hab ihnen deine Nummer gegeben, die sollen sagen, die sind von Sanytsch wegen Cognac, wenn es um den Wein „Bouquet Moldaus“ geht – da gibt es auch einen Weg, mach‘ nur. Und wenn es noch eine Möglichkeit gibt, Lebensmitteln in den Donbas zu liefern, so sind die Leute auch bereit. Zum Beispiel von der Firma Sheriff. Ich hab einen Mann im Vorstand dieses Unternehmens, du kennst ihn bestimmt – das ist Ruslan Petrowitsch (ehem. Leiter des Kriminaldienstes in Transnistrien). Also, überleg‘ dir selber, wie du die Brücken schlägst. Ja, und ich hab noch Leute aus dem Vorstand des Vereins der Fallschirmjäger Russlands und der Krim. Zu denen kann man auch, mit den gleichen Fragen.
Alexej, die Preisfrage hängt, soweit ich das verstehe, davon ab, wo sich die Kohle gerade befindet, wenn du den Abgabepreis hier brauchst – das ist eine Sache, aber soweit ich das verstehe, gibt es noch den Lieferpreis. Den Abgabepreis kann ich dir wahrscheinlich geben, aber hier gibt es ein Problem mit der Eisenbahn. Ich kann dir keine Eisenbahnwagen von Rostow aus geben, denn die Ukraine wird ‚rumschreien, dass hier die Eisenbahnwagen aus Russland auf ihr Territorium einfahren. Darum hat man uns gebeten, ein wenig zu warten, vielleicht bekommen wir repartierte Wagen, zumindest haben sie es versprochen. Geben Sie mir die Preise und an wen ich Spirituosen verkaufen kann, und den Rest lösen wir im Prozess.
Alexej, ich war heute bei dem DVR-Anführer, er beauftragte mich, dringend den Wohltätigkeitsfonds „Sie haben es verdient“ auf dem Territorium der Donezker Republik und eine GmbH auf mein Konto zu registrieren, er wird alles unterzeichnen, also faktisch zwei Kanäle für die Arbeit. Falls es für dich interessant ist, gebe ich den Juristen den Befehl, in kürzester Zeit die benötigten Unterlagen (das ganze Paket) auszufertigen und dann kann man anfangen zu arbeiten.
Zusammen mit Gratow wird der Warenschmuggel auf das Territorium der „DVR“ außerdem von Denis Namaschko organisiert, der unter der Schirmherrschaft von Alexander Sachartschenko agiert. Er hat die Grenze der Ukraine über unkontrollierte Stellen im besetzten Teil des Donbas und auf der Krim mehrmals überquert.
Ein russisches Unternehmen mit Registrierung in Hong Kong plant, Kohle aus dem Donbas nach Finnland zu liefern (PDF-Brief, EML-Brief). Diese Affäre wurde von Sachartschenko höchstpersönlich begrüßt, daran nimmt auch der „Verein der Fallschirmjäger Neurusslands“ mit Wiktor Demidenko an der Spitze teil, der bis zu den Ohren im Schmuggel von Treibstoff und Lebensmitteln steckt. Die Bezahlung für die Kohle wollen die russischen Händler in bar vornehmen.
Für Schmuggler eröffnen sich wohl neue Perspektiven. Gratow ist zwar lächerlich, hat es aber geschafft, sich das Vertrauen von Anführern der Söldner und der „Führung“ von Pseudorepubliken zu erschleichen (EML-Brief).
Denis, gestern war ich beim DVR-Anführer Sachartschenko, er hat gesagt, dass ich dringend meinen Wohltätigkeitsfonds „Sie haben es verdient“ (in Transnistrien habe ich so einen) gründen, eröffnen und registrieren soll, eine GmbH auf dem DVR-Territorium, um anfangen zu arbeiten, er gibt uns Präferenzen beim Zoll usw. Den Juristen hab‘ ich alles abgegeben, damit sie ein kompetentes Statut machen. Den Namen müssen wir uns noch ausdenken, Wenn du irgendwelche Vorschläge zu diesen Fragen hast, kann man die in der Anfangsphase der Arbeit zur Fertigstellung der Dokumente berücksichtigen. Ich warte auf deine Vorschläge.
Gratow beteiligt sich auch an einem Deal über Walzerzeugnisse mit einer Firma aus dem russischen Tscheljabinsk (für eine Summe von 2.300.00 Rubel (18.000$); EML-Brief). Das Geld haben die Jungs aus Tscheljabinsk zwar genommen, die Röhren sind in der jungen „Republik“ aber noch immer nicht angekommen.
Fantasie scheinen diese Hochstapler aber genug zu haben, denn sie nehmen jedes beliebige Projekt in Angriff, ob Pilzezüchtung oder Einmischung in den Prozess des Gefangenentauschs. Außerdem beschäftigen sie sich zusammen mit Russen an Lieferungen von Ausrüstung für die terroristischen Banden im Donbas (EML-Brief):
Und selbstverständlich auch mit Währungstausch zu einem Raubkurs (EML-Brief).
Und zum Schluss eine der besten Errungenschaften der russischen „Fallschirmjäger“ – der Schnaps „Margelowskaja“, 590 Rubel im Großhandel und 750 Rubel im Einzelhandel. „Wer, wenn nicht wir!“ (EML-Brief).
Der Hochstapler Gratow könnte wie eine Comicfigur erschienen, er schafft es aber immer wieder in die Nähe von Söldneranführern, der Führung von Marionettenrepubliken, russischen Politikern und Militärangehörigen, sowie an propagandistischen Reportagen teilzunehmen und Schmuggel- und Lieferungsschemata für die Terroristen auszuarbeiten. Walery Gratow kann den Ermittlern viel Interessantes erzählen. Mediale Persönlichkeiten der russischen Hybridaggression wie Motorola, Giwi oder Mosgowoj waren ebenfalls Freaks und hatten keine militärische Hochbildung. Man sollte keine Sekunde lang vergessen, dass der Bodyquard des transnistrischen „Präsidenten“ zum Töten und zum Rauben in die Ukraine gekommen ist. Seine Moskauer Betreuer haben nicht nur seine Kasperei geduldet, sondern ihm allseitige Hilfe bei der propagandistischen Tätigkeit erwiesen. Die Abgeordneten der russischen Gosduma, Generäle des FSB und der russischen Armee treffen sich nicht mit jedem Dahergekommenen, versorgen auch nicht jeden mit falschen Papieren und helfen nicht bei der Rückreise nach Hause nach Transnistrien. Zweifellos ist Walery Gratow ein Agent der russischen Geheimdienste, und einen Punkt in seiner Diversionstätigkeit wird wohl das ukrainische Gericht setzen müssen.
Vollständige Briefarchive von Walery Gratow und dem „Verein der Fallschirmjäger Neurusslands“ wurden auf exklusiver Basis von den UCA-Hacktivisten an InformNapalm übergeben. Sie können eine Kopie des Archivs erhalten, indem Sie sich an ruheight@gmail.com oder redaktion.de@informnapalm.org wenden. In Publikationen, die auf diesem Artikel basieren (oder auf einer Kopie des Archivs) ist ein aktiver Link zu InformNapalm und UCA obligatorisch. Die Gemeinschaft InformNapalm trägt keine Verantwortung für die Methoden der Informationsgewinnung und ihre Herkunft.
Auf dem Bild: Motorola und Gratow
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One Response to “Leben und Abenteuer des „Obersts“ Walery Gratow”
27/08/2017
"DVR"-Finanzschemas: Über 100 Millionen Rubel auf dem Konto der Stiftung von Sachartschenko - InformNapalm (Deutsch)[…] „Sie haben’s verdient“, die seinerzeit der Komplize von Sachartschenko Walery Gratow gegründet hatte, um den Kohlenverkauf […]