Im Netz und im TV schlagen die Wellen hoch wegen der Blockade der Eisenbahnwege durch eine Aktivistengruppe. Die Meinungen hinsichtlich der Richtigkeit dieser Aktivität sind diametral entgegengesetzt, Diskussionen diesbezüglich finden überall statt. Einige finden, dass es unmöglich ist, mit den besetzten Territorien zu handeln und „im Austausch“ Geschosse zu bekommen, die das Leben unserer Bürger nehmen. Andere wiederum haben endlich begriffen, dass das Echo des Krieges auch sie erreichen kann – in Form der Abschaltung von Gas und ihren kalten Häusern.
Die Entstehung solcher Zusammenstöße steht in erster Linie mit der Abwesenheit des Dialogs der Obrigkeit mit dem Volk im Zusammenhang. Die Obrigkeit hat es in drei Jahren Krieg nicht geschafft, dem ukrainischen Volk zu erklären, was wir denn vom Handel mit dem Besatzer haben und zu welchen Konsequenzen die Aufhebung dieser wirtschaftlichen Beziehungen führen kann.
Wir möchten uns an den Internet-Schlachten nicht beteiligen, da wir hoffen, dass der Erlass des Präsidenten der Ukraine P. A. Poroschenko „Über unverzügliche Maßnahmen zur Neutralisierung der Bedrohungen für die Energie-Sicherheit der Ukraine und die Verstärkung des Schutzes der kritischen Infrastruktur“ zur Entstehung von strikten Gesetzesnormen und Regeln (gefolgt von bewusster Umsetzung) führen wird.
Schwer zu sagen, ob der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine (SNBO) über die Risiken der eventuellen Blockade früher sinnierte, denn diese konnte ja auch auf Initiative der Einwohner von temporär okkupierten Gebieten hin beginnen – nur auf der anderen Seite der Demarkationslinie. Wen würde das Ministerkabinett dann schuldig dafür machen?
Unser Gegner aber, in Person der Kremlführung, war wohl klüger und raffinierter. So hatte Russland noch Mitte 2014, direkt nach der Ausrufung der Fake-Formationen „DVR“ und „LVR“, die Situation einer eventuellen Wirtschaftsblockade analysiert. So paradox es nun auch klingt, zogen sie dabei die Variante „Die Ukraine blockiert die Lieferungen IN den besetzten Donbass“, und nicht die Variante, die wir nun faktisch haben – die Blockade der Lieferungen AUS dem besetzten Donbass, in Betracht.
Dank der durch UCA gehackten Korrespondenz des russischen Präsidentenberaters Wladislaw Surkow haben wir Zugang zu einem riesigen Datenmassiv erhalten. Infolge der Analyse des Dumps ist es InformNapalm gelungen, Licht auf Russlands Pläne zur Destabilisierung der Situation in der Ukraine zu werfen. Im ersten Teil der Analyse erwähnten wir das Vorhandensein eines Dokuments unter dem Titel „Über die Risiken der Wirtschaftsblockade der DVR und LVR“.
Die Nachricht von W. N. Awdejenko (Avdeenko_VN@gov.ru) mit diesem Dateianhang ging am 18.06.2014 bei Surkow ein. Zu dem Zeitpunkt war Wladimir Awdejenko der Leiter der Führungsabteilung der Präsidentenverwaltung Russlands in Fragen der sozial-wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den GUS-Ländern, Abchasien und Südossetien. Des Weiteren betreute Wladimir Awdejenko auch die wirtschaftlichen Beziehungen mit der „DVR“ und „LVR“. Ende 2014 berichteten russische Medien über seine Kündigung von diesem Posten.
Welche Analyse hat denn Awdejenko Surkow vorgestellt, wovor fürchtete sich die russische Führung und welche alternative Entscheidungen sah sie für sich?
- Die Blockade der Lieferungen von Eisenerzkonzentrat aus den Gebieten Dnipro und Saporischschja an die Eisenhüttenbetriebe im Donbass
Die Lösung für diese Ressourcen-Bedrohung sah man in alternativen Lieferungen aus dem Belgoroder Gebiet Russlands, wo ein großer Vorrat an Eisenerz vorhanden ist – dazu müsste Russland die Fördermengen erhöhen und Eisenbahnlieferungen in den Donbass organisieren.
Stojlenski Aufbereitungskombinat, Belgoroder Gebiet Russlands
Nun wird klar, warum der Bau einer Eisenbahn unter Umgehung der Ukraine so dringlich wurde, die die Eisenbahnstationen Schurawka-Millerowo verbinden soll (Näheres dazu in unseren Untersuchungen: Eisenbahn 1, Eisenbahn 2, Eisenbahn 3).
- Energie-Blockade des besetzten Donbass
Nach Angaben im obengenannten Dokument, werden bis zu 30% Elektroenergie im Donbass durch das Atomkraftwerk und das Wasserkraftwerk im Gebiet Saporischschja geliefert. Die Lösung des Problems der Lieferung von Elektroenergie sah man im Bau einer Energiebrücke – einer 300 km langen Hochspannungslinie (500 kV) vom Rostower Atomkraftwerk bis zur Station „Rostowskaja“ und einer 500 kV-Linie von der Station „Rostowskaja“ zur Station „Schachty“ (87,8 km), sowie auf Kosten der Verstärkung von folgenden Linien: 500 kV von der Station „Schachty“ bis zur Station „Pobeda“ des Swerdlowski Bezirk des Luhansker Gebiets und 330 kV von der Station „Rostowskaja“ zur Station „Juschnaja“ im Charzysk des Donezker Gebiets (Ukraine) – also zusätzliche Linien mit 84 und 105 km Länge jeweils.
Es wurde auch die Vergrößerung der Übergabeleistung seitens des Woronesch Energiesystems auf Kosten des Baus einer zweiten Kette der 500kV-Überlandleitung von der Nowoworonesch Atomkraftwerk-Station „Donbasskaja“ mit einer Gesamtlänge von 345 km in Betracht gezogen.
Dafür mussten die russischen Steuerzahler zahlen. Wie auch sonst – das Besatzungsland ist dazu verpflichtet, die von ihm illegal okkupierten Territorien zu versorgen.
- Blockade von Exportlieferungen auf dem Territorium der Ukraine
Laut dem Dokument wurde bis zu 20% des Exports der fertigen Produktion (in erster Linie Metall und Metallprodukte, sowie Produkte des Maschinenbaus) aus dem Donbass durch das Territorium der Ukraine in den Hafen von Mykolajiw geliefert. Selbst wenn man den Abtransport über den Hafen von Mariupol in Betracht zieht (Anm.d.Red.: Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Dokuments war Mariupol besetzt), war eine Umgestaltung der Logistik notwendig.
Das Obengenannte kann durch Angaben in der Übersichtstabelle bestätigt werden, die infolge des erfolgreichen Hackerangriffs ukrainischer Hacktivisten auf das „DVR-Tranpostministerium“ erbeutet wurde. Wir sprachen vom Transport der Produktion der Eisenhüttenwerke in Jenakijewe und Altschewsk mit der Eisenbahn in die ukrainischen Häfen und EU-Länder.
Somit haben wir gezeigt, dass die russische Führung über den eventuellen Einfluß der Blockade auf die Wirtschaft der Pseudorepubliken sehr besorgt ist. Uns interessiert aber auch, ob unser Ministerium in Fragen der temporär besetzten Territorien solche Analysen anstellt und sich mit strategischer Planung beschäftigt. Alles oben Genannte kann man als eine Andeutung verstehen, man sollte aber nicht vergessen, dass der Feind klug ist und all diese Schachzüge im Unterschied zu uns bereits vor drei Jahren berechnet hatte.
Dieses Material wurde von Victory Krm exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
(Creative Commons — Attribution 4.0 International — CC BY 4.0 )
Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
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