von Sonja Koschkina, Chefredakteurin der lb.ua
„Im Laufe des Winters 2013/14 bekam Kiew dreimal Besuch von verschiedenen Gruppen der Mitarbeiter von FSB und russischem Innenministerium . Das erste Mal – 13. bis 15. Dezember – kam die größte Gruppe: 26 Personen. Das zweite Mal – 26. bis 29. Januar – 6 Personen. Und das dritte Mal – 20. bis 21. Februar – 7 Personen. Dabei fällt auf, dass die „Gäste“ jedesmal nach einem Höhepunkt der Konfrontation aufgetaucht sind. Im Dezember – nach dem Versuch der Auflösung des Maidan vom 10. auf den 11. Dezember. Im Januar – nach dem Vereiteln der Verhängung des Ausnahmezustands. Im Februar – nach dem Massaker am 18. Februar und am Tag der Massenerschießung auf der Institutska Straße.“
Das ist ein Ausschnitt aus dem Buch „Maidan. Die unerzählte Geschichte“, das sich mit der Untersuchung der Aktivitäten des russischen Geheimdienstes in Kiew während der Revolution der Würde befasst. Zum ersten Mal wurde es am 18. Februar 2015 auf LB.ua veröffentlicht – am ersten Jahrestag der tragischen Ereignisse.
Am Abend des folgenden Tages, in einer Sendung des Fernsehsenders „1+1“ berichtete der Leiter des SBU Walentin Naliwajtschenko von dem Verlauf der Untersuchung der entsprechenden Fälle und bestätigte dabei die Tatsache der Anwesenheit von russischen Sicherheitskräften auf dem Maidan. Desweiteren erzählte Naliwajtschenko Folgendes: „Die Mitarbeiter der SBU-Sondereinheit „Alpha“ haben ausgesagt, dass die sogenannte Anti-Terror-Operation (ATO auf dem Maidan am 18. – 20. Februar) von russischen Offizieren geleitet wurde. Außerdem haben sie über die Standorte der ausländischen Scharfschützen-Gruppen ausgesagt, welche sowohl auf die Demonstranten als auch auf die Sicherheitskräfte geschossen haben“.
Und weiter: „Im Rahmen dieser Ermittlung haben wir Zugriff auf die Dienstgrade, Namen, Kopien der Ausweise, Zeitpunkt der Einreise und Ausreise, über welche Kanäle sie kommuniziert haben, in welchen Räumen sie sich befanden, wie der Berater des Präsidenten Putin, Surkow, sie geleitet hat“, – berichtete Naliwajtschenko.
Die Schlussfolgerung daraus wäre einfach und offensichtlich: die zwielichtige „graue Eminenz“ des Kremls hat praktisch persönlich die Scharfschützen angewiesen, wo und auf wen sie schießen sollten. Aber ist dem so? Oder ist die Geschichte mit den Scharfschützen eine Sache, die mit den russischen Sicherheitskräften – eine, und die mit der Rolle, die Wladislaw Surkow spielte – noch etwas anderes? Es ist offensichtlich, dass die Antworten darauf die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden liefern sollten. Es ist allerdings genug Zeit vergangen, aber nicht viel aufgeklärt worden. So sagte letztens der Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin in einem Interview mit LB.ua: es wurde festgestellt, dass die Scharfschützen, die Maidan beschossen haben, in Verbindung zu Sicherheitsdiensten standen. Zu Sicherheitsdiensten welchen Staates, hat er nicht präzisiert. Und was Surkow damit zu tun hatte – auch nicht.
In diesem Zusammenhang hat LB. ua beschlossen, eigene Untersuchung dieser Angelegenheit durchzuführen. Zu unserem Glück haben die Informationen über die russischen „Reisenden“, die bei der Recherche zum Buch gesammelt wurden, uns die Arbeit deutlich erleichtert. Es folgt ein detailliertes Bericht darüber, wer diese Personen waren, was genau sie in Kiew taten, wann Wladislaw Surkow in der ukrainischen Hauptstadt aufgetaucht ist, wie oft – in der Zeit zwischen Herbst 2013 und Frühjahr 2014 – er in die Ukraine kam (nicht nur nach Kiew), wen er getroffen hat, was er zusammen mit dem FSB-General Beseda am 21. Februar in der Bankowa Straße gemacht hat – ein paar Stunden vor der Unterzeichnung des Friedensabkommens durch Janukowitsch, welche Verbindung sie zu den besagten „Scharfschützen“ hatten, und wie es sie alle anschließend auf die Krim verschlagen hat.
Die Vorbereitungsphase
Im November 2013 hatte Wiktor Janukowitsch tatsächlich vor, das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU zu unterzeichnen. Die „europäischen Bestrebungen“ des vierten Präsidenten waren kein Bluff, wie viele damals dachten, kein Erpressungsversuch gegenüber Moskau (um angeblich die für Kiew günstigere Bedingungen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit „auszuhandeln“). Nein, Janukowitsch hatte tatsächlich vor, das Abkommen zu besiegeln, was ihm wahrscheinlich Erfolge im Jahr 2015 eingebracht hätte.
Am 3. September 2013 wurde die nächste Sitzung des ukrainischen Parlaments eröffnet, bei der geplant war, die Gesetze aus dem „Eurointegrations-Paket“ endgültig zu verabschieden. Am 4. September, beim Treffen mit der Fraktion, hat Wiktor Janukowitsch selber die Vorteile der pro-europäischen Entscheidung vor seinen Mitstreitern angepriesen – bei der Partei der Regionen gab es noch viele „Andersdenkende“, vor allem diejenigen, deren Unternehmen eng mit den russischen Märkten verbunden waren.
Im Gegensatz zu den Mitgliedern der Fraktion waren die Russen sich vollkommen bewusst, dass Janukowitsch es ernst meinte, also zogen sie es vor, vorbeugend zu handeln. Zu einer „Vorsichtsmaßnahme“ wurde der erbitterte Handelskrieg gegen die Ukraine, den Russland noch im Sommer angefangen hat.
Präsident Putin hat damals den Mitarbeitern aufgetragen, einen komplexen Aktionsplan für die staatlichen Behörden, Ministerien und Ämter für den Fall der Unterzeichnung des Abkommens der Ukraine mit der EU zu entwickeln. Im Rahmen dieses Plans hat man die Sanktionen gegen die ukrainischen Unternehmen und Geschäftspartner festgelegt. Außerdem hat man eine Informationskampagne gestartet, die das Ziel hatte, ein Bild von dem „europäischen Feind“ zu kreieren, der die russischen „Glaubenssätze“, „Grundsätze“ usw. gefährdet.
Am 14. August haben die russischen Zollbehörden die Grenze für alle ukrainischen Exportwaren geschlossen. Alleine die Landwirtschaft trug davon Verluste von 5,5 Mio am Tag. Auch der Konzern „Roshen“ hat erheblich darunter gelitten, er hat als erster den Zugang zum russischen Markt verloren – noch Ende Juli. Am 16. August hat Wladimir Putin – in einem privaten Telefongespräch – Wiktor Janukowitsch die „rosigen Aussichten“ für die Zukunft der Ukraine geschildert, falls sie es sich mit Europa nicht „anders überlegen“ sollte. Am 26. August ist der Premierminister Asarow zum Premierminister Medwedew gefahren – das war ein Versuch, den Zollkonflikt auf der Regierungsebene zu lösen. Es half nichts. Der „Handelskrieg“ wurde sogar zu einem Grund für die Dringlichkeitssitzung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments. Das war am 28. August, und am 29. hat Wiktor Janukowitsch erneut erklärt, Europa sei „unsere wichtigste Priorität“.
Parallel zu den wirtschaftlichen Hebeln hat Moskau auch die spezifische „Shuttle-Diplomatie“ eingesetzt – hohe Gäste aus Moskau haben sich privat mit den einflussreichen ukrainischen Geschäftsleuten getroffen und dabei auf jede Art und Weise versucht, sie zu „überzeugen“. Der hochrangigste von ihnen war der Berater des russischen Präsidenten, Wladislaw Surkow.
Sein erster „inoffizieller“ Besuch nach Kiew wird Mitte August 2013 datiert. Der Besuch muss inoffiziell gewesen sein, denn die Reise wurde nicht vom Außenministerium arrangiert (wie es bei Amtspersonen sein sollte).
– „Zu deiner Information: alle geschäflichen Fragen werden jetzt von uns mit Surkow besprochen,“ – war der kurze Kommentar meines Gesprächspartners aus dem näheren Umfeld von Janukowitsch (er war ebenfalls von den Folgen des Handelskriegs betroffen).
Einige Treffen mit Surkow fanden im Hotel „Intercontinental“ statt, das damals wie heute von den führenden Mitgliedern der Partei der Regionen bevorzugt wurde. Aus Kiew fuhr Surkow auf die Krim. Auf der Halbinsel befand er sich vom 13. bis 14. August. Das ist ein wichtiger Punkt, den müssen wir uns merken.
„Unterstützergruppe“ des FSB und Innenministeriums Russlands
Die Bemühungen Moskaus waren fruchtbar. Kurz vor dem Gipfeltreffen in Vilnius hat Wiktor Janukowitsch es sich „anders überlegt“. Am 21. November begann die Revolution der Würde. Am ersten Tag des Winters – gleich nach der blutigen Vertreibung der Studenten – kam sie in die aktive Phase. In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember wurde ein erneuter Versuch, Maidan zu vernichten, unternommen. Die westlichen Diplomaten, unter Berufung auf ihre Quellen, haben behauptet, dass hinter diesem Versuch Oleksandr Janukowitsch und sein Günstling Witalij Sachartschenko standen.
Sehr bald – schon am 13. Dezember – landete in Kiew zum ersten mal eine gemischte „Besuchergruppe“ des russischen Innenministeriums und FSB. Insgesamt 27 Personen (die Passdaten sind bekannt). Die Erlaubnis zur Reise wurde von Wladislaw Surkow unterschrieben. An der Spitze der Gruppe stand der stellvertretende Leiter der zweiten Dienstelle des FSB, Leiter des Amtes für Verfassungsschutz, Generalleutnant Alexej Schalo. Die Quellen unter den russischen Sicherheitskräften bezeichnen ihn als einen Fachmann für die Bekämpfung der oppositionellen Protestbewegung.
Der Besuch hatte einen offiziellen Charakter – er wurde als eine Dienstreise der Mitarbeiter des FSB zu dem befreundeten SBU abgewickelt. Nach dem Motto: Erfahrungsaustausch, bisschen Kontakte knüpfen und so weiter. In Kiew wurden die Gäste vom stellvertretenden Leiter des SBU, Wolodymyr Byk, empfangen und betreut. Er handelte natürlich im Auftrag des Leiters von SBU, Oleksandr Jakymenko. Außer diesen beiden hatte noch ein Stellvertreter einen intensiven Kontakt zu den „Gästen“, nämlich der Leiter des Zentrums für Terrorabwehr des SBU, Wolodymyr Tozkij (er leitete die Gewaltmaßnahmen gegen Maidan am 18. Februar – Anm. d. Autorin).
Um das Durchsickern von Informationen zu vermeiden, wurden die Russen auf einer geschlossenen Basis des SBU bei Kiew untergebracht. Sie wurden mit Kommunikationsmitteln ausgestattet und bekamen den Zugang zu allen möglichen Informationsquellen. In Begleitung von Byk besuchten sie auch Maidan – um zu beobachten, auskundschaften usw. (anscheinend ist es das, worüber Naliwajtschenko bei „1+1“ gesprochen hat, – Anm.d. Autorin).
Ukrainische Experten vermuten, dass das Ergebnis der „Zusammenarbeit“ der „befreundeten Geheimdienste“ die Entwicklung eines konkreten Plans zur Eingrenzung der Proteste in der Ukraine werden sollte. „Gott sei Dank“ haben die Russen da reichlich Erfahrung.
Ob es tatsächlich stimmt, kann man nicht mit Sicherheit sagen – wie wir schon berichten mussten, sind die meisten wichtigsten Dokumente aus der Zeit vernichtet worden. Am 20. und 21. Februar, als es klar wurde, dass das Regime fiel, brannten im Innenhof der SBU-Zentrale, in der Wolodymyrska Straße, die Feuer der Inquisition – man hatte es so eilig, dass der ganze Inhalt der Tresore ins Feuer gekippt wurde. Das Gleiche geschah beim Innenministerium und bei der Oberstaatsanwaltschaft.
Trotzdem ist die Vermutung der ukrainischen Experten nachvollziehbar. Am Anfang des Artikels haben wir schon davon geschrieben, dass die „Besuchergruppe“ innerhalb von drei Monaten dreimal nach Kiew kam. Jedesmal nach dem nächsten Höhepunkt der Konfrontation. Anscheinend um die „Fehler zu korrigieren“, die Ereignisse in die richtige Richtung zu lenken. Natürlich in die Richtung, die Russland für richtig hält. Und das geschah nicht nur mit Wissen, sondern in Absprache mit der obersten Staatsführung der Ukraine.
Und noch ein Detail. Am nächsten Tag, nachdem die „Gäste“ die ukrainische Hauptstadt im Dezember verlassen haben, folgte ihnen Wiktor Janukowitsch. Am 16. und 17. Dezember fand sein Besuch in Moskau statt, in dessen Verlauf Janukowitsch zusammen mit Putin eine strategische Vereinbarung unterschrieben hat, die der Ukraine die Senkung des Gaspreises und die Gewährung eines 15-Milliarden-Kredits garantierte. Von dieser Vereinbarung haben die Ukrainer aus dem Tweet des Redakteurs von „The Economist“ Edward Lucas erfahren.
Russische Granaten gegen Maidan
Anfang 2014 kommt der russische Botschafter in der Ukraine, Michail Surabow, ins Spiel. Im Vergleich zu Surkow spielte er eher eine Nebenrolle – ein Verbindungsmann, der die Informationen von Moskau nach Kiew und von Kiew nach Moskau weiterleitete. Und dabei war er sehr erfolgreich.
So z. B. , am 9. und 10. Januar kam Michail Surabow in das Präsidialamt. Sein Ziel war ein Treffen mit dem damaligen stellvertretenden Leiter des Präsidialamtes für humanitäre Angelegenheiten, Juri Tschmyr.
Bevor er zum Präsidialamt gewechselt ist, war Tschmyr der Gouverneur der Region Sumy. In die Bankowa-Strasse kam er am 16. Dezember 2013. Die Ära von Sergej Lewotschkin beim Präsidialamt ging damals schon zu Ende. Offiziell endete sie erst Mitte Januar, als Lewotschkin von Klujew abgelöst wurde, die Rücktrittserklärung hat er aber zum ersten Mal tatsächlich gleich nach der Vertreibung der Studenten eingereicht.
Und obwohl Janukowitsch seinen Rücktritt nicht akzeptiert hat, wurde die Stellung von Lewotschkin beim Präsidialamt deutlich geschwächt. Vor allem deswegen, weil er sich von seinem „Chef“ (wie er Janukowitsch sein Leben lang hinter dessen Rücken genannt hat, – Anm. d. Autorin) auf jede erdenkliche Weise distanzieren wollte. Für den „Chef“ hatte es negative Folgen in Form von Erlahmen des „Informationsblocks“.
Bis jetzt hat Lewotschkin stets gewährleistet, dass dieser einwandfrei funktioniert, und nun so ein Pech… Um ein alternatives Datenzentrum beim Präsidialamt zu schaffen, hat man Tschmyr ins Boot geholt. Zuerst wurde ihm die humanitäre Abteilung zugewiesen – für den Anfang. Es war geplant, dass er nach der Eingewöhnungsphase die Informationspolitik übernehmen sollte.
Im Wissen darum hat Surabow beschlossen, „den Kontakt herzustellen“. Tschmyr war für ihn als ein Mittel des Informationsaustauschs wichtig. Und die Informationen des Gastes lauteten, nach den Worten derer, die diesen Dialog teilweise mitbekommen haben, folgendermaßen: sehr bald werden aus Russland in die Ukraine Spezialisten geschickt, die den hochrangigen Mitarbeitern von SBU und Innenministerium den Erhalt der russischen Staatsbürgerschaft (wenn nötig) in Aussicht stellen und andere Vorteile anbieten würden. Das in Austausch für ihre Bereitschaft, zu „Stunde X“ ohne Zögern Gewalt gegen Euromaidan anzuwenden.
In der Praxis – wie man sieht – haben diese Versprechen ihre Wirkung gezeigt.
Das russische und ukrainische Innenministerien gegen den Maidan
Am 20. Januar ist Wladislaw Surkow persönlich in der Bankowa-Strasse aufgetaucht. Das Hauptziel seines 2-tägigen Besuchs (20. – 21.01.) – ein Treffen mit Wiktor Janukowitsch.
Der weiteren Entwicklung der Ereignisse nach zu urteilen, hat er seine Aufgabe 100% erfüllt.
Am 21. Januar – unter Berufung auf die Quellen – erschien zum ersten Mal die Meldung: im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Gruschewski Straße erwägt Janukowitsch die Möglichkeit, den Ausnahmezustand zu verhängen. Und zu diesem Zweck könnte man schon sehr bald eine Notsitzung des Parlaments einberufen. Das mit dem Parlament hat leider nicht geklappt: die meisten der „wohlgesinnten“ Abgeordneten waren im Urlaub weit weg von Kiew, und sie in die Hauptstadt zu „holen“ war keine leichte Aufgabe.
Vor allem nach dem Skandal mit der Verabschiedung der „diktatorischen Gesetze“. Obwohl nach dem ukrainischen Recht der Präsident mit Hilfe des Nationalen Sicherheitsrates auch alleine den Ausnahmezustand hätte verhängen können. Diese Entscheidung müsste das Parlament innerhalb von 3 Tagen sanktionieren. Was passieren würde, falls das nicht innerhalb von 3 Tagen geschieht, hat das ukrainische Gesetz nicht erwähnt.
Die Ereignisse des 22. Januar, die hinter den politischen Kulissen wie auch auf dem Maidan geschahen, sollten als das entscheidende Argument für die Verhängung des Ausnahmezustandes dienen. In der Bankowa-Strasse hat man alles sehr sorgfältig geplant. Heute ist uns klar: an der Planung war vermutlich Wladislaw Surkow beteiligt.
In der zweiten Januarhälfte ist der Leiter der Logistik-Abteilung des Innenministeriums Sinow auf Geheiß von Witalij Sachartschenko nach Russland gereist. Am 21. Januar vom Militärflugplatz Tschkalowski bei Moskau stieg in die Luft eine zivile Maschine AN-12.
Laut dem Frachtbrief des russischen Innenministeriums befanden sich an Bord 6020 Einheiten nichttödlicher Waffen, und zwar:
1050 Stk Blendgranaten „Fakel-S“;
480 Stk Granaten „Sarja-2“;
480 Stk Granaten „Plamja-M“;
2520 Stk Rauch-Handgranaten RDG-2 weiß;
495 Stk Reizgas-Handgranaten RGR;
495 Stk Reizgas-Handgranaten mit verstärkter Wirkung;
500 Stk Aerosol-Handgranaten.
Das Flugzeug landete am Kiewer Flughafen Schuljany. Die wertvolle Fracht wurde von Sinow persönlich begleitet. Er beaufsichtigte auch die Entladung und den Transport zum Lagerort in Kiew. Interessant ist, dass die Fracht in den Begleitpapieren als „humanitäre Hilfe“ deklariert war (also wurde sie steuerfrei eingeführt). Diese nichttödlichen Waffen wurden durch einen Beschluss des Ministerkabinetts vom 22. Januar dem Innenministerium für den Dienstgebrauch übergeben.
Also sind das die Granaten, die „Berkut“ auf die Demonstranten warf. Das sind genau die Granaten, die „Berkut“ angefangen hat mit Nägeln/Schrauben/Muttern zu verstärken, was die Zerstörungskraft deutlich erhöhte. Nur damals haben wir nichts von der „humanitären Hilfe“ gewusst. Zum ersten Mal hab ich in meinem Buch davon geschrieben, später es bei Fernsehauftritten erwähnt, jetzt werden diese Informationen zum ersten Mal öffentlich zugänglich gemacht.
Aber das ist noch nicht alles. Da die Kämpfe in der Gruschewski Straße sehr erbittert waren, hat die erste Lieferung der Ausrüstung nicht ausgereicht. Am 24. Januar hat Sinow die neue „Ladung“ mitgebracht. Diesmal, wie der zweite Frachtbrief des russischen Innenministeriums uns verrät, wurden am Flughafen „Hostomel“ 7.386 Einheiten der nichttödlichen Waffen entladen, und zwar:
450 Stk Blendgranaten „Fakel-S“;
560 Stk Granaten „Sarja“;
560 Stk Granaten „Plamja-M“;
noch 460 Stk „Plamja-M“ (wie sie sich von den ersten unterschieden, stand nicht im Frachtbrief, aber die Funktionsweise war die gleiche);
4020 Stk Rauch-Handgranaten RDG-2 weiß;
216 Stk 40 mm Aufsatz für Blendwaffen;
600 Stk Granaten „Drofa“ mit kombinierter Wirkung;
500 Stk Aerosol-Handgranaten „Dreif-2“.
Alle oben genannten Artikel wurden für den Dienstgebrauch dem Innenministerium übergeben und wurden später erst in der Gruschewski Straße und dann bei der entscheidenden Konfrontation auf dem Maidan eingesetzt. Und das sind direkte dokumentierte Beweise für die Zusammenarbeit zwischen dem russischen und dem ukrainischen Innenministerien bei der Bekämpfung des Maidans.
Zur Erinnerung: die zweite Dienstreise der russischen Sicherheitskräfte nach Kiew dauerte vom 26. bis 29. Januar. Diesmal waren es 6 Personen. Und wieder mit dem Generalleutnant Schalo an der Spitze.
Februar. Drei Stippvisiten von Surkow
Am 31. Januar landete Wladislaw Surkow wieder in „Boryspil“. Und nicht alleine, sondern mit den Mitgliedern seines Teams: Boris Rapoport (damals der stellvertretende Leiter des Amtes für die Angelegenheiten der sozioökonomischen Zusammenarbeit mit den GUS-Staaten, Abchasien und Südossetien bei der russischen Präsidialverwaltung), Alexei Tschesnakow und Aleksandr Pawlow (alle drei sind enge Mitarbeiter von Surkow). In Kiew blieben sie bis einschließlich 1. Februar. Und wieder haben sie das Präsidialamt besucht.
Die Süd-Ost-Region entging auch nicht ihrer Aufmerksamkeit. Am 11. und 12. Februar besuchten Surkow und Rapoport Donezk und die Krim. Über die Ziele dieser Reise wird LB.ua noch später berichten – in einer Artikelserie, die die Pläne für die sorgfältige Vorbereitung der Annexion von Krim durch Russland enthüllt (Sie glauben doch wohl nicht, dass die Halbinsel spontan besetzt wurde, und Donezk und Luhansk von alleine „entflammt“ sind?, – Anm. d. Autorin).
Für diesen Artikel reicht es, wenn wir erzählen, dass Surkows Februar-Reise auf die Krim nicht spontan war. Zwei Wochen zuvor (27. – 29. Januar) wurde er in Moskau vom Präsidenten des Krimer Parlaments Wladimir Konstantinow besucht. Nach den bisherigen Erkenntnissen wurde das Treffen von Surkow und Konstantinow vom russischen Generalkonsul in Simferopol, Herrn Swetlitschni, initiiert.
Durch einen erstaunlichen Zufall wurde genau nach diesem Treffen bei der Sitzung des Präsidiums des Krimer Parlaments beschlossen, die Frage über „die Durchführung einer Krim-weiten Befragung über den Status der Krim und den Antrag an den russischen Präsidenten mit der Bitte „um Schutz und Erhaltung des autonomen Status“ in die Tagesordnung aufzunehmen. .
Und schon am 6. Februar machte sich Wiktor Janukowitsch auf den Weg zu Wladimir Putin ins olympische Sotschi.
Kaum hat Surkow die Angelegenheiten auf der Krim geklärt, ist er wieder nach Kiew gefahren – am 14. – 15. Februar.
Und genau in diesen Tagen wird ein detaillierter Plan der vollständigen Vernichtung von Maidan ausgearbeitet. Am 16. Februar geschieht die Ausgabe der scharfen Munition an die Truppen des Innenministeriums. Am 18. Februar werden die Waffenlager des Innenministeriums geöffnet, wo die Waffen unkontrolliert an die Sicherheitskräfte und Tituschki verteilt werden.
Zum dritten Mal kommt Surkow am 20. Februar nach Kiew. Und wieder nicht alleine, sondern mit der uns bekannten Gruppe. Nun werden sie vom Generaloberst Sergej Beseda angeführt (Leiter der sogenannten fünften Abteilung des russischen FSB, die für die Aufklärung in Bezug auf Ukraine und andere GUS-Staaten verantwortlich ist).
Die Besucher wurden wieder von Wolodymyr Byk empfangen, der sie in Kiewer Vorort Kontscha-Saspa gebracht hat – auf das Gelände des sogenannten „Komplex der Sonderobjekte SBU Nr. 1“. Surkow und Beseda wurden im Haus Nr. 2 untergebracht, das den ausländischen Delegationen vorbehalten ist, das „Fußvolk“ – im Gebäude Nr. 3.
Am 21. Februar erschienen Beseda, Surkow, Surabow und Wladimir Lukin (der offizielle Vertreter der Russischen Föderation) in der Bankowa, wo sie ein Treffen mit Wiktor Janukowitsch und Andrij Klujew hatten. Exakt am Vortag der Unterzeichnung des „Friedensabkommens“ von Janukowitsch mit der Opposition.
Zur Bankowa kamen sie getrennt. Die damaligen Bewohner dieses düsteren Gebäudes sahen, dass Surkow und Beseda mit einem Wagen der Staatsschutzbehörde, Lukin und Surabow mit dem Wagen der russischen Botschaft in der Ukraine kamen.
Die Unterzeichnung selbst fand um 15.00 Uhr statt, und Lukin, im Gegensatz zu den Botschaftern der europäischen Länder, die als eine Art „Garanten“ dienten, erschien nicht dazu. Später brachte Moskau es fertig, seine Abwesenheit als einen Vorwand für die Anfechtung der „Legitimität“ des Abkommens vorzubringen.
Als wir die Ausschnitte aus dem Buch „Maidan. Die unerzählte Geschichte“ veröffentlicht haben, haben wir schon erwähnt, dass Wiktor Janukowitsch nach der Unterzeichnung in sein Büro gegangen war. Von dort aus hat er einige Telefonate getätigt. Unter anderem mit Juri Iwanjuschtschenko, der an dem Tag Geburtstag hatte. Kurze Zeit später kam Klujew zu Janukowitsch, um ihm zu sagen, dass die Sicherheitskräfte das Präsidialamt und das Gelände verlassen. Der Rückzug der Wachen deutete darauf hin, dass man einen baldigen Sturm der Bankowa erwartete. Der Vierte Präsident und der Leiter der Präsidialverwaltung haben beschlossen, das Schicksal nicht herauszufordern – sie sind eilig nach Meschyhirja aufgebrochen.
In der Nacht von Freitag auf Samstag begann ihre Flucht, die in der Nacht von Sonntag auf Montag am Bord des Landungsbootes der russischen Armee endete, das sie ans Bord eines Schiffes der russischen Schwarzmeerflotte brachte.
Die Männer aus der Gruppe des Generals Beseda verließen Kiew am 21. Februar. Und schon am 27. Februar – am Morgen nach der Besetzung des Krimer Parlaments und des Ministerrates – landeten sie am Flughafen von Simferopol. Ihre Namen, Treffpunkte, Adressen und Erkennungsworte bei den einheimischen Spezialisten liegen, soweit ich weiß, vor. Sollte es es genug politischen Willen geben, wird man mehr über ihre Tätigkeit erzählen. Unter anderem – über bewaffnete Tätigkeit.
Im nächsten Teil unserer Untersuchung erzählen wir davon, welche Rolle Wladislaw Surkow bei der Krim-Annexion spielte, wie die Annexion vorbereitet wurde, und in welchem Zusammenhang sie mit den Ereignissen der Revolution der Würde stand.
Aber zuerst lassen Sie uns eine kurze chronologische Zusammenfassung erstellen. Also, zwischen dem Sommer 2013 und Ende Winter 2014 fanden folgende Besuche statt:
Mitte August 2013 – Wladislaw Surkow in Kiew. 13. – 14. August – auf der Krim;
13.- 15. Dezember kommt nach Kiew die gemischte „Besuchergruppe“ der Vertreter des FSB und Innenministeriums Russlands;
20. – 21. Januar 2014 – Wladislaw Surkow kommt nach Kiew, in die Bankowa, mitten in den Vorbereitungen zum Verhängen des Ausnahmezustandes;
26. – 29. Januar – der zweite „Besuch“ der russischen Sicherheitskräfte;
31. Januar – 1. Februar – Surkow, Rapoport, Tschesnakow und Pawlow sind in Kiew, in der Bankowa;
11. – 12. Februar – Surkow und Rapoport sind in Donezk und auf der Krim;
14. – 15- Februar – Surkow ist erneut in Kiew;
20. – 21. Februar – Surkow, General Beseda und die „Besuchergruppe“ sind in Kiew. Surkow, Beseda, Surabow und Lukin schauen am Nachmittag des 21. in der Bankowa vorbei;
am Morgen des 27. Februar landet die „Besuchergruppe“ der russischen Sicherheitskräfte am Flughafen in Simferopol.
Es ist offensichtlich, dass schon diese kurze Zusammenfassung reichen müsste, um die ukrainischen Gesetzeshüter dazu zu bringen, die Rolle von Putins Berater bei den Ereignissen in der Ukraine vor über einem Jahr endlich mal genau unter die Lupe zu nehmen. Und natürlich aller ausländischen „Gäste“.
Quelle: Sonja Koschkina in lb.ua; übersetzt von Olena Köpnick.
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