von Irina Schlegel
Ich möchte heute über das Thema der Manipulation mit dem Begriff „Ukraine“ in den deutschen Medien sprechen. Über Manipulationen mit den Schlagzeilen in den deutschen Medien hatte ich letztes Jahr schon mal geschrieben, viel hat sich seitdem aber nicht geändert. Es wird noch immer vom „Beschuss der OSZE in der Ostukraine“ gesprochen, und keine Differenzierung zwischen der freien Ukraine und den einzelnen besetzten Bezirken im Donbas – einer ostukrainischen Region, die seit 2014 durch Russland und seine Söldner besetzt ist – gemacht. Wobei das besetzte Gebiet nur circa 3% des Territoriums der Ukraine ausmacht und der Begriff „Ostukraine“ sich ja wohl auf 50% ihres Territoriums bezieht… Ich habe noch nie gesehen, dass wenn in Sachsen rechtsradikale Parteien gewählt werden, deutsche Medien von „Ostdeutschland“ sprechen würden…
Es erscheinen Artikel im Spiegel, in denen Karten veröffentlicht werden, auf denen die Krim als Teil Russlands dargestellt wird, und die Bilder erst nach einem massiven öffentlichen Aufschrei der Leser korrigiert werden.
Manchmal geht es aber noch weiter, wie zum Beispiel nach der ersten vorläufigen Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs im Fall Ukraine gegen Russland, als die ARD ihre Reportage unter dem Titel „Ukraine scheitert mit Klage gegen Russland“ sendete.
Es ist mir völlig unverständlich, wie der erste deutsche Fernsehsender auf die Idee kam, eine erste vorläufige Entscheidung, in der der Gerichtshof seine prima facie im Fall anerkannte, Russland dazu aufrief, die Verfolgung der Krimtataren unverzüglich einzustellen, die ukrainische Sprache an den Krimer Schulen zu unterrichten und die Ukraine darum bat, zusätzliche Beweise für die russische Aggression im Donbas bei der nächsten Sitzung am 7. Mai bereitzustellen, als ein „Scheitern der Ukraine“ zu bezeichnen.
Es gibt auch ein Problem mit den Moskauer Büros der deutschen Medien. Dieses Thema beschäftigt mich schon lange, denn offensichtlich haben die meisten deutschen Medien immernoch nicht verstanden, dass die Sowjetunion bereits seit 26 Jahren tot ist und die ehemaligen sowjetischen Republiken längst unabhängige Länder sind, die Moskaus Meinung und seine Sicht der Dinge ganz und gar nicht teilen. Die meisten deutschen Medien haben noch immer Büros ausschließlich in Moskau und senden von dort aus Kremlpropaganda in die ganze Welt. Besonders auffällig war es am Anfang des russisch-ukrainischen Krieges, als deutsche Berichte zum Großteil wie abgeschrieben aus den Meldungen von RIA Novosti und InterfaxRU aussahen. Mit der Zeit hat sich die Berichterstattung zwar verbessert, aber mehr auf Initiative von einigen verantwortungsvollen Journalisten, als dank der Medienpolitik der jeweiligen Magazine.
Ich bin gerade an einen äußerst „interessanten“ FB-Beitrag einer Frau geraten, die seit langem im besetzten Teil von Donbas mit Friedensarbeit (Medikamente und Lebensmittel-Einfuhr, Gefangenenaustausch etc.) beschäftigt ist, ich führe ihn mal vollständig an:
– Warja, Guten Tag! Das ist der Erste Kanal Deutschlands, ARD. Ich bin der Produzent des Moskauer Büros. Ich habe eine Frage an Sie. Wir haben beschlossen, eine Geschichte darüber zu machen, wie militärische Konflikte Menschen und selbst Verwandte trennen. Zur Anschaulichkeit versuchen wir Verwandte in Russland und Ukraine zu finden, die sich wegen der Politik zerstritten haben und keine Beziehungen mehr zu einander pflegen. Wir möchten zeigen, dass es außer direkter Opfer und Zerstörungen noch diesen Preis gibt, den einfache Menschen zu zahlen gezwungen sind. Vielleicht hatten Sie im Lauf Ihrer Friedensarbeit die Gelegenheit, solche Menschen zu treffen?
– So oft, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnern kann, wer genau das war. Was wollen Sie von ihnen? Ich kann öffentlich nachfragen, wer bereit ist, zusammenzuarbeiten.
– Ja, das wäre super. Wir möchten, dass es die Verwandten sowohl da als auch hier gibt, in der Ukraine und in Russland. Wir möchten zu beiden kommen und ein Interview darüber machen, wie es passiert ist. Wie sind die Beziehungen schlecht geworden? Ich werde Ihnen herzlich dankbar sein. Sie können auch ergänzen, dass wir ein anständiges TV sind. Anständigkeit wird garantiert, sozusagen!))) Das Ziel ist, zu zeigen, welchen Preis die Menschen zu zahlen haben, wenn Politiker sich nicht einigen können oder wollen.
– Kann ich Ihren Text veröffentlichen und einen Link zu Ihnen geben?
– Ja, warum nicht)
– Ok, sofort.
Habt Ihr gerade auch so einen komischen Nachgeschmack? Nicht? Dann lest es bitte nochmal durch.
Zum Thema „Frühstück an der Grenze“ schrieb Kirill Daniltschenko noch im Januar dieses Jahres, als dieses Thema aktiv in den Medien und sozialen Netzwerken besprochen wurde.
Nach drei Jahren aggressiven Krieg Russlands gegen die Ukraine, der Annexion der Krim, nach Zehntausenden durch Russland ermordeten Ukrainern sagt also der ARD-Vertreter aus dem Moskauer Büro, dass dies allein aus dem Grund geschah, weil „Politiker sich nicht einigen können“?
Was ist mit Millionen Menschen auf dem Maidan 2013-2014, die eine Revolution zu Stande brachten? War die russische Annexion der ukrainischen Krim, die zum Zeitpunkt der politischen Schwächung der Ukraine durch die Revolution der Würde und den geflüchteten Präsidenten Janukowytsch, unter Umständen der allgemeinen Ratlosigkeit und gleichzeitiger Freude über die Befreiung – war dieser heimtückischer Überfall also das Verschulden der Ukraine selbst? Denn durch die Aussage „wenn Politiker sich nicht einigen können“ setzt der ARD-Vertreter Russland und Ukraine im Grunde gleich. Als Russland 2014 begann, die Situation im Süden und Osten der Ukraine zu destabilisieren, Menschen zu entführen und zu foltern allein deswegen, weil sie ukrainische Flaggen gehisst hatten und sich für die Ukraine aussprachen, wie es im Fall von Wladimir Rybak gewesen war, und dann zunächst seine wahnsinnigen kriegsbetrunkenen Freiwilligen wie Strelkow/Girkin und banale Sadisten und später seine regulären Soldaten in den Donbas entsandte – war der Grund dafür die „Uneinigkeit“ zwischen den Politikern? Wie zynisch ist diese Aussage? Und was ist mit Zehntausenden ukrainischen Männern und Frauen, die freiwillig an die Front gingen, um ihr Land zu verteidigen, die keiner dahin schickte, weder die Regierung noch die Politiker – nein, sie gingen dahin, weil sie sich der russischen Aggression widersetzen wollten, sich schützen wollten, vor dieser Invasion der östlichen Barbaren in ihr Land, weil sie gesehen hatten, was Russland ihnen bereitet und welche Konsequenzen es für sie haben wird.
Stutzig macht mich auch der Ausdruck „einfache Menschen“, der impliziert, dass es irgendwelche erwachsene Menschen geben soll, die über ihr eigenes Leben und ihre Zukunft nicht selbst entscheiden können…
„Einfache Menschen“, Russlands Staatsbürger, hatten 2014 das Vorgehen ihrer Regierung zu 86% unterstützt, sie verfielen in Euphorie über den Diebstahl einer ganzen Halbinsel und ihres ganzen Eigentums, sie schrieben von „Ukros, die man alle vernichten muss“, trugen T-Shirts mit Putin und riefen ihre Verwandte in der Ukraine an, um sie zu beschimpfen und zu „Faschisten“ zu erklären.
Diese „einfachen Menschen“? Oder die ukrainischen Frauen, die furchtlos an die Front fuhren, um ihren Soldaten Essen und Kleidung zu bringen, die ukrainischen Ingenieure, die eigenhändig Waffen modernisierten, denn die ukrainische Armee war durch Janukowytsch-Regierung dermaßen geschwächt worden, dass die „einfachen Russen“ sich permanent über sie lustig machten. Oder die ukrainischen 18-jährigen Jungs, die es ohne ihren Eltern zu sagen, sich heimlich bei den Freiwilligenbataillonen anmeldeten und in den Krieg zogen?
Vergessen wird dabei auch die Tatsache, dass Russland sich zumindest seit 2008 auf den Angriff auf die Ukraine vorbereitete, was längst durch zahlreiche Quellen und Untersuchungen bewiesen wurde, darunter auch unsere Artikelreihe mit den gehackten Dokumenten von Kirill Frolow und seiner Korrespondenz mit russischen Funktionären.
Ich habe viele Fragen zum oben erwähnten FB-Post. Folgerichtig fände ich, wenn eine derartige Umfrage innerhalb Russlands und unter den Russen durchgeführt werden würde, die sich wegen des russisch-ukrainischen Krieges zerstritten haben. Hier steht für mich aber fest, dass wohl eine Reportage gemacht werden soll, in der unter der schönen Soße von „einfache Menschen mussten solch‘ einen Preis zahlen“ die Schuld Russlands, seine imperialistische und chauvinistische Politik gegenüber seinen Nachbarn vermindert, die Ukraine dagegen für die Verteidigung ihres eigenen Landes schuldig gemacht werden soll und der demokratisch gewählte Präsident der Ukraine Petro Poroschenko mit dem russischen Diktator und FSB-Oberst, der 2000 durch den FSB an die Macht gebracht worden war, gleich gesetzt wird.
Sehr feine Manipulationen, die jedoch bei genauerem Hinsehen durchaus zu erkennen sind.
Während in den anderen westlichen Medien wie den englischen oder amerikanischen längst offen von Russlands Schuld gesprochen wird, permanent darauf hingewiesen wird, dass ohne einen russischen Abzug aus der Krim und der Übergabe der östlichen Grenze der Ukraine zurück unter die Kontrolle der Ukraine keine Abmilderung der Sanktionen möglich sei, während dem Präsidenten der PACE, Pedro Agramunt, wegen seiner Verbindungen mit Russland das Misstrauen ausgesprochen und er seines Amtes enthoben wird, während in den USA Ermittlungen gegen den eigenen Präsidenten wegen seiner Verbindungen zum Kreml laufen und in Polen wegen des Absturzes des Präsidentenflugzeugs 2010 gegen Russland ermittelt wird, scheinen deutsche Medien sich noch immer krampfhaft darum zu bemühen, Russland irgendwie zu rechtfertigen. Mehr noch, während andere versuchen, sich möglichst von Russland und seiner Gas-Erpressung zu befreien, finden sich in Deutschland ganze zwei Konzerne bereit, die den Nordstream-Deal mit Russland unterzeichnen und Deutschland somit in Abhängigkeit von Russland bringen.
Das alles lässt ziemlich viele Fragen offen: Welche Verbindungen hat Deutschland eigentlich zu Russland, wenn selbst deutsche Politiker sich erlauben, die ukrainische Gesetzgebung zu verletzen, auf die Krim zu fahren und damit zu prahlen, dass sie es jederzeit wieder tun werden? Und wann werden deutsche Medien damit aufhören, die Ukraine für ihren Wunsch, sich aus der sowjetischen Vergangenheit zu befreien, für den sie in den letzten drei Jahren großen Preis zahlen musste und noch immer zahlt, zu peinigen?
Dieses Material wurde von Irina Schlegel exklusiv für InformNapalm vorbereitet; Titelbild: Foto von Dmitry Murawski. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf unsere Ressource erforderlich.
(Creative Commons — Attribution 4.0 International — CC BY 4.0 )
Wir rufen unsere Leser dazu auf, unsere Publikationen aktiver in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das Verbreiten der Untersuchungen in der Öffentlichkeit kann den Verlauf von Informationskampagnen und Kampfhandlungen tatsächlich brechen.
One Response to “Mediale Manipulationen, oder wie ein osteuropäisches Land dafür gepeinigt wird, sich aus seiner sowjetischen Vergangenheit befreien zu wollen”
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