Wir veröffentlichen heute eine interessante Analyse der Situation am Switlodarsk-Bogen, die der ATO-Veteran Yuri Rudenko für die Webseite Inforesist vorbereitete.
Switlodarsk-Bogen wird nicht grundlos ein Bogen genannt. Nach dem Abzug unserer Truppen aus Debalzewe im Februar 2015 stellt die bedingte „Demarkationslinie“ in diesem Frontabschnitt tatsächlich einen Bogen dar, der das Dorf Luhanske umgibt und im Westen an den Wuhlehirsk-Wasserspeicher angrenzt.
Ein schwieriger, mit verschiedenen Höhen, Geländerelief, relativ weite Entfernung von den besiedelten Ortschaften in Kombination mit der Unlust des Gegners, sich mitten in einer leeren Steppe wiederzufinden, hat unseren Kräften einen gewissen Raum gegeben, und die Taktik einer „schleichenden Offensive“ in diesem Abschnitt brachte uns positive „Dividenden“ bereits seit Februar 2016: Es erlaubte schrittweise die „graue Zone“ einzunehmen, vollwertige Unterstände und Schützengräben auszubauen und die Berührungslinie vom Mironowski-Wärmekraftwerk und in erster Linie – vom Wuhlehirsk-Wärmekraftwerk, die strategische Bedeutung haben, zurückzuschieben.
Wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass Debalzewe und seine Umgebung laut Minsker Abkommen de jure als Territorien anerkannt wurden, die der ukrainischen Kontrolle unterstehen, entspricht dieses Vorgehen unserer Armee den Bedingungen des obengenannten Abkommens.
Zugleich sollte man berücksichtigen, dass dieser Raum an der Schnittstelle zwischen den sogenannten „LVR“ und „DVR“ liegt und die Gegnerabwehr an diesem Abschnitt wegen der Kooperationsproblemen zwischen den Truppen der beiden terroristischen Organisationen deutlich geschwächt ist. Nicht verwunderlich ist deshalb, dass unsere Truppenleitung sich drum bemühte, diese Tatsache zur Verbesserung unserer Positionen sowohl in taktischer als auch strategischer Sicht zu nutzen.
Ein paar Kilometer langer Vorstoß in Richtung Debalzewe würde erlauben, die Verkehrsstrasse M04 (Snamjanka-Krasnodon) im Abschnitt Wuhlehirsk-Debelazewe unter Feuerkontrolle zu nehmen, was wiederum Probleme mit der Versorgung von Horliwka zu Folge hätte und höchstwahrscheinlich auch erlauben würde, die ukrainischen Positionen in Bezug auf einen Gegenbatteriekampf zu verbessern, indem der Nordwesten von Horliwka für Gegnerartillerie „geschlossen“ wird, was wiederum die Situation in Sajzewo, Golmowskoje und Kurdjumowka beeinflussen würde.
Zugleich versteht aber auch der Gegner die strategische Wichtigkeit dieses Raums (überhöhte Höhen) und versuchte darum ebenfalls, seine Positionen zu verbessern. Deshalb verbrachten die beiden Seiten faktisch den ganzen Sommer damit, sich Artillerieduelle und Kampfzusammenstösse in kleinen Gruppen zu liefern.
Die Industriezone in Awdijiwka lenkte aber sowohl die Kräfte und Mittel, als auch die öffentliche Aufmerksamkeit von diesem Frontabschnitt ab.
Im Sommer 2016, genauer am 29. Juni 2016, fand der erste ernsthafte Zusammenstoss unter Einsatz von Panzerfahrzeugen statt. Eine zusammengesetzte Abteilung aus den Soldaten der 54. Brigade und des Bataillons „Kiewskaja Rus“, sowie Aufklärergruppen des „Rechten Sektors“ haben im Gegenzug für Mörserbeschüsse einen Angriff auf die Höhen, die vom Gegner besetzt waren, ausgeführt. Es wurde ein Stützpunkt eingenommen und sein Kommandeur Ajrat Natikowitsch Kalimullin, ein Staatsbürger Russlands aus Tatarstan, wurde getötet.
Anmerkung der IN-Redaktion:
Nach Angaben von InformNapalm ist die Information über den Tod des Leutnants A.Kalimullin nicht wahrheitsgerecht und wurde fälschlicherweise in den Medien verbreitet. Im Juli 2016 trafen sich die Freiwilligen von InformNapalm mit einem der Kämpfer, der am Kampf am Switlodarsk-Bogen am 29. Juni teilnahm. Er zeigte den Pass von Kalimullin, den er bei seiner Flucht auf den Stellungen zurückgelassen hatte, sowie einen Urlaubsschein mit einer Telefonnummer auf der Rückseite, der in den Dokumenten eines Scharfschützen, des russischen Staatsbürgers Alexander Galkin, gefunden wurde, der ein Untergebener von A.Kalimullin war. Die Nummer haben wir angerufen und dadurch zusätzliche Umstände erfahren, die uns zu beweisen erlaubten, dass Ajrat Kalimullin am Leben ist.
Näheres dazu hier: „Russische Staatsbürger: Liquidierung eines russischen Scharfschützen und ein Anruf an seinen geflüchteten Kommandeur“
Die Gegnerartillerie nahm die just eingenommenen Stellungen unter Beschuss. Es wurde zwar die Schwerbewaffnung des Gegners vernichtet, wegen der qualitativ schlechten Verteidigungsanlagen war man aber gezwungen, zurückzuziehen. Die Kampfverluste betrugen auf der ukrainischen Seite 2 Gefallene und 10 Verwundete, der Gegner verlor schätzungsweise 20 Kämpfer (darunter 6 Gefangene auf der ukrainischen Seite, die unter dem Feuer der „eigenen“ Artillerie ums Leben kamen)…
Bis Dezember 2016 blieb die Situation am Bogen unverändert – am 18. Dezember wiederholte sich aber der Kampf unter gleichen Bedingungen, aber in einem ganz anderen Ausmaß…
Am 18. Dezember wurde eine lokale Offensive gestartet, mit Kräften bis zu einer Kompanie, deren Ziel es war, die Gegnerstellungen im Wald zu neutralisieren (Die Stellungen östlicher von 231.6-Höhe, die im Winter 2015 „Feuerstellung Pascha“ hieß). Von dieser Stellung aus wurden permanente Beschüsse geführt, die unter anderem auch gefährlich für das Wuhlehirsk-Wärmekraftwerk waren, da sie zu einer Störung von Strom- und Wasserversorgung der Stadt Bachmut und seiner Umgebung führen konnten. Für die erfolgreiche Säuberung des Waldes selbst, musste man den Stützpunkt des Gegners auf der 216.8-Höhe neutralisieren (Die Terroristen nennen ihn „Kikimora“).
Um circa 6 Uhr morgens begann die Operation. Ihre Sommererfahrung berücksichtigend, haben die Söldner ihre Stellungen besser befestigt und leisteten einen ernsthaften Widerstand. Sie baten um Artillerieunterstützung und der lokale Konflikt wurde zu einer ziemlich ernsten Auseinandersetzung, unter Einsatz von Reserve und Panzerfahrzeugen. Außer einem Artillerieduell wurde ein Nahkampf auf einer Entfernung von 10 bis 200 Meter geführt, mehrere Gegenangriffe wurden ausgeführt.
Ukrainische Truppen trugen empfindliche Verluste. 8 Gefallene und circa 30 Verwundete, Gequetschte und Traumatisierte (zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Artikels). Die Gegnerverluste (nach Angaben aus verschiedenen Quellen) belaufen sich auf circa 20 Gefallene. Zum Ende des ersten Gefechtstages blieb der Stützpunkt „216.8-Höhe“ bei den ukrainischen Truppen, es wurde die Zufuhr von Kampfsatz organisiert und die Rotation des Personalbestands auf den Stellungen durchgeführt. Eine wichtige Rolle bei der Evakuierung von Verwundeten spielten die Mannschaften der freiwilligen Rettungsassistenten-Organisation ASAP.
Per Abend des 18. Dezember wurde in sozialen Netzwerken und in Nachrichtenquellen eine Panik initiiert, wobei das proukrainische Internet-Segment hauptsächlich die Verluste der ukrainischen Truppen besprach, und die prorussischen Medien die lokale Operation ukrainischer Truppen aber als eine ernsthafte Offensive auf Debalzewe präsentierten und behaupteten, dass die Ukraine das Minsker Abkommen dadurch verletzt hätte. Was sie dabei vergaßen, ist die Tatsache, dass der komplette Raum von Debalzewe nach Bedingungen von Minsk-II unter die Kontrolle der ukrainischen Truppen übergeben werden musste.
Am 19. Dezember wurden die Kämpfe weitergeführt, sind aber weniger intensiv geworden. Hauptsächlich wurde Artillerie eingesetzt, zur Tagesmitte wurden aber die Abteilungen der 17. selbstständigen Panzerbrigade in Gefechtsbereitschaft versetzt, zwecks Neutralisierung von vorstossenden Gegnerkräften. Zum Einsatz der Panzer kam es aber nicht – der Gegnervorstoss konnte mit vorhandenen Kräften zurückgehalten werden.
Per 20-21. Dezember kann man schwer über ein Ende der Kämpfe sprechen, die Intensität der Kämpfe lies aber nach. Es gibt Voraussetzungen zur weiteren Entwicklung der Situation. Die eingenommenen Stellungen erlauben es, die Bewegungen über die Verkehrsstrasse Snamjanka-Krasnodon (im Abschnitt Wuhlehirsk-Debalzewe) zu beobachten. Auch vereinfacht diese Position die Aufgabenlösung zur Unterdrückung der Gegnerartillerie (im Raum von Golmowski-Bajrak-Gurty), was wiederum zur Verschiebung der Demarkationslinie in dieser Gegend führen kann.
Höchstwahrscheinlich versteht der Gegner die neue Situation und wird versuchen, die 206.8-Höhe zurückzuerobern, wobei die ukrainischen Streitkräfte gezwungen sein werden (zwecks Verbesserung der Konfiguration der Berührungslinie) die nächstliegende 226.7-Höhe ebenfalls einzunehmen. Was im Grunde das Vorgehen der russischen Streitkräfte in 2015 wiederholen wird, als diese das Dorf Logwinowo eingenommen hatten.
Hier sollte man auch berücksichtigen, dass zum jetzigen Zeitpunkt das Dorf Logwinowo nicht mehr jene Bedeutung hat, die es im Februar 2015 hatte, als der Kampf hautsächlich um die Verkehrsstrasse Charkiw-Rostow geführt wurde. Auf dem Weg zur wichtigsten Höhe im Raum – der 309-Höhe (ehemalige Feuerstellung „Walera“) – werden unsere Kräfte eindeutig gezwungen sein, die Kontrolle über die Höhen im Raum von Lowginowo zu übernehmen, was am Ende zu einer Veränderung auf der ganzen Frontlinie führen wird.
Zum jetzigen Zeitpunkt besitzt die Frontlinie 2 beidseitig zweischneidige Vorsprünge und wahrscheinlich sind weder die ukrainischen Streitkräfte noch ihr Gegner mit der jetzigen Situation zufrieden. Wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass die OSZE-Mission sich gerade auf Weihnachtsferien vorbereitet und es am 22. Dezember einen weiteren „humanitären Konvoi“ aus Russland gab, kann man annehmen, dass die Lageverschärfung in Debalzewe-Richtung gerade erst beginnt…
Autor: Yuri Rudenko, ATO-Veteran und Freiwilliger; übersetzt von Irina Schlegel.
2 Responses to “Switlodarsk-Bogen: Taktische Lage, Ergebnisse und Perspektiven”
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