Über den russischen Medienterror
Eine charakteristische Besonderheit der heutigen russischen Militäraggression gegen die Ukraine im Donbas ist nicht nur der Einsatz von Unmengen an modernsten Waffen, regulären russischen Militärangehörigen und Söldnern, die das Rückgrat der Kollaborateure bilden, sondern auch ein eingespieltes System des Medienterrors. Zur Realisation des Konzepts des russischen Hybridkrieges gehört die permanente Zuspeisung mit Informationseinwürfen, in denen die ukrainischen Truppen angeschwärzt und diskreditiert werden, wodurch den Einwohnern der Donezker und Luhansker Gebiete ein Bild von ukrainischen „Strafkommandos“ vermittelt wird – statt des realen Bildes der Soldaten, die ihr Land verteidigen und befreien.
Parallel dazu wird propagandistische Arbeit zur Irreführung von internationalen Beobachtern geführt – aus verzerrten Fakten werden undurchsichtige Informationsgebilde kreiert. Nicht zufällig verabschiedete das Komitee des Europaparlaments für internationale Fragen ein Resolutionsprojekt, in dem die russischen Nachrichtenagenturen mit den propagandistischen Materialien der Terrorgruppe ISIS gleichgesetzt werden. Wenn man aber etwas tiefer gräbt, so geht der russische Medienterror weit über die Grenzen der Faktenverzerrung hinaus – er ist durchaus im Stande, seine Arbeit mit Terroristen zu synchronisieren, um bestimmte Informationsanlässe zu erschaffen. In 2014 gab es in Luhansk sogar einen Witz: „Falls jemand einen LifeNews-Journalisten sehen sollte – lauft so schnell Ihr könnt!“ – das hing damit zusammen, dass russische Journalisten auf mysteriöse Art und Weise genau dort auftauchten, wo kurz darauf ein Angriff stattfand, der meistens menschliche Opfer zur Folge hatte.
In 2014 schrieb InformNapalm auf Grundlage der Aussagen von Einheimischen über den Algorithmus der Durchführung von Provokationen und Vernichtung der Zivilbevölkerung durch die „D/LVR“-Terroristen.
Im Dezember 2016 erklärte der ehemalige „LVR“-Anführer Walery Bolotow, dass während der aktiven Kampfhandlungen in 2014 das sogenannte Bataillon „Sarja“ (das damals durch den jetzigen „LVR“-Anführer Igor Plotnizky angeleitet wurde) Luhansk zwecks Provokationen unter Beschuss nahm. Die Erklärung des ehemaligen Feldkommandeurs hat erbitterte Diskussionen unter den Söldnern entfacht, ein Teil derer Bolotow der Lüge beschuldigte, während andere die Fakten der „seltsamen“ Beschüsse der Städte im Donbass bestätigten.
Dieses und viele andere Zeugnisse ergänzen das Bild, bei dem die russischen und die den „D/LVR“-Söldnern unterstehenden Medien im Donbas in der Rolle der Komplizen von Terroristen auftreten. Die Eskalation der Kampfhandlungen im Raum des Switlodarsk-Bogens in der zweiten Dezember-Hälfte 2016 brachte eine neue Welle ähnlicher Operationen ans Licht. Im nachfolgenden Artikel untersuchen wir einen solchen Fall des Medienterrors.
Beschüsse der Wohnhäuser in Debalzewe
In den letzten Tagen veröffentlichte das Sprachrohr der Söldner – das „Luhansker Informationszentrum“- eine ganze Artikelreihe darüber, wie die ukrainischen Streitkräfte angeblich versuchen, die Abteilungen der „LVR-Volksmiliz“ von ihren Stellungen bei Debalzewe abzudrängen.
Die russischen Propagandisten präsentierten neulich Fotos und Videos von zwei Fällen von Schäden durch Beschuss in einem Wohngebiet. Der einzige Gewinner von solchen Beschüssen ist dabei die russische Propagandamaschine, die die Angriffe als eine „Operation von ukrainischen Strafkommandos“ darstellt, obwohl das nicht mal ansatzweise mit der planmässigen Vernichtung von Zivilisten im ukrainischen Nowoswetlowka oder syrischem Aleppo durch die russischen Besatzer zu vergleichen ist.
Diese Reportagen haben unser Interesse erweckt, da in der offiziellen Medienversion eine ganze Reihe von Ungereimtheiten zu beobachten war.
Einzelne Beschüsse des Wohngebiets seitens der Ukraine sind vom militärischen Standpunkt aus sinnlos, also lasst uns nach Fehlern der Organisatoren von diesen Provokationen suchen.
Die Einschlagsstelle befindet sich unter folgender Adresse: Kurtschatow-Strasse, Debalzewe, an den Garagen zwischen dem Haus Nr. 9. und dem Haus Nr. 11. Im Video zeigt uns der Propagandakanal NewsFront die Beschädigungen am Haus Nr. 9 auf der Hauseingangsseite, zeigt aber nicht, wo genau die Einschlagsstelle ist, sowie er auch keine Spuren von Trichtern zeigt.
Uns wird nur eine Einschlagsstelle gezeigt: Die Garagen zwischen dem Haus Nr. 9 und dem Haus Nr. 11:
Das Geschoss detonierte auf dem Garagendach (ohne die Decke zu durchdringen), unweit der stirnseitigen Erhöhung der Garage daneben:
Davon zeugt auch die Abwesenheit von Explosionsspuren unter den Dachbalken. Und die Decke ist infolge der Detonation auf dem Dach und nicht infolge eines durchgeschlagenen Geschosses eingebrochen. Das spricht dafür, dass das Geschoss keine große Schlagkraft bzw. Kaliber hatte (Zum Beispiel könnte es eine 82mm-Mörsergranate gewesen sein) und dafür, dass die Feuerreichweite gering war (drei bis vier Kilometer). Die nächstliegenden ukrainischen Stellungen bei Debalzewe sind nach den optimistischsten Berechnungen aber nicht weniger als 12 Kilometer in nördlicher und nordwestlicher Richtung entfernt, wobei der Abstand in Wirklichkeit auch viel größer sein kann.
Die Ellipse der Splitterstreuung ist gut an der Spur am Garagendach zu erkennen und ist in Richtung des Hauses Nr. 9 gerichtet. Daraus folgt eine hohe Wahrscheinlichkeit dessen, dass die Mörsergranate aus der südlichen oder südwestlichen Richtung abgefeuert worden ist, wo es weit und breit keine ukrainischen Truppen gibt.
Das andere Video war einem Privathaus in Nowohrihoriwka gewidmet (Koordinaten des Hauses).
Dorthin haben die Söldner die OSZE-Beobachter nicht gebracht – dort sind nur die russischen Propagandisten gewesen. Der Mann, der angeblich der Hausbesitzer ist, behauptet im Video, dass er die ankommende Granate als schwarzen Punkt gesehen hätte, und zeigt dabei die Richtung, aus der die Granate angeblich angeflogen kam. Die Wahrscheinlichkeit, eine auf dich zufliegende Granate sehen zu können, ist aber sehr gering – eigentlich gleich Null. Und es bleibt dann auch keine Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Woraus man schließen kann, dass er lügt.
Die Schäden am Haus sehen ebenfalls seltsam aus: Vor dem Haus gibt es keinen Trichter, das Geschoss (falls es überhaupt eines gab) hat die Wand offensichtlich an der unteren rechten Fensterecke durchgeschlagen – ein Teil der Backsteine ist nach innen eingepresst worden. Warum ist dann der Giebel beschädigt worden?
Im Haus selbst sehen wir auch keine Spuren einer Granate – nichts ist verbrannt, es gibt keinen Ruß, keine Spuren von Splittern. Nur an der Decke, direkt vor dem Fenster, sehen wir leichte Beschädigungen.
Aus den Fragen, die das Drehteam an den „Besitzer“ stellte, wird deutlich, dass das Haus bereits vorher beschädigt war – ob es dieses Mal einen Granateneinschlag gegeben hat oder uns die alten Beschädigungen als neue präsentiert werden, ist nicht ganz klar.
Ein russischer Offizier aus dem „Gemeinsamen Zentrum der Kontrolle und Koordination“ nimmt hier an der Beweisfälschung teil: Er zeigt uns die Nord-Richtung ohne einen Kompass. Die Richtung, die von ihm gezeigt wurde, weicht um ganze 30 (!) Grad von der tatsächlichen ab.
Visuell weicht der Pfeil, der angeblich in Richtung Norden gerichtet ist, ungefähr um 45 Grad von der Senkrechte zur Hauswand ab. In Wirklichkeit beträgt die Abweichung zwar nur wenige Grad, für die russischen „Friedensstifter“ spielt das aber wohl keine Rolle. Wichtig für sie ist nur, den russischen Zuschauer davon zu überzeugen, dass ein EINZELNER und SINNLOSER Schuss aus der Richtung des Switlodarsk-Bogens kam.
Die russischen Offiziere aus dem Gemeinsamen Koordinationszentrum werden somit der Unterstützung der propagandistischen Linie des Aggressorstaates absolut gerecht.
Weiter wird uns im Video ein relativ großes Geschossfragment gezeigt – wir sehen aber nicht, wo dieses herkam.
Auf einem separaten Foto sehen wir das gleiche Fragment in den Händen der Besatzer oder aber russischen Propagandisten.
Das Fragment weist keine Explosionsspuren auf – nur sichtbare Bruchkanten. Entweder detonierte das Geschoss nicht oder aber es wurde gezielt als rein kinetisches Projektil verwendet, ohne zu detonieren. Das Kaliber des Geschosses beträgt dabei nicht weniger als 100 mm.
Am Fragment sehen wir deutlich zwei nebeneinanderliegende breite Nuten für Drallführungsringe aus Kufper. Es sind Reste eines Drallführungsrings zu sehen, der durch Züge des Abschussrohrs der Waffe verformt wurde. Es gibt nur wenige Geschosse, zu denen diese Beschreibung passt:
- Die Splittersprenggranate 3OF32, die Ende 1970er in Dienst gestellt worden ist und nachwievor am sogenannten „Plastikwerk“ im Tscheljabinsker Gebiet Russlands hergestellt wird.
Diese Granaten werden verschossen durch:
- Die Kanone BS-3, die von den Söldnern, die sich für „LVR“-Armee ausgeben, aktiv verwendet wird, wie uns das russische Wikipedia mitteilt:
- Das Geschütz 2A70, ebenfalls mit einem Kaliber von 100 mm und gezogenem Rohr. Ein russisches Artilleriesystem zur Unterstützung der Infanterie. Es kann auf verschiedene Schützenpanzerwagen und Schützenpanzer der Landetruppen installiert werden, solche wie BMD-4, BMP-3 und BTR-90M.
3. Splittersprenggranate OF-29 zur 152 mm Kanone 2A36 „Hyazinth-B“.
Wenn aber die letztgenannte Granate im Hausinneren detoniert wäre, wäre von dem Haus nichts übrig geblieben. Und wenn diese einfach nur zerbrochen ist, wo sind dann die anderen Teile?
In allen Videos von anderen Beschüssen, die später auftauchten, sieht man am Boden die Trichter von Granaten eines kleinen Kalibers, mit einer Reichweite von drei bis vier Kilometern (damit korrespondiert die Größe der Trichter).
Der Beschuss einer Kirche fügt sich ebenfalls ideal ins Konzept der „Russischen Welt“, ihrer „Verteidigung der russischsprachigen Bevölkerung und Orthodoxie“ und ihres medialen Terrors ein.
Im Zusammenhang mit oben dargelegten Fakten stellt sich die Frage über das Niveau der fachlichen Ausbildung der OSZE-Vertreter. Ihre Fähigkeiten und Kompetenz bei der Durchführung einer sorgfältigen und objektiven Analyse der Beschüsse unter Einbeziehung von allen Aspekten möglicher Provokationen lassen viel zu wünschen übrig. Denn eine visuelle Inspektion und die Feststellung der Tatsache des Beschusses an sich wird automatisch zu Lasten der ukrainischen Seite gelegt. Das spielt der russischen Propaganda in die Hände, gibt aber kein Bild der tatsächlichen Lage wieder und zeigt nicht das Ausmaß der Prozesse, die so virtuos vom Kreml gesteuert werden.
P.S. Als wir diese Analyse vorbereiteten, teilte der Militärnachrichtendienst der Ukraine (GUR) mit, dass am 23. Dezember 2016 russische Besatzungstruppen Debalzewe mit 82mm-Mörsern unter Beschuss genommen hatten. Zum Dokumentieren der Folgen dieser Provokationen, sowie zwecks Vorbereitung und Verbreitung von propagandistischen Berichten sind Korrespondenten der führenden russischen Medien unter der Leitung von Offizieren des Zentrums für informativ-psychologische Kampfführung (Zentrum des Territorialheers; Nowotscherkassk, Südlicher Militärbezirk, Russland) herangezogen worden. Somit wurden unsere Schussfolgerungen über den Charakter und den Typ der provokativen Beschüsse auch durch die Meldung des ukrainischen Militärnachrichtendienstes bestätigt.
Dieses Material wurde von Dmitry К. und Andrew Lysytskiy exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
(Creative Commons — Attribution 4.0 International — CC BY 4.0 )
Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
2 Responses to “Medienterror in Debalzewe: Erneute Provokationen im Donbas im Namen der Propaganda”
04/02/2017
Brjanka: Von Russland inszenierte Beschüsse des besetzten Territoriums zwecks Konflikteskalation - InformNapalm.org (Deutsch)[…] Dezember haben schon mal erwähnt, dass die Söldner erneut ihre Praxis der provokativen Beschüsse von ihnen unterstelltem […]
24/05/2017
Meinungsfreiheit vs. Informationskrieg: Zu ukrainischen Sanktionen gegen russische Internetdienste - InformNapalm.org (Deutsch)[…] dass man Laiendarsteller findet, die man als Opfer vorstellt, und auch nicht, dass man Geschichten gänzlich neu erfindet. „Zur Beschaffung“ hat nicht notwendig zur Folge, dass man in einem anderen Land […]