Am 30. September 2015 hat Russland offiziell seine Militäroperation in Syrien begonnen. Die internationale Gemeinschaft für Aufklärung InformNapalm geriet von den ersten Tagen der Operation an, an die vorderste Informationsfront dieses Krieges. In diesem Artikel erzählen wir euch, was innerhalb eines Jahres in Syrien geschah und wie die OSINT-Erfahrung aus dem Donbass uns in Syrien half.
Die gesamte Welt ignorierte hartnäckig die Ereignisse in Syrien, obwohl der Krieg dort seit 2011 tobte. Von Zeit zu Zeit kamen beunruhigende Nachrichten aus Syrien über Islamisten, die Erschießung von Zivilisten oder über chemische Waffen, die Welt hat sich jedoch an schlechte Nachrichten aus dem Nahen Osten gewöhnt.
Unser erster Artikel aus der „syrischen Reihe“ wurde am 7. September 2015 veröffentlicht – drei Wochen vor Beginn der offiziellen Operation der russischen Luftwaffe. Wir machten auf den russischen Stützpunkt in Tartus aufmerksam, über den ab den 1990ern sogar in Russland selbst vergessen wurde. Es stellte sich heraus, dass er mit dem Beginn des Krieges in Syrien erneut zum Leben erwacht ist und Schiffe der russischen Marine dort aktiv einliefen. Eine ganze Reihe an Fotografien mit Beladung, Hafenanläufen, Marinealltag, Aufnahmen von Frachtgütern und des Armeelebens wurden schon 2012-2014 veröffentlicht.
Tartus als der Schlüssel zur russisch-syrischen Freundschaft
Nebenbei gesagt, haben gerade die Aufnahmen der Frachtgüter die verstärkte Vorbereitung zum Beginn der Operation verraten: Es stellte sich heraus, dass es eine ganze Plejade von Fotografen-Spottern gibt, die die Durchfahrt von Schiffen dokumentieren. Im August 2015 hat ein türkischer Blogger das mit Militärtechnik beladene große Landungsschiff „Nikolai Filtschenkow“ bei der Durchfahrt des Bosporus fotografiert. Und es ging los…
Wir analysierten die Gruppen, die mit den russischen Landungsschiffen betraut sind und es stellte sich heraus, dass sie sich bereits seit Monaten aktiv auf etwas vorbereiten und an den syrischen Hafen Tartus gehen.
Das Gerücht von der Dienstreise nach Syrien ging schon 2013 in den Militäreinheiten um.
Bei der Analyse des Verkehrs half uns die türkische Webseite Bosphorus Naval, die alle Durchfahrten durch den Bosporus akribisch dokumentierte.
Zwei Wochen vor dem offiziellen Beginn der Militäroperation analysierten wir den Verkehr durch den Bosporus und es stellte sich heraus, dass zwischen 2013 und 2015 mehr als 50 Boote und Schiffe der russischen Marine nach Syrien reisten, wobei mehr als 70 Prozent des gesamten Verkehrs mit Landungsschiffen getätigt wurden, die als Frachter für Militärtechnik als Hilfe für Baschar al-Assad eingesetzt waren.
Der Verkehr wuchs von Jahr zu Jahr, eingesetzt war jede Flotte, doch vor allen anderen – die Schwarzmeerflotte der Russischen Föderation. Für die visuelle Darstellung der Informationen haben wir zum ersten Mal eine Infografik zu Syrien herausgegeben.
Am 30. September 2015 begann „plötzlich“ die Militäroperation, zu welcher man sich in Wahrheit bereits seit einigen Monaten in Folge vorbereitete.
Zu den gewöhnlichen Schiffen gesellten sich bald darauf Fähren, die zuvor auf der Überfahrt von Kertsch gearbeitet haben. Apropos, später erzählten ihre Besatzungen, dass sie keine Bezahlung für die Überfahrten erhielten und nannten die echte Zahl an Fahrten nach Tartus.
„Syrischer Express“: Russisches Ro-Ro-Schiff bringt Militärfracht nach Syrien
Nach und nach tauchten bei uns Aufnahmen von Dienstpässen auf, mit denen russische Soldaten nach Syrien entsendet wurden.
It Is Hard To Survive in Syria Without A Passport. Russian 28th Brigade in Syria
Hervorzuheben ist, dass sich die Operation in Syrien von den ersten Tagen an in eine Boden- und eine Luftkomponente aufgeteilt hat. In den Medien wurde fast nichts von den Kämpfen am Boden und der Beteiligung von russischen Truppen darin berichtet, Bombardements und die Vorbereitung von Flugzeugstarts wurden hingegen von Horden russischer Journalisten gefilmt. Wir haben bei diesem propagandistischem Material genauer hingeschaut und damit begonnen, die Besatzung der Flugzeuge zu ermitteln. Der erste, der uns dabei geholfen hat, war der Journalist Murad Gazdiev von Russia Today.
Benutzt wurden Videos von Paraden, Tonnen an Korrespondenz in den Foren der Liebhaber von Flugzeugtechnik, soziale Netzwerke und unbedachte Aussagen von Kollegen. Damals sind weiterhin ukrainische Soldaten im Donbass gestorben und wir beschlossen, der russischen Führung ein Ultimatum zu stellen: Für jede Provokation im Donbass werden die Personaldaten eines weiteren Piloten der russischen Luftwaffe, der in Syrien kämpft veröffentlicht.
Es stellte sich heraus, dass Russlands FSB begann bei uns aktiv mitzulesen (die Serverlogs sind besser als tausend Worte) und der Pressesprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow bezeichnete derartige Handlungen als eine „feindselige Haltung“.
Die Nachricht erreichte sogar die westlichen Medien:
„A Ukrainian Website Is Outing Russian Soldiers, and Moscow Wants Canada to Stop It“ (VICE News)
Wir haben die Reaktion der russischen Seite zur Kenntnis genommen und uns entschieden, die erste Version der Infografik zu den russischen Piloten zu veröffentlichen.
Und während das russische Außenministerium für die „Rechte der russischen Piloten“ kämpfte, vergrößerte sich schrittweise die Gruppierung russischer Truppen am Boden. Wir haben in Syrien die Anlage „Solnzepjok“ entdeckt, die von der Presse weltweit als Höllenwaffe bezeichnet wurde.
In Syrien wurden russische Mehrfachraketenwerfer „Solnzepjok“ gesichtet
Bei unserer Suche trafen wir in Syrien immer öfter auf Angehörige der russischen Bodentruppen. Die 34. Brigade und ihre Scharfschützen wurden erfolgreich von unseren Objektiven erfasst, Marineinfanteristen aus ganz Russland haben ihre Stützpunkte in den verschiedensten Gegenden Syriens fotografiert.
Nach und nach veröffentlichten Soldaten die Checkpoints und Stützpunkte auf dem gesamten syrischen Territorium. Für uns war es eine neue Sucherfahrung im unbekannten Terrain und ohne Kenntnisse der örtlichen Sprache. Doch uns halfen Twitter, syrische Aktivisten und die Erfahrung aus dem Donbass.
- Russland begann verdeckte Bodenoperation in Syrien
- Küstentruppen der russischen Schwarzmeerflotte bereiten sich auf eine „Außer-Bodenoperation“ in Syrien vor
- Russlands Verteidigungsminister Schoigu schickte seine Landsleute nach Syrien
- Russische Marineinfanteristen der 336. Brigade in syrischer Provinz as-Suwaida verirrt
- Russland versinkt in seiner Bodenoperation in Syrien
In jedem Krieg jedoch leiden Zivilisten am meisten. InformNapalm hat als einer der ersten über die humanitäre Katastrophe in Syrien berichtet.
Wir haben auch als einer der ersten damit begonnen, den syrischen Aktivisten das Wort zu erteilen.
Im Endeffekt bemerkten das führende russische Propagandisten:
«Die Hauptinformationsflüsse im Netz über russische Einschlägen in Moscheen oder Schulen kommen von Kiewer Propagandisten… Keine Beobachter, dort sind Journalisten – „InformNapalm“ – sie sofort. Nun, ihr Hass ist verständlich. Doch bei all dem gibt es solche Informationen, und diese Informationen sind recht objektiv oftmals, leider» (Maksim Shevchenko live bei „Echo Moskwy“, 27.01.2016).
Und währenddessen musste Russland für die Aufrechterhaltung des Krieges immer mehr Schiffe einsetzen – sogar der Eisbrecher der Nordflotte wurde gebracht. Für die Lieferungen begann man auch in der Türkei eingekaufte Trockenfrachtschiffe heranzuziehen. Und während unter russischen Bombardements Tausende Zivilisten starben, verlief die Versorgungslieferung für russische Gruppierungen in Syrien auf dem Seeweg immer aktiver und der Schiffsverkehr nahm um fast das Doppelte zu.
Besonders interessant war es in Syrien diejenigen anzutreffen, die im Donbass gekämpft haben. Nach und nach hörten die russischen Bodentruppen auf, sich besonders zu verstecken: In Russlands Armee ließ sich augenscheinlich ein Mangel an Politkomissaren und Geheimagenten beobachten.
Die Panzerfahrer fotografierten liebend gern ihre neuen T-90, und gelegentlich gerieten die Artilleristen in ganzen Einheiten aufs Bild.
29 Soldaten der 291. Artilleriebrigade der Streitkräfte Russlands in Syrien
Nach einem Jahr wurde das Internet mit hunderten Aufnahmen von Ehrungen des Mannschaftsbestandes überflutet. Es hat sich herausgestellt, dass das russische Verteidigungsministerium gleich mehrere neue Medaillen für ausschließlich den syrischen Krieg eingeführt hat. Interessanterweise wurden mit Kampforden Panzerfahrer, Artilleristen und Mediziner-Minensucher ausgezeichnet, die noch zwei Monate vor dem offiziellen Beginn der russischen Militäroperation in Syrien aufgetaucht sind.
Medaillenbilanz russischer Kriegsverbrecher: Datenbank&Infografik
Zum Jahrestag von Russlands Militäroperation in Syrien haben wir eine umfangreiche Datenbank über russische Piloten vorbereitet: 116 Offiziere der Luft- und Weltraumkräfte der Russischen Föderation, die syrische Städte bombardierten, wurden in der Infografik von InformNapalm verewigt (mehr als 6 000 geteilte Inhalte in den Sozialnetzwerken in den ersten Tagen (!)).
Wer bombardiert syrische Zivilisten: Angaben zu 116 Offizieren der Luftwaffe Russlands
Was hat denn die Russische Föderation in diesem einen Jahr erreicht? Für den Krieg wurde um die eine Milliarde Dollar ausgegeben. Schaut man sich die Karte an, dann sieht die Milliarde Dollar ungefähr so aus:
Beeindruckend? To be continued…
Dieses Material wurde von Anton Pawluschko exklusiv für InformNapalm vorbereitet; übersetzt von Kateryna Matey. Beim Nachdruck und Verwenden des Materials ist ein Hinweis auf die Autoren und unser Projekt erforderlich.
(CC BY)
Eine aktive Verbreitung unserer Publikationen in den Sozialnetzwerken, in Foren und Medien wird begrüßt. Die Verbreitung der Untersuchungen im öffentlichen Diskurs, kann den Lauf des informativen und des militärischen Widerstands verändern.
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