Lange vor der militärischen Invasion in die Ukraine führten russische Medien zielgerichtete Arbeit zur Wahrnehmungsveränderung der ukrainischen Bürger mittels Verbreitung von „Informationsviren“. Selbst nach diesen zweieinhalb Jahren Krieg setzen die meisten russischen Projekte ihre Arbeit fort. Einige von ihnen haben ihren Namen geändert, die eifrigsten Propagandisten sind nach Russland ausgewandert und senden nun von dort aus russische Propaganda in die Ukraine. Zur Umformatierung der prorussischen Projekte trugen auch die Verbote auf die Übertragung russischer TV-Kanäle in der Ukraine bei. Statt der direkten und groben Propaganda aus der Zeit Kutschma-Juschtschenko-Janukowitsch, betreiben russische Projekte nun zu Kriegszeiten eine Politik der „sanften Kraft“ und imitieren dabei objektiven Journalismus.
Des Öfteren arbeiten bei solchen Projekten auch proukrainische Journalisten, die ihre Arbeit professionell machen. Im Großen und Ganzen ist aber die Arbeit solcher Projekte auf dem Prinzip „80 zu 20“ gebaut – das bedeutet, dass 80% der Information einen neutralen Charakter trägt, die restlichen 20% aber russische Propaganda ist.
Die Hacktivisten der „MadUkrop$_Crew“-Gemeinschaft haben einige Geheimnisse rund um prorussische Projekte im ukrainischen Informationsraum gelüftet. Anhand der von ihnen bereitgestellten Daten analysieren wir heute das E-Mail-Account eines russischen Journalisten, Iskander Chisamow (den vollständigen Dump kann man hier herunterladen).
Zur Info: Iskander Chasimow begann seine journalistische Tätigkeit in Usbekistan, in den 1990ern zog er nach Russland um, wo er bei einigen Moskauer Medien arbeitete. Nach der Orangenen Revolution 2004 zog er nach Kiew um, wo er die ukrainische Version des russischen Magazins „Expert“ bis 2009 leitete. Allmählich wurde er zu einer vertrauten Person im ukrainischen Medienraum und war sogar im Stab des Präsidentenkandidaten Sergei Tigipko. Er beschäftigte sich auch mit der Ausgabe der ukrainischen Version der russischen Zeitschrift „Reporter“, arbeitete als Moderator beim TV-Kanal UBR. Tat so, als ob er Ahnung von ukrainischer Politik hätte und imitierte eifrige Tätigkeit.
Bei Wikipedia gibt es eine ziemlich detaillierte Biografie von Iskander Chisamow.
Nach dem Maidan arbeitete Chisamow noch eine Zeit lang in der Ukraine und ist dann nach Moskau gezogen, wo er nun als Chefredakteur der Webseite „Ukraine.RU“ arbeitet – eines russischen Projekts, das von der staatlichen Nachrichtenagentur „Russland Heute“ (ehemalige „RIA Novosti“) erschaffen wurde. Das Projekt vertritt die offizielle Position Russlands in der ukrainischen Frage.
Interessant ist das Brandbook dieses Projekts:
„Die Ressource „Ukraine.ru“ soll zu einer vollwertigen Informations- und Analytikquelle werden, die der Ukraine gewidmet ist und in erster Linie auf das ukrainische Publikum orientiert ist. Im Grunde wird sie die von der ukrainischen Obrigkeit verwaiste Nische der oppositionellen Medien füllen. Dank dem russischen Standort kann „Ukraine.ru“ frei einen alternativen Blick auf die ukrainische Realität vermitteln und die Position einiger Millionen Bürger der Ukraine vertreten, die Russland gegenüber freundlich gesinnt sind. Die Ressource soll dabei von den Lesern als ein Subjekt des ukrainischen Informationsraums wahrgenommen werden“ (Beschreibung des Projekts vom 04.04.2016).
Beim Start von neuen Projekten in der Ukraine ist der ukrainische Journalist Ihor Guschwa Chisamow sehr behilflich. In den 1990ern arbeitete Guschwa in den Donezker Ausgaben, seit 2011 arbeitet er in Moskau – zunächst beim Polittechnologen Gleb Pawlowsky und später – in einer Redaktion mit Chisamow, beim „Expert“. Später kehrte er in die Ukraine zurück und arbeitet nun als Chefredakteur der Zeitung „Segodnja“ (die Rinat Achmetow gehört).
Die Korrespondenz von Chisamow und Guschwa umfasst den Zeitraum 2009-2016 und beinhaltet fast 400 Briefe.
Am aktivsten war ihre Korrespondenz in 2013, als Guschwa die Ukraine wieder mal verließ und versuchte, eine Karriere in Moskau zu starten. Als einen Moskauer Journalisten brauchte Guschwa aber niemand, dafür eröffnete sich für ihn eine neue Arbeitsfront in der Ukraine: Er wird zum Besitzer der Holding „Multimedia Invest Group“, die in kürzester Zeit die kostenlose Zeitung „Westi“, die Radiostation „Westi FM“, die Wochenzeitschrift „Westi“, die Zeitschrift „Reporter“ und den TV-Kanal UBR stiftet. Ein gewöhnlicher Journalist wie Guschwa wird plötzlich zu einem ukrainischen Medienoligarchen und niemand kann verstehen, was die Quelle eines derartig schnellen „Karriereaufstiegs“ ist.
Nach dem Erwerb des Satellitenkanals UBR im Juni 2013 wird Guschwa zu seinem Generaldirektor. Seinen alten Freund Chisamow macht er dabei gleich zum Teammitglied und dieser moderiert dort die Sendung „Ergebnisse der Woche“.
Interessant sind die Zahlen zur Finanzierung von russischen Projekten: Auf diesem unbekannten Kanal mit einem minimalen Publikumsanteil wurde Chisamow 2013 circa 50 000 Hrywna (damals circa 6 000$) Monatslohn gezahlt. Wie verdienen denn solche Projekte?
Ein halbes Jahr später prahlt der Produzent des UBR-Kanals Sergei Logunow mit den ersten Erfolgen des Kanals – ist zwar noch immer ziemlich wenig, aber irgendwie muss man sich ja vor den russischen Sponsoren rechtfertigen:
Zu einem Nachrichtenkanal wurde er dennoch nicht. Noch im Sommer 2014 wurde eine Mahnung an den TV-Kanal erteilt, wegen seiner Berichterstattung inklusive Live-Aussagen von russischen Terroristen. So viel sie auch versucht hatten, sich als ukrainische Medien zu tarnen – der Krieg hat alles auf seinen Platz gestellt.
2015 arbeitete Chisamow als Chefredakteur von „Radio Westi“. Hier sehen Sie die Lohnaufstellung des Projekts „Westi.Reporter“ für das Jahr 2013:
Chisamows Projekte versuchten auch mit Werbung Geld zu machen, das lief aber meist über Barauszahlungen ab.
(Die Rede hier ist wohl von seinem Analytikzentrum „Expertenrat“)
Projekte wechselten sich ab und Chisamow veränderte sich mit ihnen. Im September 2015 schreibt er an seine Tochter (die übrigens, wie üblich bei den reichen Russen, in den USA ist), dass er die Holding Westi verlassen habe und nun ein neues Projekt hat.
Um die Fehler seiner klobigen Propagandaquellen a la UBR und „Westi“ zu korrigieren, startete er 2015 ein neues Projekt – so entstand im Februar 2016 das Projekt „Strana.UA“, ein weiteres Nachrichtenportal unter der Leitung von Iskander Chisamow.
Hier versuchte man relativ lange, nach dem Prinzip „80% Objektivität, 20% Propaganda“ zu arbeiten – Kremls Hand dahinter war aber doch ziemlich gut zu erkennen.
Am 5. März 2016 bittet Chasimow Guschwa plötzlich um eine Kündigung. Wie es scheint, hat diese Bitte selbst Gushwa perplex gemacht – ihre Unterhaltung zu diesem Thema zog sich jedenfalls in die Länge.
Bald übernimmt Chisamow aber schon die Leitung des russischen Staatsprojekts, das der Ukraine gewidmet ist – die Webseite „Ukraine.RU“. Die Angaben sind die gleichen, der Inhalt auch – es ist nur eine weitere Plattform, die aber nun offiziell in Russland sitzt.
Gleich nach seiner Kündigung bei „Strana.ua“ beginnt Chisamow mit der Rekrutierung der Journalisten aus der Ukraine. All diese Journalisten verstehen dabei ausgezeichnet, in wessen Sinne das neue Projekt über die Ukraine schreiben soll. Hier ein Beispiel:
„Und noch was. Offensichtlich ist, dass diese Arbeit mit einer öffentlichen Positionsbekundung verbunden ist. Ehrlich gesagt, habe ich die Befürchtung, dass offene Propaganda auf der Webseite in meinem Namen mir die Möglichkeit nehmen wird, zurück in die Ukraine zu kommen. Wenn solche Kritik (und ich vermute, dass Sie die Arbeit der Webseite auf intellektueller Kritik aufbauen werden) von einer Plattform innerhalb der Ukraine geführt worden wäre – das wäre ok. Aber von einer Plattform in Moskau… wenn man berücksichtigt, wie schnell sich die Information nun verbreitet, kann es zu einem Problem für mich werden. Womöglich können Sie meine Zweifel beseitigen“.
Man muss sagen, dass diese Journalisten ziemlich zynische Menschen sind und ganz genau wissen, für wen sie arbeiten und was sie schreiben sollen.
Im ukrainischen Medienraum werden eins nach dem anderen Projekte gegründet, bei denen offensichtlich prorussische Journalisten arbeiten. Einige Projekte arbeiten etwas klobiger, andere versuchen Objektivität vorzutäuschen. Solche Projekte haben dabei immer ziemlich gute Finanzierung und lassen es sich sonst auch ziemlich gut gehen. Es bleibt nur die Frage offen, warum solche Projekte in der Ukraine überhaupt noch arbeiten dürfen.
Dieses Material wurde exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Irina Schlegel. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
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3 Responses to “„Mediale Iskandere“ des Kremls in der Ukraine: „Westi“ und „Strana.UA“ als Moskaus Lobby”
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