Seit dem Zeitpunkt der Besetzung der Krim durch russische Streitkräfte und ihrer Annexion durch die Russische Föderation ist genau ein Jahr vergangen…
Es gibt eine Vielzahl von Widersprüchen, wie man dieses Ereignis vom Standpunkt des internationalen Rechts aus deuten soll. In diesem Zusammenhang beschlossen wir, die Meinung von Professor Alexander Zadorozhny zu zitieren, eines Lehrstuhlinhabers für internationales Recht am Institut für Außenbeziehungen der Kyjiwer Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität, die Alexander Wiktorowitsch Zadorozhny auf seiner FB-Seite äußerte.
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Das internationale Recht sieht mehrere Fälle der Rechtmäßigkeit des Anschlusses eines Territoriums vor:
– Veränderungen, die mit natürlichen Prozessen verbunden sind (Akkretion);
– Übergabe des Territoriums nach einem gegenseitigen Einverständnis der Staaten (Zession);
– Die Aufteilung eines Staates nach einem Einverständnis der Subjekte, aus welchen dieser besteht (wobei hier die Rede nicht vom Anschluss eines Territoriums ist, sondern von Beendigung der Existenz des Vorgängerstaates und der Entstehung von Nachfolgerstaaten, die zu Subjekten des internationalen Rechts werden);
– Die Veränderung der Zugehörigkeit des Territoriums auf Entscheidung einer zuständigen internationalen Gerichtsinstanz hin (Adjudikation);
– Die Erlangung der Souveränität des Territoriums nach Verjährung seines Besitzes durch einen Staat;
– Die Verwirklichung des völkerrechtlichen Prinzips der Selbstbestimmung (Sezession, Austritt eines Teils des Territoriums aus der Zusammensetzung eines Staates);
– Die Vereinigung von zwei und mehr Staaten in einen oder der Beitritt eines Staates zu einem anderen Staat.
Was die Halbinsel Krim angeht, so ist wie den offiziellen Dokumenten, zum Beispiel dem „Vertrag über den Anschluss der Krim an die Russische Föderation“ vom 18. März 2014, der Erklärung des Außenministeriums Russlands „Hinsichtlich der Vorwürfe zur Verletzung des Budapester Abkommens“ vom 1. April 2014, der „Rechtlichen Begründung der Haltung der Russischen Föderation zur Krim und der Ukraine“, oder auch den Erklärungen der Führung Russlands und einschlägigen Veröffentlichungen von Vertretern der russischen Doktrin ein Akzent auf die „Verwirklichung ihres Rechts auf Selbstbestimmung seitens der Krim-Bevölkerung“ eigen, in deren Verlauf der Austritt aus der Ukraine, die Bildung eines unabhängigen Staates und der Beitritt des neuen Staates zu Russland stattfanden. Aber faktische Umstände dieser Angelegenheit widersprechen von Grund auf sowohl diesen Behauptungen als auch den Forderungen nach Rechtmäßigkeit der Selbstbestimmung in Form der Sezession und den Verhältnissen des völkerrechtlichen Prinzips der territorialen Integrität.
Entsprechend internationalem Recht kann die „Selbstbestimmung des Volkes“ auf gar keinen Fall Handlungen bedeuten, die eine Koordination und Führung durch ausländische Streitkräfte und Geheimdienste vorsehen.
Die Darstellung der russischen Regierung über Prozesse auf der Krim, die angeblich in zwei Etappen abliefen: zunächst in Form einer Sezession und der Bildung der unabhängigen Republik Krim und einer zweiten, nämlich der Aufnahme und des Beitritts dieses neuen Staates zu Russland, hat keinerlei faktische und rechtliche Grundlagen. „Die Republik Krim“ hatte keine Möglichkeit, eine unabhängige öffentliche Regierung zu bekommen, was eine der notwendigsten Forderungen für die Anerkennung der Staatlichkeit ist.
Eine fehlende Absicht zur Verwirklichung einer staatlichen Souveränität bezeugen sowohl die Bestimmungen in der „Deklaration über die Unabhängigkeit der Krim“ selbst als auch die faktisch gleichzeitige Durchführung eines „Referendums“ am 16. März 2014, die Bekanntgabe seiner Resultate am 17. März 2014, der Beschluss der russischen Gosduma über den „Anschluss“ der Halbinsel, der Abschluss des „Vertrages über den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation“ vom 18. März 2014, sowie die vollständige Unterordnung der „Regierung der Krim“ unter die Gewaltorgane Russlands.
Dabei konnte die „Autonome Republik Krim“ keine einzige völkerrechtliche Voraussetzung für die Anerkennung der Bildung eines unabhängigen Staates erfüllen, auch bei der näheren Betrachtung der Kriterien nicht.
Es fehlen hier außerdem jegliche Ausnahmezustände, mit denen völkerrechtliche Normen die Rechtmäßigkeit einer Sezession verbinden (grobe und massenhafte Verstöße gegen die Menschenrechte, Aggression des Staates gegen ein bestimmtes Volk), es gab auch keine anderen notwendigen Bedingungen, wie das Vorhandensein eines separaten Volkes auf dem Territorium, also eines Subjekts der Selbstbestimmung, wobei eine „innere Selbstbestimmung“ rechtlich unmöglich ist. Die faktische Anerkennung des neuen Staates durch die Weltgemeinschaft fehlt hier auch.
Die völkerrechtliche Analyse der Ereignisse auf der Krim 2014 beweist, dass die Russische Föderation nicht die Souveränität über der Halbinsel entsprechend einer durch das internationale Recht bestimmten Methode des Erwerbs eines Territoriums erlangt hat. Statt dessen fand auf der Krim eine militärische Okkupation und Annexion statt.
Dabei hat Russland gegen faktisch alle staatlichen Verpflichtungen verstoßen, die durch das Prinzip der territorialen Integrität vorgesehen sind, außerdem gegen seine eigenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, insbesondere, nach den Statuten der UNO:
- gegen die Helsinki-Schlussakte der KSZE;
- gegen Artikel 5 des Abkommens über die Bildung der GUS (1991);
- gegen Punkt 2 des Budapester Abkommens über Sicherheitsgarantien in Zusammenhang mit dem Beitritt der Ukraine zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (1994);
- gegen Artikel 2 des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation (1997);
- gegen den Vertrag über die ukrainisch-russische Staatsgrenze (2003).
Autor: Alexander Zadorozhny; übersetzt von Irina Schlegel
Lesen Sie zum Thema auch: „Die Krim ist unser!“ und „KrimUnser!, oder noch einmal über die historische Gerechtigkeit“
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