Die russische Zeitung „Novaya Gazeta“ hat zum Jahrestag der Krim-Annexion eine umfangreiche Reportage vorbereitet, die nicht nur für ukrainische, sondern auch für ausländische Leser von InformNapalm nützlich sein wird. Im Artikel werden interessante Einzelheiten zur Vorbereitung und Verwirklichung der Annexion vorgestellt.
Seit der Nacht vom 26. auf den 27. Februar ist genau ein Jahr seit dem Beginn der Operation des Krim-Anschlusses an Russland vergangen, den die Länder der Alten und Neuen Welt für immer als eine bewaffnete Einnahme fremden Territoriums wahrnehmen werden. Um halb 5 Uhr morgens haben 120 russische Soldaten ohne Abzeichen (nach manchen Angaben – unter Mitwirkung von lokalen Freiwilligen) Regierungsgebäude und Gebäude des Oberrats der Krim eingenommen. Entschieden den abgestimmten Plan umsetzend haben die aufgrund des Abkommens über den Marinestützpunkt in Sewastopol auf der Halbinsel stationierten russischen Streitkräfte, die zusätzlich mit über die Luft verlegten Fallschirmspringern (bis zu 1700 Menschen) verstärkt worden waren, innerhalb eines Monats eine blutlose Besatzung der Schlüsselobjekte der zivilen- und militärischen Infrastruktur verwirklicht, indem sie alle Einheiten der Streitkräfte der Ukraine zum Aufgeben gezwungen haben. Wobei ausländische Geheimdienste die Operation von Anfang an anhand von Materialien der öffentlichen Presse und der sozialen Netzwerke verfolgten, wie es auch unsere Journalisten getan haben.
In der Ausgabe Nr. 25 vom 07.03.2014 haben wir eine Notiz „Krimer „Tiger“ auf der Siegesparade in Moskau“ veröffentlicht. Unser Mitarbeiter Irek Murtasin hatte auf dem Foto von der Vorbereitung zur vorjährigen Parade am 9. Mai 2013 einen Mehrzweckgeländewagen „Tiger“ entdeckt, der am 4. März 2014 von unserem Korrespondenten Eugen Feldmann neben dem ukrainischen Luftstützpunkt auf der Krim fotografiert wurde. Anhand seiner Nummer wurde seine Zugehörigkeit zum Nordkaukasischen Militärbezirk festgestellt.
Extra auf die Krim eingeschleuste zivile Personen haben nach diesem Plan die Rolle der friedlichen Bevölkerung gespielt, die unsere Armee bei der Einnahme von Objekten entschlossen unterstützt hat.
Zu Ende war das alles am 28. März, als der kommissarische Präsident der Ukraine, Alexander Turtschinow, einen Erlass zum Abzug der ukrainischen Truppen aus der Krim unterschrieben hat. Die Presse veröffentlichte die Einzelheiten dieser Epopöe in verschiedenen Versionen.
Heute, da die nationalistische Euphorie der Mai-Feste unter dem Druck der düsteren Bilder des Donbas-Krieges, der Krise und der wirtschaftlichen Sanktionen unter den Tisch gefallen ist, ist es einfacher zu verstehen, welch‘ eine dramatische Rolle diese Operation an einem Urlaubsort für uns alle gespielt hat. Die während der Krim-Operation begonnenen Prozesse zwingen nun sowohl den Präsidenten Putin als auch den begeisterten Provinzler, die Rechnungen zu begleichen.
Die Krim als eine Idee
Die Krim als eine Idee wird in der russischen Gesellschaft sehr spezifisch wahrgenommen und trägt womöglich einen eigentümlichen politischen Code in sich. Ich vermute, dass sogar wenn man die Gehirne unserer Bevölkerung vom Produkt der totalen staatlichen Propaganda reinigen könnte, eine unabhängige Umfrage der gesellschaftlichen Meinung diesen Code auch in einem Jahr, und in zehn Jahren entdecken wird. Die EU und USA, die führenden Zentren der Weltpolitik, in deren Fahrwasser die halbe Welt folgt, neigen dazu, diesen Code zu ignorieren.
Anstatt dessen versucht die Elite dieser Länder die Diskussion über die ukrainische Krise auf den praktischen Nutzen für beide Seiten zu reduzieren. Obwohl die Weltgeschichte nach 1945 voll mit Beispielen ist, wo die Völker solidarisch schwere Entbehrungen auf sich genommen haben, wenn es um die Frage von Territorien, nationaler Identität und des historischen Gedächtnisses ging.
Die Erlangung der Unabhängigkeit eines Staates oder die Aufnahme von Völkern mit Territorien in das Gefüge dritter Staaten müsste theoretisch durch UNO-Dokumente und spezielle globale multilaterale Dokumente festgelegt werden. Allerdings möchte in der Praxis keiner den Separatismus fördern und dieser Bereich des internationalen Rechts ist auch überhaupt nicht ausgearbeitet. Im 20. Jahrhundert wird das Recht auf Abspaltung in UNO-Resolutionen und einer Reihe von anderen Dokumenten nur im Kontext der Selbstbestimmung der Völker erwähnt, die sich unter einer Kolonialherrschaft oder einer ausländischen Okkupation befinden.
In der Schlussakte von Helsinki 1975 wird das Recht der Völker, selbst ihr Schicksal zu entscheiden, zwar erwähnt, aber diese Akte sieht keine Abspaltung oder Anschluss an das Territorium eines anderen Landes vor. In den 2000-er Jahren haben die USA und Europa faktisch angefangen, ein Präzedenzprinzip der Interpretation des internationalen Rechts anzubieten, indem sie die Unabhängigkeit des Kosovo und anderer Territorien von Jugoslawien anerkannt haben. Zur formellen Begründung dienten Gründe, die weder zur Okkupation noch zum Kolonialismus einen Bezug haben.
Die Anerkennung des Zerfalls der UdSSR durch ihre ehemaligen Republiken, die vom Standpunkt des internationalen Rechts auch äußerst zweifelhaft ausgefertigt wurde, traf auf keine Verurteilung in Europa und USA. Feste Rechtsprinzipien für seine Selbstbestimmung besitzt noch immer kein einziges Volk. Aber es gibt formelle Hintertüren.
Die Präzedenz in der Interpretation des internationalen Rechts entspricht in keinster Weise den langfristigen Interessen Russlands, das nicht bloß einen solchen „besonderen Fall“ in seinem Inneren trägt. Aber genau diese Methode nutzte Putin, als er den Anschluss der Krim begründete und die Risiken dieser Operation persönlich auf sich genommen hat. Sein Beispiel ist eine Lehre für die anderen. Sollte sich dieses Wort (Präzedenzfall) auch in anderen Regionen Russlands einleben, wird es mit einer Katastrophe widerhallen. Ungefähr einer solchen, wie wir sie heute in der Ukraine ausbauen.
Die Euphorie und die Ratlosigkeit
W. Putin, der vollständig für die Außenpolitik Russlands verantwortlich ist, unter anderem auch für die Beziehungen zu den Nachbarn, hat mehrmals die territoriale Integrität der Ukraine zugesichert. Zum Beispiel hat er am 30.08.2008 in einem Interview mit dem Fernsehsender ATR erklärt, dass von einem Eingriff in die Krim keine Rede sein kann. Von dieser Seite aus hat weder der Westen noch der Osten einen Angriff erwartet. In der Ukraine waren alle ruhig: Sowohl der Staatsbudget-Kleptomane Janukowytsch als auch der sich gegen ihn erhebende Maidan.
Im Nu schwankte der Boden unter den Füßen der Politiker: Ein großes Gebiet wurde innerhalb weniger Tage ohne Widerstand eingenommen. Euphorie überfiel Russland. Die Ukraine und den Westen jedoch – Ratlosigkeit. Diese zwei Gefühle haben innerhalb weniger Tage auch den Zustand der weltweiten gesellschaftlichen Meinung bestimmt. Nach dem „Referendum“ am 16. März schien es noch einen ganzen Monat lang, dass sich der Lauf dieser Sache endlos fortsetzen würde. Nun ist es an der Zeit, jene Ereignisse zu erfassen, die Fakten, die uns erst später bekannt wurden, zu notieren, wie auch jene Prozesse, die heute ein ganz anderes Ausmaß erreicht haben.
Der Held mit den Baseballschlägern
Auf der Krim haben die Geheimdienste und die Armee zum ersten Mal organisierte Freiwillige eingesetzt, um bewaffnete Aktionen mit „ziviler Bevölkerung, Selbstverteidigungskräften und Gefolgsmännern“ zu tarnen.
Natürlich hatten die Mitarbeiter der Präsidentenverwaltung für Aktionen wie „Zusammengehen“, „Junge Garde“ (eine Pro-Kreml-Bewegung in Russland, Anm. d. Übers.) bereits viel früher Fußballfans benutzt. Aber auf der Krim ist ein ganz anderes Ausmaß und ein anderer Organisationsgrad zu sehen gewesen.
Zum ersten Mal waren die charakteristischen Züge des zukünftigen Kontingents der russischen Freiwilligen im Donbas zum Vorschein gekommen. Interessant ist, dass man unter anderem auch Vorbestrafte und sogar auf der Fahndungsliste Stehende angeworben hatte, die später auf der feierlichen Veranstaltung auch eine Auszeichnung bekommen haben. Russische Journalisten haben die Tatsache der Teilnahme des Verbands von Veteranen des Afghanistan-Kriegs und anderen Veteranenorganisationen an der Rekrutierung festgestellt, ihre politische Symbiose mit dem Staat.
In den Materialien „Helden unter Vermerk“ (Nr.64 vom 16.06.2014) und „Sondertouristen“ (Nr.71 vom 02.07.2014) hat Sergei Kanew die Listen der heimlich für die Krimer Operation ausgezeichneten Bürger Russlands unter die Lupe genommen. Entsprechend dieser Untersuchung führte ein Teil von ihnen Demonstrationen als Krimer Einwohner durch, ein Teil nahm an der Einnahme von Stützpunkten und Verwaltungsgebäuden teil. Und es gab sogar welche, die ihre Auszeichnungen bekommen haben, ohne Moskau zu verlassen – sie haben die informative Unterstützung der Operation gewährleistet.
„Unter den VIP-Kavalieren sind Oleg Morosow – Leiter der Präsidentenverwaltung in Fragen der Innenpolitik und seine zwei Stellvertreter – Alexej Anisimow und Wiktor Seliwerstow; der stellvertretende Leiter der Präsidentenverwaltung in Fragen der Gesellschaftsprojekte Wladimir Popow; der Leiter der Abteilung der staatsrechtlichen Präsidentenverwaltung Dmitry Wolik; der stellvertretende Vorsitzende der Staatsduma und Sekretär des Generalrats der Partei „Einiges Russland“ Sergei Newerow; der Leiter der Organisationsverwaltung des Allrussischen zentralen Exekutivkomitees von „Einiges Russland“ Konstantin Masurewski; der Leiter des Vollzugskomitees der allrussischen Gesellschaftsbewegung „Volksfront. Für Russland“ Andrei Botscharow; der stellvertretende Sekretär der Gesellschaftskammer Russlands Wladislaw Grib (Nr.64).
Kaum war eine Woche nach der Flucht des ehemaligen Präsidenten der Ukraine Janukowytsch vergangen, als vom Flugplatz Tschkalowski das Flugzeug RA-76599 startete, in dem Franz Klinzewitsch „Sondertouristen“ nach Sewastopol brachte. „In dem Video, das vom Mitglied der Gesellschaftskammer Galotschkin im Internet veröffentlicht wurde, sieht man gut, wie der Abgeordnete Franz Klizkewitsch eine Diensteinweisung durchführt, in Anwesenheit von einem halben Hundert „Sondertouristen“ und dann dem hauptstädtischen Drehteam ein weitschweifiges Interview gibt: „Dies ist eine humanitäre Operation, die mit der Herstellung von Kontakten, Unterstützung und Hilfeerweisung zusammenhängt. Die „Afghanen“ sind an verschiedene Orte auf der Krim gefahren, wo sie sich mit Invaliden treffen, Blumen niederlegen und Kontakte knüpfen. Aber die Hauptaufgabe ist hier – keine Destruktivität zuzulassen.“ (Das Video wurde von der Website entfernt, Nr.71).
Zu unserer großen Verwunderung hat sich herausgestellt, dass in der bunten Menschenmenge der für die Krim ausgezeichneten Boxer, Veteranen, Mitglieder rechtsextremer Organisationen, Wachmänner, Biker der „Nachtwölfe“ und ehemaligen Mitarbeiter der Spionageabwehr auch Vorbestrafte vorzufinden sind. Unter anderem auch Verurteilte wegen Erpressung, Antiquitäten-Diebstahl, Mord, schwere Körperverletzung, Ladenüberfall, bewaffneter Überfall und sogar welche, die auf der Fahndungsliste oder unter Beobachtung stehen (ohne das Recht, ein bestimmtes Gebiet zu verlassen).
Nach Beendigung der Operation wurden auf drei feierlichen Versammlungen separat auch Mitarbeiter der Präsidentenverwaltung, Aktivisten von „Einiges Russland“ und Mitglieder des „Russischen Verbandes der Afghanistan-Veteranen“ ausgezeichnet. Somit sind der am 15. Oktober 2013 in die berühmte Kirche „Grigorij Neokesarijskij“ am Bolschaja Poljanka in Moskau hineingestürmter Denis Podymkin, der eine Pistole an die Schläfe eines Studenten des Priesterseminars setzte, und der Leiter der Präsidentschaftsverwaltung in Fragen der Innenpolitik Mitglieder eines Teams, Kavaliere der Medaille „Für die Rückkehr der Krim“.
Helden mit „Mäusen“
Es gibt eine Meinung, dass NATO-Länder in Libyen zum ersten Mal den Hybrid-Krieg demonstriert hatten. Schwer zu sagen, ob unsere Spezialisten diese Erfahrung weiterentwickelt haben oder doch auf alles selber gekommen sind, aber für Russland begann der Hybrid-Krieg (zumindest das Testen seiner Methoden) auf der Krim. Obwohl man von diesem lautstark erst im Eifer der Gefechte im Donbas zu sprechen anfing. Den Großteil der Information, die im Laufe der Untersuchung dieses Phänomens der russischen Politik erhalten wurde, haben wir im Artikel „Geister des Krieges“ veröffentlicht (Nr.56 vom 26.05.2014).
Insbesondere wurde das Delegieren der Funktion von Kriegspropaganda an zivile Auftragnehmer gerade bei der Vorbereitung zum Referendum am 16. März verwirklicht. Interessant ist, dass es jenen anvertraut wurde, die Erfahrung mit feindlicher Übernahme wie mit der Deckung ihrer Handlungen in den Medien so auch mit der Organisation von Fake-Gerichtsverhandlungen hatten.
Die russischen PR-Manager haben begonnen, die Instrumente des Propagandakrieges in der Ukraine zu erschaffen, sobald der Maidan brannte. Niemand wusste noch, welches Ende die bewaffnete Konfrontation im Zentrum Kyjiws haben wird und in Charkiw haben für das Geld der wichtigsten Figur vieler unserer Publikationen, des „Kreml-Kochs“ und Besitzers der Firma „Konkord“, des geborenen politischen Provokateurs, Eugen Prigoschin, die Mitarbeiter der ihm nahstehenden „Agentur für Internetforschungen“ und der Firma „ArtMedia“ Dsalba, Sugrobowa und Pitzur schon die „Nachrichtenagentur Charkiw“ mit 17 Angestellten erschaffen. Nach unseren Informationen kommt der Begriff „Neurussland“ zum ersten Mal in den propagandistischen Produkten dieser Agentur vor. Im Notizbuch eines Janukowytsch-Vertrauten, das nach seiner Flucht veröffentlicht wurde, erscheint die Nummer des Handys von Prigoschin.
Aber die wichtigste treibende Kraft der Krimer Propagandakampagne vor dem Referendum am 16. März waren doch nicht die Gesandten der Obrigkeitsgastronomie. Weitaus wichtigere Arbeit machten Alexej Krymin und Vera Kerowa, zwei Gestalten aus dem Lager der Agentur „Geheimer Berater“ (deren Gründer und langjähriger Leiter der Vorsitzende des Staatsduma-Komitees in Informationspolitik Leonid Lewin ist). Sie gewährleisteten Maßnahmen nach dem Plan mit dem Codenamen „Frühling“ („Wesna“).
„Zum Referendum hat Krymin mit seinen Kumpels es geschafft, 23 Radioreportagen und 23 TV-Reportagen mit Aufrufen, zum Referendum zu kommen, zu produzieren; ein Dutzend Ausgaben der extra angefertigten Zeitung „Krim 24“ mit einer Auflage von 500.000 Exemplaren zu drucken und sogar einen Sondersong über das Referendum zu komponieren. Er hat auch an der Abstimmung der Listen mitgewirkt – wen man ins Fernsehen vor dem Referendum einlädt (Nr.56)“.
Dort, im Umfeld des schnell legitimierten Krim-Premiers Aksjonow, haben ihre Karriere auch der Autor der Prochanower Zeitung „Morgen“ („Sawtra“) gestartet, wie auch der zukünftige Chef der eigensinnigen „Donezker Volksrepublik“ („DVR“) Alexander Borodaj und ihr militärischer Führer Igor Girkin (Strelkow). Auf der Krim befanden sie sich auch im Status der Freiwilligen. Die „Novaya Gazeta“ hat damals erstmals Einzelheiten ihrer Biographien veröffentlicht. Der Sicherheitsdienst der Ukraine hat in dem Augenblick über die Herkunft dieser Gestalten nur Vermutungen angestellt.
Entsprechend dem von uns veröffentlichten Briefwechsel befand sich Girkin noch vor den beschriebenen Ereignissen in Odessa, stellte Listen der Maidan-Aktivisten auf, die sich auf eine Autotour auf die Krim zur Gegenwirkung zum Referendum vorbereiteten. Aber seine tatsächliche Karriere wie auch die von Borodaj begann, als sie mit der Sicherstellung des Referendums beauftragt wurden.
Aus einem Brief von Girkin-Strelkow an seine Kampfgenossen vor seiner Entsendung von der Krim in den Donbas, vom 31. März 2014: „Das Problem ist, dass ich selbst faktisch gar nichts mehr auf der Krim tun kann. Ich führe die Aufgaben bezüglich des Nordens aus, und die lokalen Kollegen und die Polizei verdächtigen mich wegen allem Möglichen und betrachten mich als einen „gefährlichen Verrückten“. Und nun haben sie schon angefangen, meine Leute herauszuziehen. Bald kommen sie auch an mich heran. Ich habe keinen offiziellen Status bekommen (gar keinen) und halte nur auf Grund einiger Beziehungen zu Aksjonow persönlich durch… Ich werde mich aber von der Ausführung der Hauptaufgaben nicht ablenken lassen (und abgelenkt wird man gar nicht so wenig – mit den Pässen ist es wirklich eine Rackerei hier).
Die totale Propaganda und der mit ihr verbundene Ausbruch des Nationalismus haben die Schicksale der Menschen beeinflusst. Nach durchaus überzeugenden Berechnungen sind im Osten der Ukraine mehr Freiwillige von der Krim gestorben (gemessen an der Bevölkerung der Halbinsel), als in allen anderen Regionen.
Die russische Armee als ein Politikobjekt
Der russischen Armee ist die politische Unabhängigkeit nicht eigen. Kriege wurden von Politikern erklärt. Und auf den Sicherheitsratstagungen haben vor einer Beschlussfassung Aufklärer wie auch Militärangehörige und Präsidentenverwaltungsmitarbeiter eine Meldung erstattet. Sie haben die Möglichkeiten abgewogen, in erster Linie den Pegel der Unterstützung von nationalistischen Ideen, mit denen Russland dahin gekommen ist. Dem Referendum nach zu urteilen, gab es eine reale Unterstützung. Aber es gibt Quellen, die behaupten, dass die Militärangehörigen anfangs äußerst widerwillig in die Ukraine gingen. Und zu Siegern bei der Durchsetzung der Idee, die Armee einzusetzen, wurde ganz und gar nicht Schoigu, sondern Patruschew und Sergei Iwanow.
Und noch ein wichtiges Detail. Auf der Krim setzte Putin die Streitkräfte ein, die sich dort entsprechend dem Abkommen mit der Ukraine über den Stützpunkt in Sewastopol aufhielten. Die maximale Anzahl unserer Militärangehörigen auf der Krim beträgt nach diesem Abkommen 26.000. Das hat gereicht – eine Überschreitung dieser Stärke ist nicht fixiert worden. In den Donbas hätte man die Streitkräfte aber ohne jegliches Abkommen einführen müssen, und das ist dann schon eine klare Aggression. Dazu hat sich wohl Putin nicht entschließen wollen.
Die verhängnisvolle Verführung
Gut möglich, dass die offensichtliche Leichtigkeit und die Geschwindigkeit, mit welcher faktisch alle Ziele der Krimer Operation erreicht wurden, ein paar Monate später eine verhängnisvolle Rolle in der Situationsentwicklung im Donbas gespielt hat. Die Situation wurde auch durch das äußerste Zeitdefizit für die Lagebeurteilung verschärft. Die Aufgabe des Kremls war ersichtlich: Einen maximal möglichen Einfluss Russlands auf die Politik der Ukraine zu bewahren. Aber wie? Die Wege und die konkreten Entscheidungen konnten verschieden sein. Bei der Besprechung von Perspektiven des Armeeeinsatzes in Afghanistan gab es im Zentralkomitee der KPdSU eine Partei des Krieges und eine Partei des Friedens. Der Kampf ging über eineinhalb Jahre, das wird gut im großen Buch von Sir Rodric Braithwaite „Afghanen“ mit Dokumenten illustriert. Und erst war die Partei des Friedens stärker, ihre Argumente nahmen überhand. Und der Verteidigungsminister der UdSSR Ustinow war, stellen Sie sich das nur vor, gegen die Falken aus dem KGB.
Was, wenn es auch an der politischen Spitze Russlands keine Einigkeit bezüglich der Methoden gab? Aber die augenblickliche Zerschlagung der ukrainischen Streitkräfte auf der Krim, das freiwillige Überlaufen eines Dreiviertels ihres Personalbestandes zur russischen Armee hat die katastrophale Lage der ukrainischen Streitkräfte entblößt. Und es ist eine unbegründete, wie der spätere Ablauf des Krieges zeigte, militärisch-politische Euphorie entstanden. Es nahm die Meinung überhand: Mit diesen Streitkräften ohne Führung und Motivation wird die zivile Volkswehr genauso schnell abrechnen, man muss ihnen nur mit Beratern und Waffen helfen.
Womöglich haben genau diese Argumente zu der führenden Rolle der Falken in der Diskussion gebracht. Denn die traditionellen Instrumente Russlands waren das Außenministerium, die Erpressung mit Gas und mit Schulden, die Abhängigkeit des modernsten Industrieteils der Ukraine von russischen Aufträgen. Aber nicht die Armee.
Und unter diesem Druck gab es nicht einmal eine Woche für Überlegungen. Man hat die unvermeidliche Reorganisation der ukrainischen Armee nicht vorausgesehen, das Auftauchen von nicht weniger motivierten Freiwilligen, die politische Konsolidierung des Landes. Man hat nicht vermutet, dass Militärangehörige von der Gesellschaft eine carte blanche zur Anwendung von zerstörerischen Waffen in den eigenen Städten bekommen werden (wie unsere Bürger in ihrer Mehrheit auch die Zerstörung Grosnys befürwortet haben).
Man hat vermutet, dass weiter alles genauso laufen wird, wie auf der Krim.
Irgendwann werden die Historiker Dokumente in die Hände bekommen, welche die Entscheidungen der russischen Führung in dieser verhängnisvollen Zeit bestimmt hatten. Noch früher werden die unmittelbaren Teilnehmer der Ereignisse Memoiren schreiben. Und wir werden erfahren: Wurde die brillante – rein vom militärischen Standpunkt aus – Krimer Operation etwa zur Ursache des Todes einer ungeheuren Menge von Menschen, der Sanktionen und der internationalen Isolation unseres Landes?
Autor: Walerij Schirjajew, stellvertretender Leiter der unabhängigen gemeinnützigen Organisation „Novaya Gazeta“; übersetzt von Irina Schlegel; editiert von Viktor Duke.
Nachtrag von IN-Redaktion: Wahrscheinlich ist die Geschichte mit der Krim und dem berüchtigten „Neurussland“ noch nicht zu Ende.
Solange die Kriegsentfacher neue Medaillen „für die Rückkehr“ nicht nur der Krim, sondern auch von Odessa, Charkiw, Kyjiw und sogar Lwiw vorbereiten, ist an ein friedliches Leben gar nicht zu denken. Der Feind wird erst dann anhalten, wenn wir den letzten Nagel in das Grab des putinschen totalitären Imperiums schlagen.
Viele Freiwillige von InformNapalmTeam sind im Februar-März 2014 selbst Zeugen der russischen Invasion geworden. Hier ist ein beispielhaftes Video aus unserem persönlichen Archiv, wie die Okkupanten Panzerfahrzeugkolonnen aus Sewastopol zum Sturm auf die militärischen und administrativen Objekte verlegten.
- Lesen Sie zum Thema einen Artikel aus dem Jahr 2008 (!!!), in dem der Plan zur Krim-Annexion detailliert beschrieben wurde: „Operation „Clockwork Orange“: Wie der Krieg gegen die Ukraine schon 2008 in Russland besprochen wurde“.
10 Responses to “Krimer Bordstein ein Jahr später: Einzelheiten der russischen Sonderoperation zur Krim-Annexion”
01/03/2015
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15/03/2015
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Wladislaw Surkow. Die ukrainische Spur. - InformNapalm.org (Deutsch)[…] Reise wird LB.ua noch später berichten – in einer Artikelserie, die die Pläne für die sorgfältige Vorbereitung der Annexion von Krim durch Russland enthüllt (Sie glauben doch wohl nicht, dass die Halbinsel spontan besetzt wurde, […]
22/06/2016
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05/10/2017
Oleh Sentsov som en symbol för rysk politik på ockuperade Krim[…] mycket intressant rysk artikel från 2008, där den framtida annekteringen av Krim beskrivs i detalj. […]
06/10/2017
Oleh Sentsov som et symbol på russisk politikk på den okkuperte Krimhalvøya[…] interessant russisk artikkel fra 2008, der den kommende anneksjonen av Krim er beskrevet i detalj. […]
21/01/2019
Oleh Senzow als Sinnbild der russischen Politik auf der besetzten Krim - InformNapalm (Deutsch)[…] Krimer Kantstein ein Jahr später: Einzelheiten der russischen Sonderoperation zur Krim-Annexion […]