Das internationale Freiwilligenteam von InformNapalm findet weitere Nachweise für die Beteiligung von Einheiten der russischen Streitkräfte an Kampfhandlungen im Donbass. Auch diese OSINT-Untersuchung offenbart neue Informationen: Es geht um die „ukrainische Dienstreise“ von Militärangehörigen der 74. selbständigen motorisierten Schützenbrigade (Einheit Nr. 21005 der 41. Armee des Heeres, Zentraler Militärbezirk, Jurga, Gebiet Kemerowo) im Zeitraum Sommer bis Herbst 2014 und direkte Nachweise dafür, dass einzelne Angehörige dieser Einheit sich nachwievor auf dem besetzten Territorium im Donbass aufhalten und dort Mitglieder illegaler bewaffneter Formationen sind.

Im Verlauf einer vertieften Analyse der Informationen der Gruppe Einheit Nr. 21005, Gebiet Kemerowo, Stadt Jurga im sozialen Netzwerk „VKontakte“ (VK) sind Korrespondenzen von Verwandten und Angehörigen der Soldaten entdeckt worden. Thema sind Ereignisse, welche im Zusammenhang mit der Dienstreise einer zusammengesetzten Abteilung dieser Einheit in südliche Regionen im Zeitraum Sommer bis Herbst 2014. Unser Interesse gilt dabei besonders dem Diskussionszweig „Wer weiß Bescheid über unsere Jungs in Rostow? Bitte helft mir – seit vier Tagen gibt es keine Kommunikation“ (russ.). Dort wurden vom 30. August bis zum 2. Oktober 2014 Details erörtert, welche mit dem Einsatz der Einheit im Donbass und speziell mit Kämpfen um den Flughafen von Luhansk zusammenhängen. (Eine Kopie der Korrespondenz im Archiv). Einige Auszüge und Screenshots seien angeführt (Anm. d. Übers.: Orthografische Eigenheiten wie z.B. fehlende Großschreibung wurden aus dem Originaltext übernommen):

Svetlana Kowalenko: „es sieht dort übel aus! heute hat sich der Mann einer Bekannten gemeldet und erzählt, dass sie gestern beim Angriff auf den Flughafen dabei waren. man begann auf sie zu schießen, er liegt verwundet im Krankenhaus und sagt, dass es sehr viele Verletzte gibt“ (2. Sept. 2014)

Tschajana Mongusch: „Es gibt Verletzte, über die Toten schweigt man“ (2. Sept. 2014)

Tschajana Mongusch: „Von den aus Jurga ist niemand umgekommen, dass sagt [er] sicher. dort ist jetzt Morgen, sie schlafen, Handys wurden an die Kommandeure abgegeben, sie werden anrufen, wenn sie die wiederbekommen“ (3. Sept. 2014)

Ksenija Uschkalowa: „Super! Mein Mann hat sich gemeldet! Sagte, sie waren im Krieg. Kommen Ende September wieder“ (3. Sept. 2014)

Tatjana Remer: „Gibt es irgendwelche Infos dazu, ob unsere Jungs wieder in die Ukraine müssen?“ (3. Sept. 2014)

Svetlana Kowalenko anwortet Tatjana Remer: „Tatjana, scheinbar nicht, unsere haben gesiegt!“ (3. Sept. 2014)

Im Diskussionszweig „So leben unsere Helden))“ ist ein Foto mit Kommentaren vorhanden (Archiv). Wenn man das nicht dem Reglement konforme Aussehen und weiße Binden für visuelle Identifikation beachtet, kommt man zu dem Schluss, dass dieses Foto eine der Operationen der 74. Brigade im Donbass zeigt mit Rostow als Ausgangsbasis. Im Hintergrund ist eingegrabenes und getarntes Militärgerät zu sehen.

Anmerkung: Die Seiten mancher Beteiligten der Diskussion sind entfernt worden. Gründe dafür können sein: Übermäßige Geschwätzigkeit und entsprechende Reaktion der dafür zuständigen Behörden oder dass manche Frauen trotz der Kommentare „Unsere haben gesiegt“ vergeblich auf ihre Männer gewartet haben.

Die 74. SMSBr ist nicht zum ersten Mal Teil einer Untersuchung von InformNapalm. Im November 2014 sind Fotos der Brigade aus Jurga auf grenznahem Territorium auf russischer Seite entdeckt worden. Von Feldlagern in diesem Gebiet ausgehend wurden Operationen im Donbass geführt. Ferner wurden Kopien von Geheimhaltungserklärungen der Militärangehörigen der Einheit Nr. 21005 gefunden („Verschwiegenheit bzgl. vertraulicher Information betreffs der Ausführung von Spezialoperationen im Rahmen von Sicherheitsinteressen der russischen Föderation“). Es wurden auch Fotos eines abgeschossenen Panzers (T-72) der 74. Brigade entdeckt.

Nach Beobachtungen von InformNapalm ist das russische Kommando zu einer neuen Taktik beim Einsatz eigener Soldaten im Donbass übergegangen. Während der Umsetzung des Minsker Abkommen verzichten die Russen auf die üblichen Kampfgruppen in Bataillons- oder Kompaniestärke. Größere russische Einheiten können nicht lange unentdeckt bleiben, erst recht weil inzwischen zwei Gruppen (mindestens Brigadenstärke) bestehen, in denen russisch-terroristische Truppen als illegale bewaffnete Formationen zusammengefasst sind. Neuerdings werden russische Zeitsoldaten verschiedener Truppenteile in kleinen Gruppen (nicht größer als ein Trupp) oder einzeln als Ausbilder bzw. Spezialisten bestimmten Verbänden von „Neurussland“ zugewiesen. Dieses Schema konnte wiederholt gezeigt werden. Auf diese Weise abkommandierte Soldaten gehören zu folgenden Einheiten: 291. Artilleriebrigade (Einheit Nr. 64670, Siedlung Troizkaja, Inguschetien), 7. Militärbasis (Einheit Nr. 09332, Gudauta, okkupiertes Abchasien, Georgien), 8. selbständige mot. Gebirgsschützenbrigade (Einheit Nr. 16544, Borsoj, Tschetschenien), 23. selbständige mot. Schützenbrigade (Einheit Nr. 65349, Samara) und die 19. selbständige mot. Schützenbrigade (Einheit Nr. 20634, Vladikawkas, Nord-Ossetien).

Zu dieser Auflistung dürfen wir jetzt auch die 74. selbständige mot. Schützenbrigade hinzufügen. Ein Soldat dieser Einheit dient im 3. Bataillon („Hooligans“) der illegalen bewaffneten Formationen (IBF) der sogenannten „Luhansker Volksrepublik“ („LVR“). Nach einer Untersuchung und Analyse von VK-Profilen von Kämpfern der „Luhansker und Donezker Volksrepublik“ wurde das Profil von Ilja Sekerin gefunden (archiviertes Profil, archiviertes Fotoalbum, Kontaktliste). Er ist 23 Jahre alt und wurde in Omsk geboren. Den Profildaten und Fotos zufolge hat er nach dem Grundwehrdienst bei einer privaten Sicherheitsfirma gearbeitet und sich 2013 bei der 74. Brigade verpflichtet. Die Vertragsdauer liegt bei drei Jahren. Nach seinem Einsatz im Donbass 2014 wurde er auf Anweisung Nr. 841 des Verteidigungsministers der russischen Föderation am 23. Dezember 2014 mit dem Orden „Für Tapferkeit im Kampf“ 2. Klasse ausgezeichnet. Die zugehörige Urkunde wurde durch den Kommandeur der Einheit Nr. 21005 A. Boldyrew unterschrieben. Dem Anschein nach war eine Auszeichnung 2. Klasse für I. Sekerin nicht genug, so dass er etwa ein Jahr später, vermutlich ab August 2015, auf die Jagd nach dem Orden „Für Tapferkeit im Kampf“ 1. Klasse aus Jurga in den Donbass abkommandiert wurde. Wie bereits erwähnt, dient er im 3. „LVR“-Bataillon der russisch-terroristischen Streitkräfte.

Unter seinen heutigen Freunden auf „VKontakte“ sieht man eine ganze Reihe von Mitstreitern in der illegalen bewaffneten Formation „Hooligans“, die möglicherweise ebenfalls aktive russische Militärangehörige sind: Sergej Kosjakow, Aleksander Olegowitsch Kamenew, Ljocha Iwanow, Ilja Pikalow, Aleksej Isvarin, Timofej Krawtschenko und ein Kollege: Aleksander Pyrin, welcher ebenfalls bei Operation im Sommer und Herbst 2014 dabei war und auch mit dem gleichen Orden ausgezeichnet wurde.

Wie schon früher angemerkt, taucht die 74. Schützenbrigade regelmäßig im Kontext der „Dienstreisen“ zwischen Rostow und Donbass auf – siehe folgende Links:
– „Russische Truppen konzentriert an der Grenze zum Donbass“ (englisch);
– „74. selbständige mot. Schützenbrigade im Donbass?!“ (englisch);
– „Einheit der 61. Brigade der Marineinfanterie der Schwarzmeerflotte unter den Invasionstruppen“ (französisch);
– „Eine weitere „Bildmanipulation“ in die Sammelbüchse des russischen Generalstabs: Russische Fahrzeugkolonne im Raum von Starobeschewe“  (russisch);
– „Intensive Gefechtsausbildung der Rostower Gruppierung in den an die Ukraine angrenzenden Steppen“ (deutsch).

Für die dieser Veröffentlichung zugrunde liegenden Vorab-Informationen bedanken wir uns bei unserem Freund und Unterstützer Vlad.

Dieses Material wurde von Irakli Komaxidze exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Viktor Duke. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.