Dies ist ein Artikel, erschienen auf der russischen Website russ.ru am 21. April 2008 (!). Darüber hat Illarionow in seiner Rede vor dem EU-Parlament am 19. November 2014 gesprochen. Wir haben beschlossen, den Artikel zu übersetzen, um dem breiten Publikum verständlich zu machen, wie lange sich die Kremlregierung schon auf einen Krieg gegen die Ukraine vorbereitet hat. Die Ideen in diesem Artikel, zum Beispiel was die Krim angeht, wurden im Frühling dieses Jahres fast eins zu eins verwirklicht, faktisch sechs Jahre nach seiner Veröffentlichung… Bemerkenswert ist auch, WIEVIELE Artikel und Bücher über den Krieg gegen die Ukraine in den letzten Jahren in Russland herausgegeben wurden. Dies ist nur ein sehr „gutes“ Beispiel der imperialistischen Pläne Russlands. Zwischen dem ukrainischen und dem russischen Volk wurde zweckgebunden jahrelang ein Keil getrieben. Manche Zeilen, die uns besonders „beeindruckt“ haben, haben wir fett hervorgehoben. Schlussfolgerungen kann ja jeder Leser selbst ziehen.
Igor Dzhadan: „Willst Du Frieden?“
Der altbekannte Ausdruck „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor!“ ist längst veraltet und entspricht nicht mehr der Tiefe der menschlichen Erfahrung und unseres Verständnisses der Situation. Denn sofern der Zustand des „Friedens“ nur als Abwesenheit von Krieg „begriffen“ und widergespiegelt werden kann, ist ein Frieden ohne Krieg nicht möglich. Daher kann man den ersten Teil dieses Ausdrucks getrost weglassen und den zweiten – „bereite den Krieg vor“ – stehen lassen und „den Frieden ebenso!“ hinzufügen. Die Gesellschaft muss zu allem bereit sein und wie dem Krieg so auch dem Frieden tapfer entgegenkommen. Für jemanden könnte dieser Rückschluss zu mutig und zu philosophisch für einen gewöhnlichen Artikel im Internet erscheinen. Doch man sage was man wolle, in der russischen Gesellschaft hat der politische Journalismus die gesellschaftliche Stellung eingenommen, die bei den alten Griechen der Philosophie zugeordnet wurde.
Die Aufruhr und der Tumult, ausgelöst durch eine Reihe von Aufdeckungen und Erklärungen von Russlands Führungskräften bezüglich des Schicksals der Ukraine im Falle des weiteren Hineinziehens des Landes in die NATO zeigen, dass der Kreml auf dem richtigen Weg ist. Eine der Reaktionen darauf – zur Erinnerung – war die Aussage des ehemaligen Außenministers und zugleich Leiters der berüchtigten „Volksbewegung der Ukraine“ (ukr. „Рух“/“Ruch“) Tarasiuk, der einen Vorschlag unterbreitete, Gebietsansprüche an Russland zu stellen. Welch ein Glücksfall, jetzt muss Russland nicht einmal den „Casus Belli“ ersinnen!
Selbstverständlich ist es bereits unmöglich, die Russen mit verspäteten Verweisen auf das „Völkerrecht“ und darauf, dass „die Ukraine sich als souveräner Staat frei entscheiden kann, in welche Bündnisse sie eintritt“ zu täuschen. Die Gültigkeit dieser Sprüche gehört der Vergangenheit an, der Welt vor Kosovo, vor Irak. Die russophoben Kräfte – nach der Übernahme der Kontrolle über das Land – leiten nach Erhalt des „NATO-Schirms“ zwangsläufig die nächsten Schritte gegen die schweigsame russische Mehrheit des Landes ein. Denn wenn die Ukraine der NATO angehören sollte, wird der mögliche Preis für eine Intervention Russlands bedeutend größer. Dementsprechend wird die kalkulierte Wahrscheinlichkeit der Einmischung Moskaus in die Unterstützung des russischen Bevölkerungsanteils sinken und die Überzeugung der „Orangenen“ in ihrer Straffreiheit steigen. Ethnische Säuberungen an Russen in der Ukraine werden unaufhaltsam ab dem Moment, wenn die Orangenen verspüren, dass der Westen an den entsprechenden Artikel des Atlantischen Abkommens gebunden ist, der die automatische Intervention auf der Seite des NATO-Mitglieds erfordert.
Die ukrainische Gesellschaft wird seit Langem auf derartige Säuberungen vorbereitet. Somit kann es sein, dass in der entstandenen Situation die präventive Intervention nicht nur effektiver sein wird, sondern auch viel günstiger.
Doch in einer derartig wichtigen Frage wie der Mitgestaltung der Geschichte, schadet eine gewisse Skepsis nicht. Besitzt denn Russland die notwendigen Instrumente für eine Einmischung, um den Beitritt der Ukraine in die NATO zu verhindern oder um zumindest den Teil der historischen Rus, in dem die der russischen Kultur und der russischen Geschichte treu gebliebene Mehrheit lebt, am Eintritt unter die NATO-Bajonette zu hindern? Fragen kommen in erster Linie um das Potenzial der russischen Streitkräfte auf, um die Fähigkeit, deren Befehlsgewalt einen im Fall der Fälle benötigten Einsatz zu planen und ihn ins Leben zu rufen. Was könnte denn überhaupt ein Einsatz für die Befreiung der Ukraine darstellen und wie stehen die Chancen auf seinen Erfolg?
Hier könnte es einige Varianten geben. Abhängig von der Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen kann das Szenario einer militärischen Intervention drei grundsätzliche Wege gehen. Bei einer eher beschränken Variante könnten die russischen Streitkräfte nur die Krim-Halbinsel besetzen. Solch ein Szenario ist wahrscheinlich, wenn die ukrainische Führung weiterhin den Teil des „Freundschaftsvertrages“ missachtet, der die Stationierung der Schwarzmeer-Flotte regelt. In diesem Fall führt Russland, mit der Erklärung über die Notwendigkeit die Bewachung seiner Objekte zu verstärken, eine Landoperation zur Einnahme von Schlüsselelementen der Infrastruktur der Krim – Flughäfen, Häfen, Straßenknotenpunkte – durch Marinestreitkräfte durch. Die ukrainischen Einheiten auf der Krim sind keinem direkten Angriff ausgesetzt, vorausgesetzt sie leisten keinen Widerstand. Durch das Zögern der Kyjiwer Führung ist ein ernstzunehmender Widerstand bei diesem Szenario ausgeschlossen. Die einzigen Landstreitkräfte, deren Widerstand zu erwarten ist, sind das ukrainische separate Elite-Bataillon der Marinesoldaten des ukrainischen Küstenschutzes, stationiert in Feodossija. Hierauf beschränken sich im Übrigen auch die Kräfte der Marineinfanterie dieses Staates. Ebenso sind einzelne Feuergefechte auf dem Meer und ein vereinzelter Beschuss russischer Militärflugzeuge möglich.
Kyjiw wird auch sein Militär für die „Befreiung“ der Halbinsel nicht einsetzen und damit die übrigen Richtungen freilegen. Denn auf der Krim hat die Kyjiwer Regierung nie die geringste Unterstützung genossen und hielt sich stets nur mit nackter administrativer Macht. Die Krim ist für die Ukraine eher ein Kopfschmerz, dessen sich die „Orangenen“ vielmehr entledigen würden, könnten sie dies doch nur ohne Gesichtsverlust und parallel dazu mit der Stärkung der Kontrolle über den Rest der Ukraine durchführen. In diesem Fall wird der Konflikt rasch von dem militärischen Stadium ins Stadium des politischen Kampfes auf internationaler Bühne übergehen.
Folglich ist eine positive Reaktion der russischen Mehrheit zur Autonomie der Krim absolut vorhersehbar, ebenso wie eine rasche Umorientierung der lokalen Elite, der die „orangene“ Regierung in Kyjiw in keinster Weise die Stirn bieten könnte. Falls Russland seine Truppen nicht aus irgendwelchen politischen Gründen zurückbeordert und sich Moskau zu einem gegebenen Zeitpunkt aus Sicht der politischen Logik zu solch einem Schritt entscheiden sollte, ist ein Referendum über die Unabhängigkeit der Republik Krim und späteren – wahrscheinlich in einigen Jahren – Bildung eines Bündnisses zwischen der Krim und Russland oder gar ein Beitritt zur Russischen Föderation durchaus möglich.
Die weiß-blaue Rus
Im Falle einer breiteren Variante wird der gesamte Südosten der Ukraine zur Interventionszone, einschließlich der Krim, der an das Schwarze Meer angrenzenden Gebiete (Noworossija), des Donbas, Charkiws und Dnipropetrowsks. Das sind die sogenannten „weiß-blauen“, russischsprachigen Gebiete, deren Bevölkerung standhaft gegen russophobe Parteien stimmen. Bei einem Teil der Bevölkerung ist die ethnische Selbstidentifizierung hier nicht endgültig ausgeprägt, doch faktisch ist die gesamte Bevölkerung ausnahmslos positive gegenüber Russland gestimmt. Eben da ist der Hauptteil der ukrainischen Industrie konzentriert, eng verbunden mit der russischen Industrie, insbesondere im Bereich des militärisch-industriellen Komplexes: die gesamte ukrainische Raketenfertigung, Fabrikanlagen für den Turbinenbau für Atomkraftwerke, Schiffe und die Luftfahrt.
Die Anbindung dieser Territorien durch Russland als freundschaftliches staatliches Gebilde oder sogar mittels unmittelbaren Beitritts in die Russische Föderation könnte eine Reihe von Vorteilen haben. Zum einen, wie bereits erwähnt, eine freundliche, kulturell wie auch genetisch russische, auf historisch russischen Territorien lebende Bevölkerung. Mit diesem Bevölkerungsteil sind Probleme bezüglich der kulturellen oder der religiösen Inkompatibilität ausgeschlossen, die man sich im Falle eines Anschlusses von beispielsweise Abchasiens vorstellen könnte. Dieser Teil der Bevölkerung hat keine standhafte Identität, außer die der russischen, und im Falle der Wiedervereinigung mit Russland wird es in ihm vollständig aufgehen.
Zum anderen der hohe Bildungsstand des Südostens der Ukraine, seine Fähigkeit und sein Begehren, sich in die von Russland zu erschaffende Gruppen neuer Wirtschaftsart zu integrieren. Auch bringen die Arbeitskräfte des Südostens der Ukraine traditionell eine hohe Flexibilität mit, da die Bevölkerung selbst aus Migranten aus verschiedenen Gegenden Russlands besteht. Der Anschluss in der einen oder der anderen Art und Weise von zusätzlichen 15-20 Millionen ethnischen Russen zum russischen zivilisatorischen Projekt wird die Stärkung des Kerns der russischen Zivilisation erlauben. Dies würde in genereller Hinsicht die Forderungen der „Russischen Welt“ auf sein Selbst stärken, da eines der wesentlichen Gegenargumente die begrenzten demographischen Ressourcen sind. Der Zusammenschluss dieser Ressourcen in einer Faust, wenn auch nicht in einem Staat, dann doch in einem brüderlichen Bündnis, würde Russlands Status erheblich stärken. Wirft man einen Blick auf die Angelsachsen, kann man sich leicht vorstellen inwiefern die Lage für die USA in der Welt schwieriger wäre, würde dieses Land sich nicht der praktisch garantierten Zusammenarbeit mit Ländern wie Großbritannien, Kanada und Australien erfreuen.
Übrigens, im Gegensatz zu der eher beschränkten Variante, wird hier auch der Widerstand der ukrainischen Russophoben erbitterter ausfallen. Denn die „orangene“ Ukraine wird in diesem Fall ungefähr die Hälfte ihres Territoriums und ihrer Bevölkerung, zwei Drittel ihrer Industrie und den Seezugang verlieren. Sollten sich die Kyjiwer Eliten im Heute darüber in Illusionen wägen, dass die Ukraine in Europa in Zukunft die Rolle eines des größten europäischen Spielers beanspruchen könnte, dann werden diese Ambitionen im Falle des Verlustes der russischsprachigen Gebiete keinerlei, nicht einmal die fantasievollsten Grundlagen hierfür haben.
Auf diesem Gebiet findet sich ein beträchtliches Potenzial der ukrainischen Armee, die Gesamtstärke der Bodentruppen umfasst bis zu 80.000 Mann. Russischen Einheiten und Verbänden russischsprachiger Miliz könnten im gegebenen Fall drei Panzerbrigaden gegenüberstehen, eine davon ist bei Charkiw stationiert und die anderen könnten aus den Regionen Tschernihiw und Krywyj Rih vorgerückt werden. Unter Berücksichtigung der Angst vor dem Vorrücken nach Kyjiw, wird die ukrainische Armee höchstwahrscheinlich nicht in der Lage sein, dem russischen Angriff mehr als fünf mechanisierte Brigaden entgegen zu stellen.
Dasselbe Schicksal werden auch die ukrainischen Luftsturmeinheiten erleiden: Anstatt sie in Kampfhandlungen einzusetzen, werden sie zur Hauptstadt zusammengezogen. Die Rede ist von der 25. separaten Luftlandebrigade (Dnipro), der 95. separaten Luftsturmbrigade (Schytomyr) und dem 80. separaten Luftsturmregiment (Lwiw). Die 79. separate Luftsturmbrigade (Mykolajiw) wird es nicht rechtzeitig schaffen, den Rückzug anzutreten und wird am eigenen Truppenstandort umzingelt werden. Drei Regimenter der ukrainischen Armeefliegerkräfte werden den Aktionen der 16. Luftflotte der russischen Luftstreitkräfte (Kubinka), sowie den Angriffsgruppierungen als Verstärkung zugeteilten 5. (Ural) und 6. (Seweromorsk) separaten Jagdgeschwadern der russischen Luftstreitkräfte und Luftabwehr keinen ernstzunehmenden Widerstand leisten können.
Die Operation könnte mit der Zerschlagung der ukrainischen Flotte durch Luftangriffe und Seezielflugkörper und der Besatzung seiner Stützpunkte durch das 810. separate Regiment, das 882. separate Luftlande-Sturmbataillon und das 382. separate Marineinfanterie-Bataillon der Schwarzmeer-Flotte mit Unterstützung der über den Luftweg verlegten vier Regimenter der Pazifischen Flotte der 55. Marineinfanterie-Division (Wladiwostok) in Odessa, Otschakiw, Tschernomorsk, Nowooserne, Mykolajiw, Jewpatorija und Feodossija beginnen. Für den Ausbau des Erfolgs der Luftlandeeinheiten wäre es vernünftig, das separate Panzerbataillon der Marineinfanterie der Schwarzmeer-Flotte von Noworossijsk an das Aufmarschgebiet Odessa zu verlegen.
Allerdings ist es unmöglich, eine derartige Operation auf das Aussetzen von Luft- und Marinelandungseinheiten zu begrenzen. Russland könnte die Kräfte der Luftlandetruppen und die Marineinfanterie zur Operation hinzuziehen. Doch sollten die ukrainischen motorisierten Militäreinheiten und Panzereinheiten aus welchen Gründen auch immer Widerstand leisten, könnte die Operation sich übermäßig in die Länge ziehen. Deshalb wäre es logischer, wenn die Handlungen der Landungstruppen auf der ersten Etappe mit dem Zugriff auf die Dnipro-Mündung durch einen Schlag von schweren Einheiten von Bodentruppen und Panzer-Divisionen in Richtung der Küste und nach der Forcierung des Flusses durch einen Teil der verfügbaren Kräfte mit der Trennung der ukrainischen 79. separaten Luftsturmbrigade von der nördlich stationierten ukrainischen Bodenformation im Gebiet von Krywyj Rih und Bila Zerkwa unterstützt werden. Das endgültige Ziel der motorisierten Militäreinheiten und den Panzereinheiten ist der Einmarsch bis hin zu den Grenzen von Transnistrien bei Perwomajsk.
Das rasche Vorankommen und geringe Verlustzahlen könnte hier eine effektive Aufklärung gewährleisten, die auf Wunsch – angesichts des freundschaftlichen Charakters der lokalen Bevölkerung – nicht schwer zu organisieren wäre. Eine zu aktive Verlegung von ukrainischen Einheiten in den Süden – wenn sie zustande käme – würde eine Bedrohung der Dnipro-Forcierung darstellen. In einem solchen Fall ist ein präventiver Luftangriff auf die Start- und Landebahnen der Flughäfen von Cherson, Odessa und Mykolajiw äußerst empfehlenswert. Zur Schwächung der ukrainischen Luftabwehr müsste dann die taktische Luftwaffe der Schwarzmeer-Flotte mit Anti-Radar-Raketen herangezogen werden.
Etwas nördlicher, im Gebiet von Charkiw und Dnipropetrowsk, werden die Handlungen der Landetruppen logischerweise durch Einheiten des Moskauer Militärbezirks unterstützt. Das Hauptziel ist hier die rasche Einnahme der Städte und die Einkesselung der zerschlagenen Einheiten der ukrainischen Armee. Da sie hauptsächlich aus Russischsprachigen bestehen, werden sie, wenn sie die Landverbindung zum Zentrum verlieren, höchstwahrscheinlich keinen ernstzunehmenden Widerstand leisten. Im Allgemeinen werden die größten Schlachten mit den „orangenen“ Einheiten, die Kyjiw treu geblieben sind, in den Gebieten Odessa und Mykolajiw erwartet, da die wertvollste Errungenschaft für die ukrainischen „Atlantiker“ und ihren Herren der Zugang zum Schwarzen Meer ist.
An dieser Stelle der Kampfhandlungsbühne kann man das Auftreten von verbündeten „Friedens-“ oder sogar regulären Einheiten von Ländern des atlantischen Blockes, wie Polen und Rumänien, erwarten. In diesem Fall könnte man von einer Eskalation des Konfliktes sprechen. Übrigens hat Russland etwas, womit es auf eine derartige Eskalation antworten könnte: um die NATO pro forma nicht durch Schläge auf ihren Territorien zur direkten Intervention zu provozieren, könnte Russland eine Operation gegen Schiffe dieser Länder im Schwarzen Meer und in der Ostsee starten und sie bis zur „Klärung der Sachlage“ aufhalten und internieren. Solche Handlungen würden keinen direkte militärische Wertigkeit haben, doch sie würden Russlands Entschlossenheit zeigen und würden mehr noch, Länder wie Deutschland und Frankreich erschrecken. Aus Furcht irgendwann gegen ihren Willen in eine direkte Konfrontation mit Russland hineingezogen zu werden, würden Letztere den Abbruch der Intervention fordern und im günstigsten Fall könnte auch ein direkter Zerfall der NATO eintreten, womit Russland noch mehr gewinnen würde.
Im Übrigen sollte Russland angesichts der Bedürfnisse und Möglichkeiten der russischen Wirtschaft die Lösung des Konflikts nicht hinauszögern. Im Gegensatz zu den USA im Irak und Afghanistan ist Russland durchaus in der Lage ihn siegreich zu lösen, ohne sich in einen anstrengenden, jahrelangen Kampf mit einer ethnisch fremden Bevölkerung hineinziehen zu lassen.
Rückkehr der „Mutter aller russischen Städte“
Die dritte Variante der Entwicklungen zielt zusätzlich auf die Einnahme des Südostens, die Kontrolle über Kyjiw und die zentralen Regionen ab. Die Verwirklichung eines solchen Szenarios wird selbstverständlich den höchsten Preis fordern, das hat jedoch seine Vorteile: Russland holt sich die Kontrolle über das älteste Zentrum der russischen Spiritualität und Staatlichkeit zurück. Natürlich wird dieses Szenario nur im dem Fall möglich, wenn der gesamte Ehrgeiz der russischen Elite steigt, der zur Zeit, im Gegensatz zur Raketenkapazität, verhältnismäßig niedrig bleibt.
Sobald die gegnerische Partei merkt, dass das Ziel der Offensive Kyjiw ist, werden alle der „orangenen“ Regierung treuen Kräfte mit Sicherheit zur Hauptstadt zurückgezogen, und in einem solchen Fall werden sich alle primären Kämpfe in ihren Außenbezirken entfalten. Dann ist die extreme Radikalisierung der Handlungen beider Seiten möglich. Das Ziel der Landfunkverbindungen und der Luftflotte wird dann sein, Kyjiw von den Kommunikationskanälen, die die Stadt mit den westlichen Regionen verbinden, abzuschneiden, um die Überflutung der Stadt mit für Panzer gefährlichen Kämpfern, vertreten durch die westukrainischen Bürgermilizen, nicht zuzulassen und die Stadtkämpfe nicht hinauszuziehen. Im Kyjiwer Gebiet und nördlich davon könnten das 8. Armeekorps der Ukraine und vor allem die 1. separate Garde-Panzerbrigade Widerstand leisten, die sich vorab die Aufmerksamkeit der „orangenen“ Führung verdient hat.
Ein demonstrativer, in der Nacht erzeugter Atomschlag in der Stratosphäre im südlichen Bezirk der Prypjat-Sümpfe würde in solchem Fall außerordentlich helfen. Er würde keinen signifikanten Schaden verursachen, wenn man von der Zerstörung von Stromleitungen und Elektrogeräten im Radius von 100 Kilometern absieht. Er wäre jedoch im „Moskal“-hassendem Lwiw und sogar in Polen sichtbar. Diese Demonstration der innersten Entschlossenheit des Kremls, würde auf Anhieb die heißen Köpfe ernüchtern.
Übrigens könnten die politischen Auslagen solch einer Demonstration einigen untragbar erscheinen. Deshalb könnte eine rasche Mobilisierung von Freiwilligen unter der Jugend des Südostens ein effektiver Ersatz für Atomwaffen werden. Solche in der Hauptstadt auftauchenden Verbände würden schneller Ordnung schaffen als die russische Armee, welcher nur übrig bliebe, die hochmotivierte Infanterie mit ihren Präzisionswaffen zu unterstützen.
Als zusätzliche Maßnahme sind Angriffe auf Verkehrsknotenpunkte und Bezirke der Konzentrierung der Feindes westlich von Kyjiw mit Einsatz von Streumunition, Druckwellenmunition und weißen Phosphors aus der Luft naheliegend. Die Artilleristen sollte man auch nicht ohne Arbeit verweilen lassen: aus den Vororten von Kyjiw sind Mehrfachraketenwerfer in der Lage, ein Territorium im Radius von 90 Kilometern zu kontrollieren. Orientierend an Aufklärungsdaten von Drohnen sind sie in der Lage, das Anrücken der feindlichen Verstärkung zur Stadt zu vereiteln.
Eine besondere Stellung in der Operation wird die blitzartige Einnahme des Kyjiwer Höhlenklosters und seiner Festhaltung bis zum Eintreffen der Hauptstreitkräfte einnehmen. Die für diese Operation vorgesehenen SEK-Einheiten müssen eine Zeit lang während vollständiger Einkesselung handeln. Im Zuge der Säuberung der Hauptstadt von den Resten der „Orangenen“, wird sich Moskau auf die diplomatische Front, wo auch die Hauptkämpfe erwartet werden, konzentrieren können. Sie werden als schwierig erwartet, aber im Endeffekt würde Moskaus internationale Stellung nur gestärkt werden, da vielen Zweifelnden klar werden würde, dass man mit Russland lieber befreundet sein sollte, als mit ihm auf Kriegsfuß zu stehen.
In den Hauptstädten, die besonders hartnäckig in ihren Feindseligkeiten verharren, wird die Phase eines gewissen Schocks eintreten. Da allerdings die Temperaturen der Beziehungen auch ohnedies nahe dem absoluten Nullpunkt liegen, können sie einfach nicht mehr tiefer fallen. Denn durch die Globalisierung hängen die stärksten Staaten der Welt in keinem geringeren Grad von Russland ab, als Russland von ihnen. In der kurzfristigen Perspektive ist Russland zuverlässig gegen direkten Angriff durch die Verfügbarkeit von strategischen Nuklearstreitkräften gesichert. Was die längerfristigen Perspektiven betrifft, so hängen sie eher nicht von Russlands Benehmen, sondern von der Fähigkeit seiner Regierung ab, den Zustand der strategischen Stabilität zu bewahren. Kein „gutes“ Benehmen Russlands sichert es gegen Feindseligkeiten ab, wenn die Amerikaner ihr Raketenschild für vollendet erachten. Und bis dahin hat Russland allen Grund dazu, sich in Schlüsselfragen selbst Richter zu sein.
Anmerkung der InformNapalmDeutschRedaktion: Wir möchten noch einmal daran erinnern, dass dieser Artikel vom 21. April 2008 ist, und er nur ein Beispiel von vielen solchen Artikeln und Büchern ist, die im Laufe der letzten Jahre in Russland erschienen sind. Wer sich noch einmal vom Datum der Veröffentlichung überzeugen möchte, kann sich gerne die zwei Screenshots anschauen:
Quelle: http://www.russ.ru/pole/Operaciya-Mehanicheskij-apel-sin; übersetzt von Kateryna Matey; editiert von Irina Schlegel.
CC BY 4.0
7 Responses to “Operation „Clockwork Orange“: Wie der Krieg gegen die Ukraine schon 2008 in Russland besprochen wurde”
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